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Hintergrundtexte aus der iz3w zum deutschen Kolonialismus

Personen Lokalpresse

 

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in iz3w 285 (Juni 2005)


Am 12. Januar 1904 begann der Aufstand der Herero gegen die deutschen Kolonialherren in Deutsch-Südwestafrika. Diese beantworteten ihn mit einem grausamen Vernichtungsfeldzug (siehe iz3w 275). In Deutschland, besonders aber im heutigen Namibia wurde der 100. Jahrestag zum Anlass für ein Gedenkjahr genommen, in dem in sehr unterschiedlicher Weise an den deutschen Kolonialismus erinnert wurde.

Im Rahmen unserer fortlaufenden Reihe zum deutschen Kolonialismus zeichnet unser Autor Reinhart Kößler nach, welche innergesellschaftlichen Konflikte der heutige Umgang mit den Spätfolgen des Kolonialismus in Namibia zeitigt.

cover iz3w 285

Dringender Klärungsbedarf -

Das Gedenkjahr 2004 zeigt die Verwerfungen der post-kolonialen Gesellschaft in Namibia

von Reinhart Kößler

In Deutschland wurde der hundert Jahre zurückliegende Völkermord im heutigen Namibia nur mühsam ins öffentliche Bewusstsein gehoben. Eine Reihe von Hintergrundartikeln in der überregionalen Presse, ein Fernsehfeature, einige Ausstellungen und eine Reihe von Fachtagungen – von mehr herausragenden Ereignissen lässt sich nicht berichten. In Namibia dagegen nahmen das Gedenkjahr und die Art und Weise, wie Regierung und Zivilgesellschaft damit umgingen, eine zentrale Stellung ein. Das am meisten beachtete Ereignis war ohne Zweifel der Auftritt der deutschen Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul in Ohamakari bei der Gedenkveranstaltung für die entscheidende Schlacht im Herero-Deutschen Krieg (siehe iz3w 280). Was in der namibischen Presse tagelang die Schlagzeilen beherrschte, war in Deutschland aber gerade mal ein wenig Flügelschlagen bei den Oppositionsparteien wert. Diese wollten noch nicht einmal das rein verbale Schuldeingeständnis akzeptieren, das Wieczorek-Zeul endlich abgelegt hatte.

Diese Unterschiede in der öffentlichen Aufmerksamkeit mögen teilweise auf die unterschiedlichen Größenverhältnisse zurückzuführen sein. Ein Land mit 1,9 Mio. EinwohnerInnen im Südlichen Afrika wird in Deutschland weitaus weniger wahrgenommen als dies umgekehrt für die ehemalige Kolonialmacht in Namibia gilt. Auf der einen Seite ist die Erinnerung an eine historische Katastrophe geblieben, die das Leben vieler Menschen in Süd- und Zentralnamibia bis heute bestimmt. Auf der anderen Seite hingegen ließ sich das Geschehene ohne große Schwierigkeiten verdrängen. Diese eklatante Asymmetrie verweist auf das unterschiedliche Verhältnis, das Opfer und Täter zur Tat und ihren Folgen unterhalten. Gerade auf namibischer Seite aber verbinden sich mit den Herausforderungen einer adäquaten Erinnerungskultur und -politik im postkolonialen Kontext ernsthafte Probleme und Konflikte.

Bruchlinien mit Sprengkraft

Die namibische Gesellschaft ist durch ein Ausmaß an sozioökonomischer Ungleichheit geprägt, das zu den höchsten der Welt gehört. Es geht wesentlich auf die Verhältnisse des Siedlerkolonialismus zurück, auch wenn sich seit Beginn der 1980er Jahre und verstärkt seit der Unabhängigkeit 1990 eine schwarze Mittelklasse herausgebildet hat und eine größere Anzahl schwarzer Politiker, Manager und Unternehmer in die Elite aufgerückt ist. Die deutschsprachigen Nachkommen der kolonialen Siedler erfreuen sich in Namibia eines Lebensniveaus, das dem von Norwegen, also dem höchsten der Welt entspricht. Am anderen Ende der Skala leben die San (»Buschleute«) auf einem Niveau, das mit den ärmsten Ländern der Welt vergleichbar ist. Hinzu kommen deutliche regionale Unterschiede: So ist im Norden, wo es in kolonialer Zeit nicht zu weißer Besiedlung kam, das statistische Lebensniveau niedriger, aber auch die Ungleichheit geringer als im Zentrum und im Süden (Kößler 2005).

