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Kolonialismus und Geografie

 

Im Dienste des Imperiums - Die Geographen der Berliner Universität zwischen
Kolonialwissenschaften und Ostforschung

von Jürgen Zimmerer

Die Entwicklung der geographischen Forschung an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin ist symptomatisch für den dramatischen Aufstieg, den die Geographie als akademische Disziplin im 19. Jahrhundert nahm. Noch 1871 hatte es im neu gegründeten Deutschen Reich nur zwei Professuren gegeben, war Geographie kein eigenständiges Schulfach. Der folgende Aufstieg war eng verbunden mit den politischen Entwicklungen in Deutschland, insbesondere der wachsenden Kolonialbegeisterung, die schließlich 1884/85 in der formellen Erklärung von Deutsch-Südwestafrika, Deutsch-Ostafrika, Kamerun, Togo und verschiedener Inselgruppen in der Südsee zu deutschen Schutzgebieten mündete. Koloniale Phantasien und das Interesse für Reiseberichte und 'Entdeckungen' fremder Länder und Kulturen besaßen allerdings in Deutschland eine viel längere Tradition, Kolonialismus beschränkt sich nicht auf formelle Kolonialherrschaft. In einer geradezu symbiotischen Beziehung zwischen ihr und dem wachsenden Kolonialenthusiasmus in Deutschland bot sich der Geographie die Möglichkeit, ihren praktischen Wert unter Beweis zu stellen, was sich für sie wiederum in gewachsenem gesellschaftlichen Ansehen, universitären Planstellen sowie leichterem Zugang zu Forschungsgeldern niederschlug. Zwar gab es sicherlich auch dem Kolonialismus gegenüber kritisch eingestellte Geographen, die überwiegende Mehrheit von ihnen teilte wohl mit dem übrigen nationalen Bürgertum die Begeisterung für Deutschlands neues Prestige in der internationalen Politik, wie es sich im Besitz eines überseeischen Imperiums ausdrückte....

Der Text ist zuerst erschienen in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte Bd. 7 (2004), S. 73-100, die Online-Stellung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Zum ganzen Text ... (pdf, 27 Seiten)

Abstract
While the importance of scientific research and scholarly participation for the National Socialist policy of exploitation and extermination has been widely researched, the relationship between academics and the first German attempt to win 'Lebensraum' - the colonial empire (1884-1919) - has been largely neglected. This article considers the case of Geography. Strong ties existed between German geographers - here from the Friedrich-Wilhelms-University in Berlin - and the colonial administration. Long before 1884, they used the strenghtening colonial movement to gain public prestige and establish themselves as a respected academic discipline. Later, geographers educated colonial officials and served as policy advisers for the colonial administration. After 1919, they belonged to the fiercest opponents of the loss of the German colonies. Close examination reveals striking similarities to the behaviour of many scholars
during the Third Reich. They used the proximity to governement officials to advance their own career, and took advantage of the opportunities offered in the empires for their own research. The occupied territories enabled them to put their academic concepts into praxis.Where famous scholars like Ferdinand von Richthofen, Fritz Jäger or Carl Troll understood themselves as willing servants of the various German Empires, Albrecht Penck even advanced to one of the most important proponents of German "Volkstumspolitik", by developing his concept of Volks- und Kulturboden
(areas of german settlement and culture). Laying bare such links between colonial research and "Ostforschung" also adds a new dimension to the question German academia and Nazi plans for Eastern Europe during World War II.