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Rezension von:

Kolonialismus und Erinnerungskultur. Die Kolonialvergangenheit im kollektiven Gedächtnis der deutschen und niederländischen Einwanderungsgesellschaft

Afrika - Kultur und Gewalt. Hintergründe und Aktualität des Kolonialkriegs in Deutsch-Südwestafrika

Personen Lokalpresse

 

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Postkoloniale Erinnerungskultur

Als im Mai 2005 in Berlin, ein Steinwurf neben dem Brandenburger Tor, das „Denkmal für die Ermordeten Juden Europas“ der Öffentlichkeit übergeben wurde, wohnten neben der gesamten Staatsspitze auch Tausende Menschen der Einweihungsfeier des Mahnmals bei. Als Ende Februar, also ein paar Wochen zuvor, in der angrenzenden Wilhelmstraße die Gedenkstele für die Kongo-Konferenz von 1884/85 enthüllt wurde, war kein einziger Repräsentant der Bundesrepublik oder der Bundeshauptstadt Berlin zugegen. Erschienen war lediglich ein Häuflein von Personen, die daran erinnerten, dass hier vor 120 Jahren die Vertreter der Kolonialmächte die völkerrechtlichen Modalitäten für die Aufteilung Afrikas ausgehandelt hatten. Die Stele memoriert aber nicht nur eines der zentralen Ereignisse der europäischen Kolonialgeschichte, sondern auch den Kolonialkrieg von 1904-1908 in Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia), der, wie es auf der Tafel heißt, „in einem Völkermord (endete)“.

So finden sich heute im Zentrum Berlins zwei Denkmäler, die an die beiden im 20. Jahrhundert von Deutschen begangenen Genozide erinnern. Warum das eine Ereignis zum zentralen Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses der deutschen Gesellschaft gehört, das andere fast gänzlich in Vergessenheit geraten ist oder allenfalls eine marginale Rolle in der Erinnerungspolitik Deutschlands spielt, ist eine der Fragen, die gegenwärtig diskutiert werden. Erst langsam setzt sich hierzulande die Erkenntnis durch, dass Deutschland eine postkoloniale Gesellschaft ist, die die „Leerstelle koloniale Vergangenheit” noch aufzuarbeiten hat.

Mit den Folgen des Kolonialismus für die „Metropole“ beschäftigt sich am Beispiel der Niederlande und Deutschlands ein von Helma Lutz und Kathrin Gawarecki herausgegebener Sammelband. Hervorgegangen ist er aus der Tagung „Postkolonialismus und Erinnerungskultur. Blinde Flecken im kollektiven Gedächtnis der Niederlande und Deutschlands?“, welche Anfang April 2004 in Münster stattfand. Die vom Zentrum für Niederlande-Studien der dortigen Universität organisierte Tagung griff eine aktuelle Debatte auf, sind doch kürzlich beide Länder anlässlich von Jahrestagen mit ihrer kolonialen Vergangenheit konfrontiert worden. Die Niederlande beging im Jahr 2002 das 400. Gründungsjubiläum der Vereinigten Ostindischen Kompanie (VOC) und in der Bundesrepublik gedachte man 2004 und 2005 den 100 Jahre zurückliegenden Kolonialkriegen in Namibia und Tansania.

In ihrem einleitenden Essay stellen die beiden Herausgeberinnen fest, dass die von Opfern und Tätern geteilte Erfahrung des Holocaust als Eckpunkt einer kollektiven europäischen Identität betrachtet wird. Die damit entstandene Kultur des „negativen Gedenkens“ wird jedoch von manchen bezweifelt, so von dem nigerianischen Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka. Dieser moniert die fehlende Bereitschaft der weißen Europäer, sich mit der anderen gewalttätigen Vergangenheit, dem europäischen Kolonialismus, selbstkritisch auseinanderzusetzen. Ganz in diesem Sinne hatte schon Hannah Arendt 1951 angemerkt: „Die wissenschaftliche Forschung hat sich fast ausschließlich auf das Deutschland Hitlers und das Russland Stalins konzentriert, auf Kosten ihrer harmloseren Vorgänger.“