Dem entsprechen bedeutsame Unterschiede in den historischen Erfahrungen während der Kolonialherrschaft, die sich grob verschiedenen Gruppen und Regionen zuordnen lassen. Der große Kolonialkrieg kostete im Zentrum und im Süden des Landes bis zu 80 Prozent der Herero und 50 Prozent der Nama das Leben. Damit war die Bahn frei für die großflächige Etablierung einer Siedlerlandwirtschaft, die nach 1915 unter südafrikanischer Herrschaft fortgesetzt und intensiviert wurde. Während im Süden und im Zentrum die Grundlagen einer Apartheidsgesellschaft geschaffen wurden, blieb der Norden von deutscher Herrschaft weitgehend unberührt und wurde erst 1917 durch den südafrikanischen Nordfeldzug unterworfen. Doch blieb es im Norden bei indirekter Herrschaft, die zwar einschneidende Veränderungen der Lebensumstände vor allem durch das Wanderarbeitssystem brachte, aber nicht die Form strikter Kontrolle und die extrem eingeschränkten wirtschaftlichen Bedingungen, denen die Afrikaner in der weißen Siedlungszone im Süden unterlagen.

Gerade in den nördlichen Regionen mussten die BewohnerInnen vor allem während der letzten Phase des Befreiungskrieges in den späten 1970er und 80er Jahren die Brutalität des Kriegszustandes unter der südafrikanischen Besatzungsmacht erleben. Viele von ihnen waren – wie auch Menschen aus anderen Regionen des Landes – aber auch unmittelbar in diesen militärischen Kämpfen engagiert, während im Zentrum und Süden zivilgesellschaftliche Formen des Widerstandes im Vordergrund standen, die oft ebenfalls große Opfer erforderten.

In der offiziellen Version der namibischen Geschichte, wie sie sich während des ersten Jahrzehntes nach der Unabhängigkeit ab 1990 herauskristallisiert hat, werden nun die militärischen Aspekte des Befreiungskampfes stark betont, die zivilgesellschaftlichen dagegen in den Hintergrund gedrängt (Dobell 1998). Gleiches gilt für die frühe Phase des antikolonialen Widerstandes und insbesondere für den Herero-Deutschen und Nama-Deutschen Krieg. Dies hat neben einer militarisierten Sicht auf den Befreiungskampf (Melber 2002) auch zur Folge, dass der regionale und zeitliche Schwerpunkt dieser Geschichtskonstruktion die Erfahrung der zentralen und südlichen Regionen weitgehend auslässt. Beide Aspekte werden am Bildprogramm des 2002 eröffneten Heroes Acre am Stadtrand der Hauptstadt Windhoek visuell deutlich (siehe iz3w 264). Die koloniale Erfahrung wird vor allem unter Rückgriff auf Motive dargestellt, die eindeutig dem Norden und dem Befreiungskampf im Sinne eines konventionellen Krieges zuzuordnen sind.

Den symbolischen Asymmetrien entsprechen Ungleichheiten bei der regionalen Verteilung staatlicher Ressourcen, zumindest in der Wahrnehmung Betroffener, zumal von Herero-Aktivisten. Angesichts des deutlichen Aufholbedarfs, den die nördlichen Regionen zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit im Infrastrukturbereich hatten, war hier eine Schwerpunktsetzung wohl unvermeidlich. Doch erscheint die verbreitete Klage über die heutige Vernachlässigung der kommunalen Gebiete – der ehemaligen Homelands – im Süden und im Zentrum durchaus begründet. Verbreitet ist auch die Beschwerde, dass bei der bisherigen, sehr begrenzten Landreform kaum Ortsansässige – also die Nachfahren derer, die vor hundert Jahren enteignet wurden – Berücksichtigung fanden, sondern vorwiegend Personen, die aus dem Norden zugewandert sind oder nördlichen Ethnien zugerechnet werden. Zugleich sind unter den kommerziellen Farmern nach wie vor die Deutschsprachigen weit überrepräsentiert. Es kommt die Tatsache hinzu, dass in der medialen Öffentlichkeit die Möglichkeiten, eigene Standpunkte einschließlich historischer Gedächtnisinhalte zu verbreiten, in etwa entlang der sozioökonomischen Ungleichheiten verteilt sind. Diese strukturellen Konflikte werden momentan nicht in offener Kontroverse ausgetragen und haben bisher nicht zu ernsthaften Konfrontationen geführt. Dennoch sollte ihre Sprengkraft nicht unterschätzt werden.

