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Veröffentlicht auf freiburg-postkolonial.de am 01.04.2022

 

 

 

Savoy Afrikas Kampf

Rezension von:

 

Bénédicte Savoy:

Afrikas Kampf um seine Kunst.

Geschichte einer postkolonialen Niederlage

 

Am Namen Bénédicte Savoy kommt man nicht vorbei, wenn man sich mit dem Thema Restitution bzw. der Rückgabe geraubter Kulturgüter beschäftigt. 2018 erstellte die Kunsthistorikerin zusammen mit dem senegalesischen Ökonomen und Schriftsteller Felwine Sarr einen vielbeachteten Bericht im Auftrag des französischen Staatspräsidenten Emanuel Macron. Er erschien im Jahr 2019 auch auf Deutsch unter dem Titel „Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter“.

2021 erschien dann Savoys Buch „Afrikas Kampf um seine Kunst: Geschichte einer postkolonialen Niederlage“. Darin fasst sie die wichtigsten Erkenntnisse ihrer gemeinsamen Forschung zusammen und zieht zudem eine erschreckende Bilanz über die ablehnende Haltung europäischer und vor allem deutscher Museen gegenüber dem Thema Restitution von den 1960er bis 1980er Jahren.

 

Restitution: Ein verlorener Kampf?

Sie zeigt auf, wie vielschichtig die Restitutionsthematik ist und wie zahlreich und widerstreitend die involvierten Akteur*innen und ihre Interessen sind. Dafür beleuchtet sie etwa die Positionen der Museen und der deutschen Regierung. Aber auch internationale Organisationen wie die UNESCO bleiben von ihrer Analyse nicht verschont. Des Weiteren geht sie auf die Blickwinkel von Mitgliedern der Herkunftsgesellschaften der Objekte ein. Durch Savoys ausführliche Recherche, welche sie in etliche Archive und bis in die ‚Untiefen‘ der Keller renommierter Museen führte, deckt sie den organisierten Widerstand der Museumswelt Europas jener Jahre gegen die Restitutionsgesuche afrikanischer Länder auf.

Die traurige Erkenntnis ihrer Arbeit ist: Die heutige Debatte um Restitution ist nicht neu, sondern fand schon einmal fruchtlos statt. Bereits 1960 wurden von einigen der damals gerade unabhängig gewordenen afrikanischen Staaten (z.B. Nigeria) Restitutionsanfragen gestellt, welche jedoch lange kaum an die Öffentlichkeit gelangten. Stattdessen wurden sie innerhalb der Museumswelt und der Politik besprochen, wo sie „im Sand verliefen“.

Als wichtige Akteur*innen im Zusammenhang mit der Vereitelung von Restitutionsgesuchen identifiziert Savoy Personen in ranghohen Positionen deutscher Kultureinrichtungen, etwa den Präsidenten der Stiftung preußischer Kulturbesitz, Hans-Georg Wormit, oder den Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, Wilhelm Waetzoldt. Deren Empfehlungsscheiben an die Politik zum Umgang mit Restitutionsanfragen waren verfasst im Ton eines geschichtsvergessenen Narratives, welches die kolonialen Kontexte, in denen die afrikanischen Kulturgüter erworben wurden, verschleierte. Beispielhafte Argumentationen lauteten etwa, dass die im Besitz europäischer Museen befindlichen Kulturobjekte rechtmäßig erworben und Mittel der Völkerverständigung seien. Man stehe Rückgaben einzelner Objekte negativ gegenüber, da deren Restitution als Präzedenzfälle Konsequenzen für die gesamte europäische Museumswelt hätten. Das letzte Argument offenbart zugleich das zu Grunde liegende wirtschaftliche Motiv der deutschen Museumsdirektoren: Afrikanische Kunst bedeute eine hohe Wertsteigerung der eigenen Einrichtungen. Warum diese also kampflos zurückgeben?

Diese beispielhaften Argumentationen gegen Restitutionsgesuche finden sich erschreckender Weise noch heute und stellen eine Kontinuität rassistischer und paternalistischer Denkweisen dar. Schwerpunktmäßig untersucht Savoy die Geschichtsaufarbeitung und Restitution in Europa sowie die Perspektive europäischer Akteur*innen, sie nimmt daneben jedoch auch die Perspektiven der ehemaligen Kolonien in den Blick. Ihr Fokus liegt dabei auf Nigeria, da dieses Land Vorreiter beim Kampf um die Kunst seiner Vorfahr*innen war. Ergebnis ihrer Analyse ist, dass es bei der Rückgabefrage in der Perspektive der fordernden Länder nicht um eine Abrechnung mit Europa geht, sondern um eine Investition in Afrikas Zukunft. Sie haben Interesse an den Kulturgütern ihrer Vorfahr*innen, da Kultur als etwas betrachtet wird, das verbindet und Neues schafft.

 Mit dem Interesse an Restitution geht für die Fordernden auch der Wunsch an der Definitionsmacht über ihr kulturelles Erbe und an der Wissensproduktion darüber einher. So beschreibt Savoy, wie der nigerianische Kunsthistoriker Ekpo Eyo in den 1970ern in diesem Zusammenhang eine Dekonstruktion westlicher Begriffe und Kategorien der Kunstgeschichte für afrikanische Kunst vornahm. Des Weiteren verdeutlicht Savoys Buch auch den steinigen rechtlichen Weg, den ehemals kolonialisierte Nationen über etliche UN-Konferenzen gingen, um sich vor der internationalen Gemeinschaft Gehör zu verschaffen und ihre Rechte zu erkämpfen. Es waren Meilensteine wie die erste UN-Resolution 3187 (XXVIII) zum Thema Restitution von 1973, welche die öffentliche, globale und vor allem emotionale Debatte um Restitution initiierte. Doch trotz all dieser Unternehmungen zeigt Savoys Arbeit, dass erfolgreiche Restitutionen in der Mehrheit der Fälle nicht stattfanden, weil ihnen das übermächtige Schweigen und die Mauer der Bürokratie von Museen und Regierungen gegenüberstanden. So waren die Restitutionsforderungen aus subsaharischen Gebieten an deutsche Institutionen im Jahre 1982, also nach anderthalb Jahrzehnten erfolgloser Anfragen, fast verstummt. Und das Thema wurde aus dem gesellschaftlichen Gedächtnis der westlichen und afrikanischen Gesellschaft verdrängt.

