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Deutsche Kolonialherrschaft und Erinnerung in Kamerun -

eine Replik (aus iz3w 269)

Personen Lokalpresse

In der vorletzten Ausgabe der iz3w (Nr. 267) stellte Kai Schmidt-Soltau den deutschen Kolonialismus in Kamerun vor ein imaginäres Gericht. Seine »Zeugen« – die von ihm befragten Kameruner – erinnerten sich der deutschen Kolonialzeit eher positiv, fast drei Viertel von ihnen wollte gar eine Wiederkehr der Deutschen. Schmidt-Soltau interpretiert dieses erstaunliche Ergebnis so, dass die Kolonisierten die »geistigen Konstruktionen« der Kolonisatoren übernommen hätten. Stefanie Michels widerspricht dem und sieht in dieser Interpretation die Gefahr, die Kameruner für immer zu Opfern zu machen.

Opfer des Bekennens - Zur kolonialen Erinnerungspolitik in Kamerun und Deutschland

von Stefanie Michels*

Während der Rassismuskonferenz in Durban im September 2001 bekannte sich Joschka Fischer zur Schuld für Sklaverei und Kolonialismus: »In vielen Teilen der Welt«, sagt der deutsche Außenminister, »reicht der Schmerz über die bis heute nachwirkenden Folgen der Sklaverei und der Ausbeutung durch den Kolonialismus noch tief. Vergangenes Unrecht lässt sich nicht ungeschehen machen. Aber Schuld anzuerkennen, Verantwortung zu übernehmen und sich seiner historischen Verpflichtung zu stellen, kann den Opfern und ihren Nachkommen zumindest die ihnen geraubte Würde zurückgeben.« In der März-Ausgabe des iz3w ließ der Soziologe Schmidt-Soltau die deutsche koloniale Vergangenheit in Kamerun nochmals auf der Anklagebank Platz nehmen (»Die Unschuld vom deutschen Lande«). Aufgrund von Zeugen und Indizien erging folgendes ‘Urteil’: »In diesem Sinne ist der deutsche Kolonialismus in Kamerun ein doppeltes Verbrechen. Dass die Mehrheit der anglophonen Kameruner erkannt hat, dass ihre einzige Möglichkeit zur Teilnahme an der Globalisierung in der Unterwerfung unter den Willen eines Fremden besteht, markiert das Fa(k)tum der Kolonisierten und dokumentiert anschaulich die Kontinuität des Kolonialismus. (...) Die pro-deutschen Konstruktionen sind Indiz für die Hoffnungslosigkeit der Postkolonisierten. Somit zeigt sich, dass der deutsche Kolonialismus in Kamerun halt doch eine recht einseitige Sache war. Die einen kamen uneingeladen und ließen zum Dank ihre geistigen Konstruktionen zurück«.

Apathisch und verrückt

Für Schmidt-Soltau war das Verbrechen des deutschen Kolonialismus also der Beginn einer Unterwerfung unter den Willen eines Fremden – ein Zustand, der bis heute andauert. In der von ihm benutzten Gerichtsmetapher sind die Opfer dieses Verbrechens die KamerunerInnen. Da sie die geistigen Konstruktionen der Kolonialisten übernommen hätten, könnten sie ihre Opferrolle allerdings nicht selber erkennen, bzw. lehnten sie explizit ab, indem sie sich mit den »Tätern« identifizierten. Schmidt-Soltau macht die KamerunerInnen zu Opfern sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart. In seiner Darstellung übernehmen sie hoffnungslos und fatal die Diskurse der Fremden und erscheinen so willenlos, apathisch und verrückt (»Spinnen die Kameruner denn?«).