Klage auf Reparationen

Das Feld der Erinnerungspolitik ist darüber hinaus parteipolitisch zerklüftet. Trotz der erheblichen Unregelmäßigkeiten bei den Parlamentswahlen Ende 2004 kann zwar kein Zweifel an der großen Mehrheit für die Regierungspartei Swapo bestehen; jedoch gibt es auf der Ebene von Regionen und ethnischen Gruppen erheblich kompliziertere parteipolitische Loyalitäten. Bis Mitte 2003 unterstützte die Mehrheit der Herero die Demokratische Turnhallenallianz (DTA). Die DTA war als Zusammenschluss ethnisch definierter Parteien aus der von der südafrikanischen Besatzungsmacht 1975 initiierten Turnhallen-Konferenz hervorgegangen und hatte in der Folge bei den verschiedenen Anläufen zu einer von Südafrika inszenierten »internen Lösung« jeweils die führende Rolle gespielt. Auch wenn die Motive einzelner Strömungen und Personen, sich auf diesen Prozess einzulassen, zweifellos sehr komplex gewesen sind, konnte sich die DTA vom Vorwurf der Kollaboration mit Südafrika nie befreien, auch als größte Oppositionspartei im unabhängigen Namibia.

Der Mitte 2003 unter Führung von Paramount Chief Riruako eingeleitete Austritt der Mehrheit der NUDO (National Unity Democratic Organization) aus der DTA hat nun die postkoloniale Herero-Identitätspolitik in einen unmittelbar parteipolitischen Zusammenhang gestellt. Denn die NUDO gilt traditionell als Herero-Partei, und Riruako ist heute als einer der drei NUDO-Vertreter auch Mitglied der Nationalversammlung. Innerhalb dieser Identitätspolitik spielt die in den USA eingereichte Reparationsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland und drei deutsche Firmen mit Kolonialvergangenheit eine wesentliche Rolle. Sie bestimmte über das gesamte Gedenkjahr 2004 hinweg die Erinnerungsaktivitäten wesentlich mit.

Die Klage wurde bereits im September 2001 durch die eigens gebildete Herero People’s Reparations Corporation auf der Grundlage der Alien Torts Claims Act eingereicht. Sie erhob die Anschuldigungen der Anzettelung und Durchführung eines Rassenkrieges sowie einer Völkermordskampagne gegen die Herero (zur Klage siehe Paech 2004 und Böhlke-Itzen 2004). Als Entschädigung werden von den Unternehmen sowie vom deutschen Staat je zwei Mrd. US-Dollar gefordert. Dieser Schritt kann als direkte Konsequenz aus den Erfahrungen mit einer Reihe von Besuchen hochrangiger deutscher Politiker in Namibia verstanden werden, allen voran Bundeskanzler Kohl 1995 und Bundespräsident Herzog 1998. Sie hatten sich einer Auseinandersetzung mit den Anliegen führender Herero mit dem Argument verweigert, beide Regierungen hätten sich darauf verständigt, dass die deutschen Verpflichtungen gegenüber Namibia in der Form einer besonders umfangreichen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) abgegolten würden. Die rot-grüne Koalition hat diese Politik nach 1998 nahtlos fortgeführt.

