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Presse-Dokumentation:

"Deutsche und italienische Kolonien in Chile"

Freiburger Zeitung, 04.01.1907, 1. Blatt, 2. Seite

„Deutsche und italienische Kolonien in Chile. Ueber die Entwicklung der Deutschen und der italienischen Kolonien in Chile bringt die Deutsche Zeitung in Valdivia einen interessanten Aufsatz, der leider wieder einmal zeigt, wie wenig selbstbewußt und großzügig das deutsche Kolonistentum im Außland im Gegensatz zu den anderen europäischen Staaten von der Heimat unterstützt wird.

Der Aufsatz schildert die unermüdliche Arbeit, mit der seit länger als einem Menschenalter der deutsche Kolonist in Südchile den Ackerboden schrittweise dem Urwald abgewonnen und aus ihm blühende Bauernkolonien geschaffen hat. Von allen Nationen, die damals die chilenische Regierung ins Land zog, sind allein die Deutschen und einige Holländer dem Ackerbau treu geblieben, während Italiener, Spanier, Franzosen und Engländer sehr bald in die Städte zogen, da sie nicht die Kraft und die zähe Ausdauer der Deutschen besaßen, die zur Urbarmachung des Urwaldes gehört. Jetzt, wo ein Menschenalter hindurch der Deutsche viele gröbste Arbeit getan und vollbracht hat, beginnt erneut im großen Umfang der Zuzug der anderen Nationen, insbesondere der Italiener, die sich in das vom Deutschen gemachte Bett legen.

Während die Italiener noch vor 20 Jahren nur in verschwindender Zahl in den kleineren Städten Nord-Chiles vertreten waren und im Süden überhaupt nicht vorkamen, ist heute das italienische Element über das ganze Land bis in den äußersten Süden stark verbreitet und zu bedeutenden Kolonien angewachsen. Ueberall, in Valparaiso, Fauique [?], Santiago, besitzen sie bedeutende Engros-Geschäfte. Wie schon seit längerer Zeit in Argentinien, so organisiert sich auch in Chile der Italiener zielbewusst und bewunderungswürdig. Vom Norden bis zum Süden wirkt die ganze italienische Kolonie gemeinsam mit ihrem Gesandten und ihren Konsuln, ihrer Presse und Kaufmannschaft für das italienische Volkstum. Es werden von ihnen selbst weitere italienische Kolonien begründet, aber die Leitung liegt nicht wie bei den Deutschen in den Händen von chilenischen, sondern von italienischen Regierungskommissaren. Während bei öffentlichen Sammlungen, wie anläßlich der Erdbebenkatastrophe in Valparaiso, die Deutschen sich einfach als chilenische Bürger beteiligen, veranstalten die Italiener unter Führung ihrer amtlichen Vertreter Sondersammlungen und bringen dadurch praktisch dem chilenischen Volk und Staat ihren Einfluß und ihre Kraft zum Bewußtsein. Die italienische Regierung unterstützt dieses Vorwärtstreiben des Italienertums in Chile zielbewußt, indem sie in kurzen Zeiträumen 1 oder 2 größere Kriegsschiffe nach Chile sendet, während die Deutschen in langen Zwischenräumen einmal durch den Besuch eines kleinen Kreuzers erfreut werden. Auch für den Nachschub wird auf italienischer Seite großzügig gesorgt. So hat sich erst jetzt wieder mit Unterstützung der Regierung eine italienische Gesellschaft mit einem Kapital von 5 Millionen Mark konstituiert, um Propaganda für die italienische Einwanderung nach Chile zu machen.

Demgegenüber sind die in Süd-Chile ohne die geringste Unterstützung vom Heimatland entstandenen blühenden deutschen Ackerbaukolonien in ihren Bestrebungen, sich ein deutsches Hinterland durch weitere deutsche Kolonien zu schaffen, nicht nur bei der deutschen Kaufmannschaft Nord-Chiles, sondern auch bei der deutschen Regierung mit ihrem Gesandten und Konsul ohne jede Unterstützung geblieben. Der Ausatz wirft letzteren vor, daß sie dem Ringen der deutschen Kolonien um ihr Volkstum schon seit einem Menschenalter ‚völlig verständnislos gegenüber gestanden haben.’ Nur dem letzten deutschen Gesandten wird hierin ein besseres Zeugnis ausgestellt.“

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