Eine Kritik an seinem Urteil muss auf mehreren Ebenen ansetzen. Seine Beweisaufnahme stützt sich auf Indizien und Zeugen. Wenn er die Forschungsarbeit von HistorikerInnen als ‘Indizienbefunde’ bezeichnet, übersieht er allerdings die gesellschaftliche Gebundenheit auch der akademischen Diskurse. Geschichte ist nur über die Repräsentation zugänglich. So schaffen HistorikerInnen eine Konstruktion der Vergangenheit, ebenso wie SoziologInnen eine Konstruktion der Gegenwart schaffen. Die schriftlich fixierten Arbeiten der HistorikerInnen scheinen jedoch landläufig größere Autorität als die mündlich in Kamerun weitergegebenen Erinnerungen zu haben. So glaubt die Mehrheit der in Kamerun lebenden Deutschen, dass sie mehr über die deutsche Kolonialzeit wüssten als die KamerunerInnen, weil sie einen besseren Zugang zu Informationen hätten. (1)

Dieser scheinbaren Autorität der Indizien stellt Schmidt-Soltau nun die Zeugenaussagen gegenüber. 400 KamerunerInnen beantworteten von ihm erstellte Fragebögen, deren konkrete Fragen er leider nicht veröffentlicht hat. Diese wertete er dann quantitativ statistisch aus. Lässt sich so tatsächlich eine »repräsentative Antwort (...) auf die Frage nach dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft« bekommen? Von mir durchgeführte Befragungen in Kamerun deuten darauf hin, dass dies nicht der Fall ist (2). 85 Prozent der von mir Befragten erinnerten Gewalt, z.B. Krieg, Vergewaltigung und Folter. Die Deutschen wurden mehrheitlich negativ charakterisiert: brutal, stark, mächtig, autoritär, unfreundlich, ungeduldig und wild. Die Briten, die ihnen als Kolonialherren folgten, dagegen ambivalenter: verschlagen, gut, intelligent, entwicklungsbringend, nett, freundlich, frei, höflich, arm, weich, sozial und geduldig. Dennoch zogen nur die Hälfte die Briten den Deutschen vor. Gewalterinnerung und Präferenz für die Deutschen schlossen sich gegenseitig nicht aus.

Helden des Widerstands

Die quantitative statistische Auswertung meiner eigenen Befragungen zeigt, genau wie die von Schmidt-Soltau, dass sie keinen Aufschluss über Kausalitäten gibt. Einzelne Diskursstränge und ihr jeweiliger ‘Sinn’ erschließen sich nur im Zusammenhang der individuellen Aussage. Die Erinnerung an die deutsche Kolonialzeit ist mehrheitlich geprägt von der Ausübung und Erfahrung von Gewalt, einer Gewalt, die tatsächlich Opfer schuf und Schmerz hervorrief, die allerdings nicht überall zur Einnahme der schwächeren Position der Einwohner gegenüber den Deutschen führte. In Gegenden, in denen Kriege gegen die Deutschen gewonnen werden konnten, wurde die Macht der eigenen Gruppe betont. Die Anführer dieses Widerstandes werden bis heute erinnert und sind teilweise zu Helden geworden (3). Neue Machtquellen boten die Deutschen aber nicht nur durch Konfrontation, sondern auch durch Partizipation. Nähe zu den Deutschen, als Verbündeter, Bote, Angestellter oder Soldat schuf für diese Personen Einfluss und Prestige, das bis heute erhalten blieb. Der heute zum Teil geführte, pro-deutsche Diskurs wird auch eingesetzt, um Kritik zu äußern, sowohl an den britischen Kolonialherren, die »arm« waren, als auch am unabhängigen Staat Kamerun.

Und er wird als Mittel eingesetzt, um Forderungen zu stellen: »Unsere Alten haben uns gesagt, dass sie während der deutschen Zeit zum Wegebau gezwungen wurden. Wir haben gegen die Deutschen gekämpft, weil die Soldaten unsere Frauen vergewaltigt haben und weil es Zwangsarbeit gab. Jetzt bedauern wir, dass unsere einflussreichen Männer, die im Exil in Viktoria begraben wurden, dies getan haben. Die Deutschen, die jetzt zurückgekommen sind, haben gesagt, wir sollen kein Großwild jagen. Wir akzeptieren das, aber wir fordern auch, dass die Deutschen uns eine gute Straße geben sollen. Weil wir keine guten Wege haben, haben wir keinen Markt. Wir unterstützen die Arbeit der Deutschen, die jetzt gekommen sind. Der Deutsche hat gesagt, wir sollen kein Gift zum Fischen einsetzen. Das akzeptieren wir, aber er sollte auch etwas für uns tun« (Akwo Tambai, 90 Jahre alt, in Kekpane).