Namibia ist heute tatsächlich Schwerpunktland der deutschen EZ. Doch bleibt strittig, ob die spezifischen Leiden der Herero mit einer letztlich im Ermessen der Geber liegenden Leistung an den namibischen Gesamtstaat formell und moralisch kompensiert werden können. Zudem werden bei dieser EZ die vorwiegend von Herero bewohnten kommunalen Gebiete im östlichen Zentralnamibia gegenüber dem Norden vernachlässigt. Die Lage wird weiter dadurch kompliziert, dass keineswegs nur Herero Opfer der deutschen ‚Schutztruppe’ geworden sind. Der Nama-Deutsche Krieg wurde ebenfalls mit einer Völkermord-Strategie geführt und die Gefangenen in Konzentrationslagern der Vernichtung durch Vernachlässigung preisgegeben. Auch Damara und San sehen sich inzwischen als Opfer des Völkermordes durch die Deutschen.

Herero bestehen demgegenüber teilweise auf einer Exklusivposition, zumeist aber wenigstens auf der Gültigkeit der Reparationsforderung einzig für die eigene Gruppe, die schließlich auch allein die Initiative in Sachen Entschädigung ergriffen habe (Melber 2005). Daraus ergibt sich die Gefahr einer höchst problematischen Opferkonkurrenz (Chaumont 2001), die Tote und Leiden gegeneinander aufzurechnen sucht, um privilegierte Ansprüche zu begründen. Sie tendiert dazu, andere vom Gedenken ebenso wie von möglichen Entschädigungen auszuschließen.

Gedenkjahr im Konflikt

Bisher ist es nicht gelungen, die Zulassung der Herero-Klage zu erreichen, weil sich alle angerufenen US-Gerichte für nicht zuständig erklärten. Unabhängig von ihren geringen juristischen Chancen entfaltete die Klageinitiative jedoch erhebliche politische Wirkung, wie im Verlauf des Gedenkjahres 2004 deutlich wurde. Hier zeigte sich nicht nur eine beachtliche Mobilisierung unter Herero, sondern auch die oben skizzierten Bruchlinien traten deutlich zutage. Bereits im Vorfeld hatten sich zwei jeweils prominent besetzte Vorbereitungskomitees gebildet. Das »Chiefs’ Committee« stützte sich auf einen Auftrag des Herero-Senates und sah seine Aufgabe allein in der Organisation und Koordination der Gedenktage für den Herero-Deutschen Krieg. Das »Bishops’ Committee« – die Bezeichnung geht auf die Beteiligung der Bischöfe der aus der Rheinischen Mission hervorgegangenen Evangelisch-Lutherischen und der Deutsch-Lutherischen Kirche zurück – berief sich hingegen auf ein breiteres Mandat, das auch Gedenkaktivitäten zum Nama-Deutschen Krieg einschließen sollte.

Im Kontext des auf den Herero-Deutschen Krieg bezogenen Gedenkkalenders ging es vor allem darum, wem die Definitionsmacht über die Gedenkereignisse zukommen solle. Die parteipolitische Dimension ist unverkennbar – mit der zumindest wahrgenommenen Nähe des Chiefs’ Committee zu NUDO sowie des Bishops’ Comittee zur Swapo. Hinzu kommt, dass eine Reihe von Herero-Gruppen mit ihren traditionellen Führern, die mit bestimmten geographischen Zentren und Dynastien identifiziert werden, heute regierungsamtlich anerkannt sind, während Riruako diese Anerkennung bisher verweigert wurde – unter anderem mit Verweis darauf, dass das Amt des Paramount Chief gesetzlich nicht vorgesehen sei. Andererseits wird kaum ernsthaft bezweifelt, dass Riruako sich unter den Herero auf eine Mehrheit berufen kann.

Der Konflikt wurde gleich zu Beginn des Gedenkjahres öffentlich. Der hundertste Jahrestag wurde am Schauplatz des Geschehens in Okahandja begangen. Von Regierungsseite wurde diese Gedenkveranstaltung ebenso wie eine Reihe folgender Ereignisse, die jeweils an Wendepunkte des Krieges erinnern sollten, jedoch ignoriert. Das offizielle Namibia beschränkte sich im Wesentlichen auf die Herausgabe einer Gedenkbriefmarke – hauptsächlich mit dem Argument, man wolle auf bestimmte Gruppen gerichtete Aktivitäten vermeiden.

