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Rezension

Phantastische Orte? Phantasiereiche!

Personen Lokalpresse

Birthe Kundrus (Hg.): Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus. Campus, Frankfurt 2003, 327 Seiten, 33 Abbildungen, Euro 34,90

Phantastische Orte? Phantasiereiche!

Welche Spuren hat der deutsche Kolonialismus bei den Kolonisierenden hinterlassen? Wie der Titel Phantasiereiche bereits andeutet, hebt dieser Sammelband »die Bedeutung von Phantasien als wichtiges und lange Zeit unterschätztes Antriebsmoment in der kolonialen Bemächtigungsgeschichte« hervor. Dabei wird analysiert, wie verschiedene Kolonialdiskurse die kulturelle und mentale Formierung der Kolonisierenden beeinflusst haben. Es geht in den 15 Beiträgen also zur erfrischenden Abwechslung einmal um Migrationsprozesse in die Gedanken- und Gefühlswelt der deutschen Gesellschaft. Herausgeberin Birthe Kundrus betont, dass eine Beschäftigung mit Phantasie nicht zwangsläufig die Vernachlässigung der Realgeschichte bedeute. Vielmehr seien in der europäischen Expansionsgeschichte Phantasie, Plan und Praxis immer eng miteinander verknüpft gewesen.

In seinem Beitrag »Der ewige Zweite« bezeichnet Russell Berman den deutschen Kolonialismus als »sekundär«, da sein Hauptantrieb in der erhofften Gleichstellung mit anderen Kolonialmächten wie Großbritannien bestand. Der deutsche Kolonialismus hatte stark nachahmenden Charakter. Berman nennt dies eine »imitative Identifikation mit anderen Kolonialmächten.«

Birthe Kundrus thematisiert in ihrem Aufsatz das koloniale Mischehenverbot im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Rassengesetzgebung. Sie betont die Unterschiede zwischen dem aus dem Judenhass hervorgegangenen Antisemitismus, der stets als Bedrohung von Innen begriffen wurde, und dem anthropologischen Rassismus gegenüber AfrikanerInnen. Deshalb weist sie die These einer Kontinuität vom Kolonialismus zum Nationalsozialismus entschieden zurück: »So bedenkenswert der Hinweis auf die kolonialen Vorläufer nationalsozialistischer Rassentrennungs-Visionen ist, so problematisch erscheint es, darüber die Differenzen der zugrunde liegenden rassistischen Feindbilder und der aus ihnen resultierenden Praxis der Verfolgung zu vernachlässigen.« Ein Argument dafür, dass die Beamten des NS Juden als weitaus bedrohlicher als Afrikaner empfanden, war die unterschiedliche Systematisierung jüdischer und afrikanischer »Mischehen«. Das Delikt der »Rassenschande« wurde in den Augen der Nazis nur von Juden »begangen«, für Menschen afrikanischer Herkunft existierte dieser »Tatbestand« hingegen nicht.

Lora Wildenthal stellt in ihrem Text unterschiedliche Frauenorganisationen der deutschen Kolonialbewegung vor. Der Frauenbund der deutschen Kolonialgesellschaft betonte die Notwendigkeit der deutschen Frau als gleichwertige Partnerin des Kolonisten. Die Träume von Emanzipation wurden in die Kolonien verlagert. Dort, so schien es, konnten Frauen gleichberechtigt mit Männern leben und arbeiten. Die Aufwertung der eigenen Position gelang immer nur über die gleichzeitige Abwertung afrikanischer Männer und Frauen. Deutsch und weiß zu sein war entscheidend, das Geschlecht verlor in der Frage um soziale Partizipation innerhalb der Kolonialgesellschaft an Bedeutung.

Dank solcher Aufsätze ist das Buch ein lesenswerter Beitrag zur Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus. Nicht zuletzt aufgrund der Anwendung kulturwissenschaftlicher Ansätze aus dem Bereich der colonial/ postcolonial studies wirft es einen vielfältigen und innovativen Blick auf koloniale Spuren in Deutschland.

Iris Erbach

Diese Rezension ist zuerst erschienen in: iz3w Nr. 276 (2004), S. 35

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