logo

Rezension

»Zivilisierung« durch Rassenkrieg

Personen Lokalpresse

Jürgen Zimmerer und Joachim Zeller (Hg.): Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904-1908) in Namibia und seine Folgen. Chr. Links Verlag, Berlin 2003, 276 Seiten, Euro 22,90

»Zivilisierung« durch Rassenkrieg

Der Sammelband zum Völkermord in Deutsch-Südwestafrika bietet eine gelungene Zusammenstellung verschiedenster Aspekte, die weit über das im Titel angekündigte Thema hinausgehen. So finden sich Darstellungen der Geschichte Namibias vor und während der ersten Missionierungsversuche im 19. Jahrhundert. Anspruch der Herausgeber Jürgen Zimmerer und Joachim Zeller ist es, dem Vorurteil von den bis zur Zivilisierung durch die Europäer ‚geschichtslosen Völker’ entgegenzuwirken. Das Buch will ein differenziertes Bild der Akteursgruppen mit ihren verschiedenen Strategien, Handlungen und auch verzerrten Wahrnehmungen zeichnen. Zu diesen Verzerrungen gehört, dass die Vorstellung von der totalen Kontrolle über die so genannten »Schutzgebiete« lange Zeit mehr Fantasie als Realität war und die Kolonialherren auf Duldung durch örtliche Chiefs angewiesen waren. Diese verfolgten ihre eigenen Ziele und schmiedeten je nach Lage mit den Deutschen Allianzen gegen konkurrierende Clans.

Mittelfristig gewann die deutsche Kolonialverwaltung jedoch immer mehr Macht. Sie arbeitete daran, einen kolonialen Musterstaat mit Rassentrennung und Arbeitszwang für die Schwarze Bevölkerung zu errichten. Im Unterschied zu anderen deutschen Kolonien gab es in Deutsch-Südwest eine nennenswerte Siedlerbewegung. Größte Sorge bereitete den Beamten vor Ort der »Mangel an weißen Frauen« und damit verbunden die »Mischehenfrage« sowie das Anwachsen der »Mischlingsbevölkerung«. Eine besondere Bedrohung wurde in der Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit durch Kinder deutscher Väter gesehen, weshalb versucht wurde, »Mischehen« zu unterbinden.

Der entscheidende Wendepunkt in ‚Südwest’ war der in einen Völkermord ausartende Sieg über die Herero und Nama im Krieg von 1904-08. Ein großer Teil von ihnen wurde direkt oder indirekt umgebracht, die Überlebenden enteignet, entrechtet und viele über Jahre versklavt. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der Beitrag von Gesine Krüger, der den »Rassenkrieg« der deutschen Truppen in Beziehung zu Geschlechterrollen setzt. Denn in diesem Krieg hatten – teilweise nachweislich erfundene – Geschichten über von Herero-Männern verübte Gräuel an weißen Frauen, aber auch über die besondere Bestialität der Herero-Frauen eine wichtige propagandistische Funktion. »In solchen Bildern konnten Soldaten auch eigene Erfahrungen verarbeiten. Die Erfahrung der eigenen Hilflosigkeit konnte auf die verwundbare und verwundete weiße Frau projiziert werden und die Erfahrungen der Niederlage auf die brutale schwarze Frau, deren entfesselter Gewalt zudem nicht mit militärischer ‚Fairness’ begegnet werden konnte.« Soldaten wie männliche Zivilbevölkerung haben Vergewaltigungen offenbar als Recht des Siegers und afrikanische Frauen in den Gefangenenlagern als leichte Beute angesehen.

An vielen Punkten wird in dem Buch deutlich, dass die »Schutzgebiete« ganz erhebliche Bedeutung für die Selbstkonstruktion des deutschen Reiches als (zivilisationsbringende) Volksgemeinschaft hatten, auch wenn sie im Vergleich zu Kolonien anderer Kolonialmächte an Zahl und Größe gering waren. Medardus Brehl berichtet, dass koloniale Siedlerromane, Kinderbücher und sogar Literatur über die Niederschlagung des »Herero-Aufstandes« in teils hohen Auflagen erschienen. Die Vernichtung der Herero wurde darin weder bestritten noch bagatellisiert, sondern als gerechtfertigter Beitrag zu einem allgemeinen Prozess der Entwicklung einer Weltkultur gedeutet.

Nicht unproblematisch ist die insbesondere von Herausgeber Jürgen Zimmerer vertretene These, die von der Kontinuität zwischen Völkermord in Deutsch-Südwest und Holocaust ausgeht. Er bestreitet nicht das Vorhandensein von Unterschieden, bewertet sie aber als lediglich graduell. Der ultimative Tabubruch, bestimmte Gruppen von Menschen zu vernichten, sei zuerst in den Kolonien vollzogen worden und habe dann seine radikalste Ausprägung im Holocaust gefunden und diesen erst denkbar gemacht. Zwar ist es ein Verdienst des Buches, Entwicklungslinien (Anfänge einer bürokratisierten Vernichtung im Lager) und den »Laborcharakter« der Siedlerkolonie aufzuzeigen. Doch die Einordnung des Völkermordes an den Herero als »entscheidender Schritt« in Richtung Auschwitz ist unzulässig: zu groß sind die Unterschiede bei den Legitimationsideologien, beim Grad der Bürokratisierung und auch beim unvorstellbaren Ausmaß der Vernichtung von Menschenleben durch Antisemitismus und Zweiten Weltkrieg. Der Holocaust hat sicher nicht in einem historischen Vakuum stattgefunden und man sollte auch mehr zur Bedeutung des Kolonialismus in diesem Zusammenhang forschen, doch der Bruch, den er markiert, lässt sich nicht einfach in eine Abfolge von Brüchen einordnen.

Trotzdem ist das Buch insgesamt ein sehr wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung der deutsch-namibischen Geschichte, dem hoffentlich noch einige mehr dieser Art folgen werden.

Heiko Wegmann

Diese Rezension ist zuerst erschienen in: iz3w Nr. 276 (2004), S. 34

logo