Das Bishops’ Committee agierte zunächst parallel zum Chiefs’ Committee und organisierte einen Tag nach dem Gedenktag in Okahandja eine eigene Gedenkfeier in Katutura (Windhoek). Damit war der Konflikt zwischen diesen beiden Gruppierungen unübersehbar geworden. Die gemeinsame Organisation der zentralen Gedenkfeier am 14. August in Ohamakari erforderte lange Verhandlungen und schwierige Kompromisse. Sie kamen deutlich in der Programmplanung zum Ausdruck, die eine Vielzahl von Redebeiträgen vorsah, um politische Vielfalt, aber auch die Repräsentation unterschiedlicher Regionen Namibias – insbesondere des Nordens, aber auch von Nama – zu gewährleisten. Obwohl einige dieser Beiträge am Ende ausfielen, wurden die vorgesehene Redezeit einschließlich Übersetzung ins Ojtiherero bzw. Englisch drastisch überschritten, so dass wichtige Reden noch nach Eintritt der Dunkelheit gehalten werden mussten.

Am Ende hatte die Herero-Erinnerungspolitik jedoch nicht nur wegen der Teilnahme der deutschen Ministerin offenkundige Fortschritte gemacht. Mit dem damals bereits designierten Nachfolger von Präsident Nujoma, Hifikepunye Pohamba, war ein ausgesprochen hochrangiges Regierungsmitglied aufgetreten. Hinzu kam die Anwesenheit des Ndonga-Königs Kauluma, dessen Vorgänger Nehale nun eine strategische Allianz mit den Herero während des Krieges 1904 zugeschrieben wurde, die er mit dem Angriff seiner Krieger auf das Fort Namutoni am Südrand seines Machtbereiches eingelöst habe. Weil König Kauluma zugleich Vorsitzender des Council of Traditional Leaders von Namibia ist, verlieh seine Anwesenheit den Anliegen der Herero zusätzliches Gewicht. Hinzu kam der freilich nur teilweise gelungene Versuch, ein weites Spektrum traditioneller Gemeinschaften aus Süd- und Zentralnamibia durch hochrangige Vertreter an dem Ereignis zu beteiligen.

Vorrang hatten in Ohamakari jedoch die spezifischen Themen und rituellen Formen, die seit Jahrzehnten mit der Herero-Identität verbunden sind. Das gilt für die berühmte, an viktorianischen Vorbildern angelehnte Frauenkleidung ebenso wie für die phantasievoll ausgestalteten Uniformen der Otjiserandu (Truppenspieler), die gemeinsam das Bild beherrschten, vervollständigt durch das Marschieren und Galoppieren der Uniformierten. An prominenter Stelle traten Vertreter von Herero im Exil auf, deren Vorfahren die Flucht in die damalige britische Kolonie Bechuanaland (das heutige Botswana) gelungen war, oder aber die zur Arbeit in die Bergwerke am Witwatersrand rekrutiert worden und so in relative Sicherheit gelangt waren. Deren Nachfahren sehen sich noch heute als versprengt, und gerade aus Südafrika wird von Erfahrungen der Diskriminierung berichtet. Auf der Gedenkfeier betonten sie, wie wichtig es für sie sei, hier unter Herero sein zu können.

Neben diesem Motiv der Sammlung einer durch Krieg und Völkermord versprengten »Nation« stand ein Appell, den zahlreiche Anwesende an »die Deutschen« richteten: Sie sahen deren Verantwortung nicht nur in dem Genozid begründet, sondern auch in der Abstammung vieler Herero von deutschen Soldaten oder Siedlern – mit anderen Worten aus den Folgen von Vergewaltigung, Zwangsprostitution und Konkubinat mit kriegsgefangenen Herero-Frauen. Viele BesucherInnen der Gedenkveranstaltung trugen lindgrüne Pappschilder mit den Familiennamen ihrer deutschen Vorfahren um den Hals, die keineswegs anonym sind, sich aber in den seltensten Fällen verantwortlich gefühlt und gezeigt hatten. Die so bestehende Blutsverwandtschaft, die hier nicht auf Einzelpersonen, sondern auf Völker bezogen wird, begründe eine besondere Verpflichtung Deutschlands gegenüber Herero, wurde argumentiert.