Insgesamt wird deutlich: Die Museen stellten sich beim Thema Restitution in die Opferrolle und verstecken sich gleichzeitig unter dem Deckmantel der deutschen Bürokratie. Getreu dem Motto: „Das ist nicht unser Zuständigkeitsbereich“ schoben sie sich die Zuständigkeiten mit der auswärtigen Politik, der Kultusminister*innenkonferenz und dem Bundesinnenministerium hin und her. Sie setzen den Fokus auf die rechtliche Lage und Komplexität der Situation, bis die Anfragen verstummten. Neben den   teils organisierten Verhinderungen durch deutsche Museumsdirektoren sorgt ein weiterer Faktor dafür, dass Deutschland 1982 bei der Umsetzung von Restitutionsanfragen (neben Großbritannien) in Europa ganz weit hinten lag. Die deutsche UNESCO-Kommission fuhr eine besonders „harte Linie“ und erarbeitete „Richtlinien zur Abwehr von Restitutionen“, welche als allgemeine Haltung von der Bundesrepublik übernommen wurden, während andere europäische Länder liberaler eingestellt waren.

Dennoch beleuchtet Savoy auch ein paar Stimmen, die sich in Deutschland solidarisch für Restitutionen aussprachen, bspw. Leser*innenbriefe in Zeitungen. Vorreiter unter den Befürworter*innen der Restitution aus der Museumswelt war Herbert Ganslmayr, der Direktor des Überseemuseums Bremen. Auf politischer Ebene stand die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Hildegard Hamm-Brücher, Rückgaben positiv gegenüber und sprach sich 1982 dafür aus. Ihre Position war jedoch isoliert und stand gegen die Empfehlung zum „defensiven Verhalten“ des Auswärtigen Amts, aus dem sie 1982 auch ausschied.

 Das Fazit Savoys ist ernüchternd und stellt zum einen der deutschen Politik der 1960er bis 80er Jahre ein schlechtes Zeugnis aus, zum anderen lässt es die Leser*innen die Daseinsberechtigung europäischer Museen hinterfragen. Die Debatte um Restitution ist bis heute emotionalisiert und bürokratisiert. Abertausende Kulturobjekte lagern seit Jahrzehnten unter Ausschluss der Öffentlichkeit in den Kellern und Depots europäischer Museen und warten quasi auf ihre Rückführungen. Betrachtet man mit dem ghanaischen Archäologen und Museumskurator Emmanuel Kofi Agorsah die Restitutionsdebatte als „Element im Kampf gegen Kolonialismus, Rassismus und Apartheid“, dann verdeutlicht ihre Arbeit, dass Europa in diesem Bereich noch ein langer Weg bevorsteht. Dies veranschaulicht Savoys Forschungsergebnis und daher beendet sie ihren Bericht mit den Worten: „Fast jedes Gespräch, das wir heute über die Restitution von Kulturgütern nach Afrika führen, fand vor 40 Jahren schon einmal statt. [...] Die Männer, die sich in Europa nach 1960 gegen Restitution stemmten, haben […] eine gigantische kulturelle Schuld hinterlassen.“ Daraus folgt ihr Appell: „Es liegt an unserer Generation, Verantwortung zu übernehmen […]: eine ernst gemeinte und angesichts der verstrichenen Zeit ebenso zügige wie besonnene Restitution der Objekte, die im Unrechtskontext kolonialer Okkupation zu uns nach Europa gekommen sind und bereits seit einem halben Jahrhundert reklamiert werden [muss erfolgen].

Die Lektüre von „Afrikas Kampf um seine Kunst“ ist ein Muss, wenn man gesellschaftspolitisch interessiert ist und sich mit der aktuellen Restitutionsdebatte auseinandersetzen will. Durch Savoys Analyse anhaltender rassistischer und paternalistischer Argumentationsmuster in Fragen der Rückgabe von Kulturgütern werden die Leser*innen zwangsläufig mit ihren eigenen Standpunkten zu dem Thema konfrontiert und zur kritischen Hinterfragung derselben animiert. Durch Savoys gut verständliche Ausdrucksweise und den historisch orientierten Aufbau des Buches, der die Leser*innen durch die Geschichte der Restitutionsdebatte leitet, erfordert das Lesen keine besonderen Vorkenntnisse. Es handelt sich um ein populärwissenschaftliches Sachbuch und liest sich wie ein postkolonialer Krimi. Die detaillierte Aufarbeitung der Intrigen der Museen und Politik durch Savoy lässt die Leser*innen, vom Inhalt erschreckt und gleichzeitig beeindruckt von der Arbeit Savoys, das Buch nicht aus der Hand legen.

Joana Gorman

Bénédicte Savoy: Afrikas Kampf um seine Kunst: Geschichte einer postkolonialen Niederlage, München 2021, 256 Seiten, 24 € [D].

Leseprobe und mehr beim Verlag C.H. Beck,

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