Wie auch die anderen ehemaligen Kolonialmächte Europas, tun sich die Niederlande und Deutschland schwer damit, die negativen Auswüchse ihrer Fremdherrschaft in Übersee zur Kenntnis zu nehmen. Nichtsdestotrotz ist heute - insbesondere unter den jüngeren Generationen - die Kolonialgeschichte zu einem Traditionselement einer primär negativen Identifikation geworden. In den Niederlanden sind es vor allem die zahlreichen Kolonialmigranten aus Indonesien, Surinam und den Antillen, die die Gesellschaft mit den Kolonialverbrechen konfrontieren. Fremdfeindlichen und rassistischen Tendenzen der weißen Mehrheitsgesellschaft halten die Einwanderer selbstbewusst den Slogan entgegen: „We are here because you were there“. Hiermit ist auch einer der wesentlichen Unterschiede zwischen beiden Nachbarstaaten angesprochen, denn in der Bundesrepublik gibt es eine im Vergleich dazu verschwindend kleine schwarze Diaspora. Allerdings ist es hierzulande gerade auch die afrodeutsche Community, die die Aufarbeitung der Geschichte des Kolonialimperialismus vorantreibt, um damit die strukurellen Wirkungsmechanismen von Rassismus und Diskriminierungen aufzudecken. Hier wie dort stellt sich jedoch die Frage, inwieweit diese nun in Gang gekommene Auseinandersetzung auch die breiten Bevölkerungsschichten erreicht.

In dem Tagungsband finden sich die Texte von zwölf AutorInnen, die sich den nachkolonialen Erinnerungskulturen in der Geschichtswissenschaft, der Literatur- Film- und Denkmalgeschichte und der (Gedenkstätten-)Pädagogik widmen. Wie von dem Herausgeberteam selbst angemerkt, hat aber nur ein Autor seinem Text eine komparative Perspektive zugrunde gelegt, nämlich Rudolf Leiprecht in seiner Untersuchung zur „Erinnerungspädagogik in pluriformen Einwanderungsgesellschaften“.

Ein von Christof Hamann edierter Sammelband dokumentiert die Vorträge einer weiteren Tagung, die im Juli 2004 in der Evangelischen Akademie Iserlohn abgehalten wurde. Die Beiträge des Buches konzentrieren sich ebenfalls auf kulturhistorische Themenstellungen, das heißt welche Rezeption die kolonialdeutsche Gewaltherrschaft in Südwestafrika in der Literatur, Wissenschaft und Populärkultur erfahren hat. So behandelt beispielsweise Nana Badenberg die Entstehung des Pfadfindergedankens aus dem Geist des Kolonialkriegs; Christof Hamann hat sich die Erinnerungsfigur des „Südwester Reiters“ vorgenommen; Hansjörg Bay spürt der Präsenz der kolonialen Vergangenheit in Romanen der Gegenwart nach.

Beide Bücher gewähren interessante Einblicke in die deutsch-namibische und niederländische Erinnerungskultur. Und einmal mehr zeigen die sich auf Deutschland beziehenden Beiträge, dass die Kolonialpolitik des wilhelminischen Kaiserreiches keine „folgenlose imperiale Episode“ gewesen ist und die Bundesrepublik auch nicht als eine „unbelastete“ ehemalige Kolonialmacht gelten kann. Dass Letzteres für alle Länder Westeuropas zutrifft, wurde im Jahr 2002 deutlich, als Barryl Biekman, Vorsitzende des Nationalen Forums für die Sklavereivergangenheit, in Amsterdam bei der Einweihung des nationalen „Denkmals gegen Sklaverei“ sagte: „Unser Holocaust hat 350 Jahre gedauert, ich habe die Geschichte der Sklaverei in meinen Genen“.

Joachim Zeller

Helma Lutz / Kathrin Gawarecki (Hg.): Kolonialismus und Erinnerungskultur. Die Kolonialvergangenheit im kollektiven Gedächtnis der deutschen und niederländischen Einwanderungsgesellschaft, Niederlande-Studien Bd. 40, Waxmann, New York/München/Berlin 2005, ISBN 3-8309-1491-1.

Christof Hamann (Hg.): Afrika - Kultur und Gewalt. Hintergründe und Aktualität des Kolonialkriegs in Deutsch-Südwestafrika. Seine Rezeption in Literatur, Wissenschaft und Populärkultur (1904-2004), Tagungsprotokolle, Institut für Kirche und Gesellschaft, Iserlohn 2005, ISBN 3-931845-87-7.

Diese Rezension ist zuerst erschienen in: afrika süd. Zeitschrift zum südlichen Afrika, März/April 2006, S. 38f.