Entschuldigung im Zwielicht

In dieser komplizierten Situation war die Bundesrepublik Deutschland in Gestalt ihres Botschafters, aber auch des Beauftragten des Deutschen Entwicklungsdienstes (ded) unvermeidlich Akteur. Man mag in der Beteiligung des Botschafters an der Gedenkfeier in Okahandja oder in der deutschen Initiative zum Aufbau eines Kultur- und Tourismuszentrums in unmittelbarer Nachbarschaft des Schlachtfeldes von Ohamakari das Bemühen um ein angemessenes Auftreten erkennen. Jedoch wurden derartige Anstrengungen durch die konstante Weigerung der deutschen Diplomatie überschattet, eine »entschädigungsrelevante Entschuldigung« auszusprechen (so die unnachahmliche Formulierung ihres obersten Dienstherrn Fischer). Auch die Resolution, die der Bundestag im Sommer nach langem Gezerre endlich verabschiedete (Kößler 2004), verstärkte den Eindruck weiter Kreise in Namibia, das offizielle Deutschland drücke sich um eine ernsthafte Auseinandersetzung weiter herum.

All dies zeigt, dass die deutsche Entschuldigung zu einem zentralen Thema in der namibischen Erinnerungspolitik wurde. Das postkoloniale Verhältnis tritt deutlich hervor: Zum einen lässt sich bei der Bestimmung von Erinnerung der koloniale Kontext nicht umgehen, zum anderen bestimmt auch das heutige Verhalten der einstigen Kolonialmacht die zentralen Themen und Modalitäten des Erinnerungsdiskurses. Schon aus diesem Grund hat die ausdrückliche Entschuldigung der deutschen Ministerin die Lage verändert – freilich nicht so grundsätzlich, dass damit das Problem der Entschädigung vom Tisch wäre. Dieses stellt sich vielmehr mit neuer Dringlichkeit, nicht zuletzt auch hinsichtlich der Frage, wem überhaupt die Definitionsmacht darüber zustehen soll, eine Entschuldigung als glaubwürdig anzusehen.

Eine im November 2004 mit unklarer Zielsetzung einberufene Konferenz in Bremen, an der nach einigem Tauziehen auch ein breites Spektrum von Vertretern unterschiedlicher Strömungen und Gruppen von Herero teilnehmen konnte, verstärkte den Eindruck, dass hier dringender Klärungsbedarf besteht. So erklärte Ministerin Wieczorek-Zeul per Zeitungsinterview im Vorfeld den Bremer Bürgermeister Scherf zum Vorsitzenden eines Versöhnungsrates, von dem die TeilnehmerInnen noch gar nichts gehört hatten.

Zugleich war inzwischen deutlich geworden, dass Wieczorek-Zeul keineswegs beabsichtigt, aus ihrer Entschuldigung die naheliegende Konsequenz einer Entschädigung zu ziehen, sondern offensichtlich meint, zur EZ-Routine zurückkehren zu können. Darin ist sie sich mit der namibischen Regierung nach wie vor einig, wie der in Bremen anwesende Informationsminister Mbumba deutlich machte.

Auch die Bremer Ereignisse fanden in Namibia anders als in Deutschland ein breites Presseecho. Ihre Aufarbeitung unterstreicht die Schwierigkeiten der unterschiedlichen Herero-Gruppierungen, mit einer Stimme zu sprechen. Zugleich zeigt sich, dass das Vorgehen der Bremer Konferenzveranstalter (einer Gruppe, die aus dem Bremer Namibia-Projekt hervorging, das während der 1980er Jahre verdienstvolle Arbeit geleistet hatte) nicht zur Offenheit eines Prozesses beitrug, der offenkundig nicht allein auf Regierungsebene ausgehandelt werden kann. Die Forderung, zivilgesellschaftliche Akteure auf beiden Seiten zu beteiligen, erscheint zwar als unverzichtbar, erweist sich aber nicht als Lösung, sondern eher als Teil des Problems. Dass die formale Legitimität solcher zivilgesellschaftlicher Akteure problematisch ist, liegt in der Natur der Sache. Umso wichtiger ist daher eine Transparenz, die bei den bisherigen Versuchen, ein Gremium zur Aushandlung des notwendigen Versöhnungsprozesses zu konzipieren, nicht erkennbar war.