Eurozentrische Sichtweisen

Joschka Fischer will sich dort der historischen Verpflichtung stellen, wo der »Schmerz noch tief sitzt«. Wie aber steht es mit der Verantwortung, wo dies nicht der Fall ist, wie in der obigen Aussage von Akwo Tambai? Dieser konstruiert kein Opfer-Täter-Szenario, und anstatt den deutschen Kolonialismus anzuklagen, bedauert er die gewaltsamen Konfrontationen der Vergangenheit. Diese geteilte Gewalterfahrung nimmt er zum Anlass, um für die gegenwärtige Begegnung von Deutschen und KamerunerInnen mehr Kompromissbereitschaft zu fordern. Das dichotome Opfer-Täter-Paradigma, durch das die tiefe Kluft der Schuld schneidet, ist ein Mythos, der in der eurozentrischen Sichtweise verhaftet bleibt. Eine historische Verpflichtung für den Umgang mit der deutschen Kolonialzeit sollte darin bestehen, in einen gleichberechtigten Dialog einzutreten, in dem die Erinnerungen, Konstruktionen und Repräsentationen der afrikanischen Seite ernsthaft und respektvoll behandelt werden. In Kamerun gibt es kontroverse Diskurse über die deutsche Kolonialzeit, geprägt von unterschiedlichen Erfahrungen und sozialen Positionen.

Während die Mehrheit der in Kamerun lebenden Deutschen im Gegensatz zu den KamerunerInnen selber leichtfertig davon ausgeht, im Besitz der »Wahrheit« zu sein, ist die koloniale Erinnerungspolitik und -kultur in Deutschland sträflich unterentwickelt (4) Schmidt-Soltau empfiehlt »den Täter zu zwingen, sich seiner Taten immer und immer wieder zu bekennen«. Doch gerade dadurch werden die KamerunerInnen immer und immer wieder zu Opfern. Genau so wenig wie es eine Kollektivschuld gibt, gibt es die kollektive Gruppe der Opfer. Unbestreitbar wurde in Kamerun durch die Deutschen Schmerz ausgelöst, der allerdings eher den Tätern als den Opfern die Würde raubte. Die deutsche Präsenz in Kamerun eröffnete aber auch neue Handlungsräume, die von einigen KamerunerInnen erfolgreich genutzt wurden.

Anmerkungen:

  1. Dieses Ergebnis beruht auf einer im Jahre 2001 von mir durchgeführten Erhebung mittels Fragebogen, an der 24 Deutsche teilnahmen, die in Kamerun lebten. (Frage: »Glauben Sie, Sie wissen mehr als die meisten Kameruner über die deutsche Kolonialzeit in Kamerun?«)
  2. Die mündlichen Texte stammen von über 120 Einzelpersonen aus Manyu Division in Kamerun und entstanden in den Jahren 2000 bis 2001. Die Befragungen gliederten sich in einen narrativen und einen semi-strukturierten Teil. Die Befragten wurden aufgrund ihrer besonderen Kenntnisse über die Geschichte ausgewählt. Kriterien waren dabei meist ihr Alter, ihre familiären Verbindungen sowie die soziale Position.
  3. Vgl. Michels, Stefanie (2003): Graf Pückler und Mpawmanku: Koloniale Begegnung als Gewalterfahrung (Cross-flussgebiet Kameruns 1904). In: Bechhaus-Gerst, Marianne und Klein-Ahrendt, Reinhard (Hg.). Die (koloniale) Begegnung: AfrikanerInnen in Deutschland 1880-1945 – Deutsche in Afrika 1880-1918. Peter Lang Verlag, Frankfurt: 207-224.
  4. Veranschaulicht wird dies derzeit auch durch die unkritische Umgangsweise der Stadt Hamburg mit den in der NS-Zeit entstandenen Askari-Reliefs in der Lettow-Vorbeck-Kaserne (Hamburg-Jenfeld).

*Stefanie Michels ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt »Askari – treu bis in den Tod« am Institut für Afrikanistik der Universität Köln. Ihre Dissertation mit dem Titel »Imagined Power Contested: Germans and Africans in the Upper Cross River Area of Cameroon, 1887 – 1914« wird in Kürze im LIT-Verlag erscheinen.

Der Text ist erschienen in: iz3w Nr. 269 (Juni 2003), S. 14-15

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