Diskriminierung durch Leugnung

Die Weigerung der namibischen Regierung, sich auf einen anderen Prozess einzulassen als Verhandlungen zwischen souveränen Staaten, stützt derweil nach wie vor die Haltung ihrer deutschen KollegInnen. Der deutschen Regierung fällt unter diesen Umständen eine Verantwortung zu, der sie bisher nicht gerecht geworden ist. Der Konflikt um Entschädigung, in dem sie ebenso wie ihr namibisches Gegenüber nur eine Partei unter mehreren ist, bleibt potenziell explosiv, zumal er mit der nach wie vor ungelösten Landfrage verbunden ist.

Die ehemalige Kolonialmacht darf sich hier nicht aus der Verantwortung stehlen. Das tut sie aber, wenn sie sich hinter den geläufigen, aber keineswegs überzeugenden, auch von der namibischen Regierung vorgebrachten Argumenten verschanzt, Entschädigung einzig für bestimmte Gruppen könnte tribalistische Konflikte anheizen. Die Leugnung heutiger, kolonial verursachter Unterschiede läuft auf Diskriminierung hinaus; die namibische Öffentlichkeit und Gesellschaft sind eben komplexer, als dies regierungsamtlich repräsentiert wird. Hier ist ein Eingehen auf die Wünsche und Bestrebungen derjenigen gefragt, die sich heute noch mit guten Gründen als Betroffene des Völkermordes vor hundert Jahren sehen. Deren Schwierigkeiten, ihre Diskussionen zu koordinieren und zu gemeinsamen Forderungen zu bündeln, sind integraler Teil der postkolonialen Situation. Es wäre schäbig, dies zur Verschleppung des Problems zu nutzen.

Reinhart Kößler ist Professor für Soziologie an der Universität Münster und Vorstandsmitglied der Informationsstelle Südliches Afrika (ISSA) in Bonn.

Literatur:

  • Böhlke-Itzen, Janntje (2004): Kolonialschuld und Entschädigung. Der deutsche Völkermord an den Herero 1904-1907. Frankfurt am Main.
  • Chaumont, Jean-Michel (2001): Die Konkurrenz der Opfer. Genozid, Identität und Anerkennung. Lüneburg.
  • Dobell, Lauren (1998): Swapo’s Struggle for Namibia, 1960-1991: War by Other Means. Basel.
  • Hinz, Manfred O. (2005): Von Aktivist zu Aktivist: Eine offene Antwort an Kae Matundu-Tjiparuro, Entwicklungspolitik 7/8 2005.
  • Kößler, Reinhart (2004): Zu spät – und dann viel zu wenig: Die Bundestags-Resolution zum Kolonialkrieg in Namibia, afrika süd 2004/4.
  • Kößler, Reinhart (2005): Im Schatten des Genozids: Erinnerungspolitik in einer extrem ungleichen Gesellschaft. In: Henning Melber (Hg.), Genozid und Gedächtnis. Frankfurt am Main (i.E.).
  • Matundu-Tjiparuro, Kae (2005): An Open Letter to Professor Hinz and Fellow Verkrampte Academics, Entwicklungspolitik 7/8 2005.
  • Melber, Henning (2003): ,Namibia, land of the brave’: Selective memories on war and violence within nation building. In: Jon Abbink, Mirjam
  • de Bruijn & Klaas van Walraven (Hg.), Rethinking Resistance: Revolt and Violence in African History Leiden, S. 305-327.
  • Ders. (2005): How to come to terms with the past: Revisiting the German Colonial Genocide in Namibia, afrika spektrum (i.E.).
  • Paech, Norman (2004): Der juristische Weg der Wiedergutmachung: Schadensersatz für Völkermord? In: Böhlke-Itzen, S. 11-25.