Dokumentation:Indische Frauen und christliche Mission |
Freiburger Zeitung, 26. Oktober 1888 (Tagesausgabe), 3. Seite „Indische Frauen. Die indischen Frauen haben kein schönes Loos, wenigstens die der höheren Stände, welche ihr ganzes Leben in einem Zustande zubringen, den man ohne Uebertreibung als fortwährende Gefangenschaft bezeichnen kann. In dem Hause jedes Vornehmen befindet sich eine besondere Abteilung für die Frauen, das Senana, welches unter steter Bewachung gehalten wird. Gewöhnlich besteht es aus einer Reihe niederer Zimmer oder Kämmerchen, vor denen sich eine Veranda hinzieht, die einen Hof oder ein Gärtchen umschließt. Im Vergleich zu den von den Männern bewohnten Prunkgemächern im vorderen Theile des Hauses bietet das Senana meist geradezu einen dürftigen Anblick. Außer einer Bettstelle, einer Matte und einigen Koffern pflegen die Frauengemächer keine Möbel zu enthalten. Da die verheiratheten Söhne im elterlichen Hause wohnen bleiben und einige von ihnen wohl auch mehrere Frauen haben, so befindet sich im Senana meist eine beträchtliche Anzahl von Frauen mit ihren Kindern. Nur tief verschleiert und unter Begleitung von Dienerschaft dürfen sie gelegentlich das Haus verlassen, um ihre Mutter, Schwestern oder Tanten zu besuchen oder in einem Tempel Opfer zu bringen. Mit dem Hauswesen haben die Frauen wenig zu thun; fast alle Arbeiten werden von männlichen Dienern besorgt. Nur in der Küche, welche an das Senana sich anschließt, haben sie eine geringe Beschäftigung. Man kann sich vorstellen, wie langweilig und inhaltslos das ganze Leben der armen eingesperrten Wesen dahinfließt. Sehr viel Zeit wird zugebracht mit dem Salben und Flechten der schwarzen Haare, mit dem Färben der Augenbrauen und der Fingernägel, mit der Auswahl und dem Anlegen der Kleidungsstücke und des Schmuckes, der reichlich, mannigfaltig und kostbar vorhanden zu sein pflegt. Sonst schwatzen klatschen die Frauen, und oft genug zanken sie sich mit den gemeinsten Ausdrücken und entsetzlichsten Flüchen. Abends pflegen sie auf das flache Dach zu steigen, um die kühlere Luft zu genießen. Dabei wird viel erzählt, aber nicht sinnige Märchen und alte Volkssagen, sondern Göttergeschichten, die oft recht flach und nichtssagend und öfter noch bodenlos gemein sind. Für die Kinder, die immer mit zuhören, sind diese Geschichten ein wahres Gift. Die unglücklichsten aller Senanabewohnerinnen aber sind die Wittwen, und da bei den Hindu die Mädchen vom 6. bis spätestens zum 10. Lebensjahr verheiratet werden (bis zum 12. bleiben sie noch im elterlichen Hause), so gibt es Wittwen in großer Zahl. Sie werden von allen anderen Insassen des Senanas auf´s tiefste verachtet und bitter gehasst, müssen sich in geringe, grobe Gewänder kleiden, dürfen nie irgendwelchen Schmuck tragen und sind oft genug roher Misshandlung ausgesetzt, so dass man es erklären kann, wie viele dieser unglücklichen Wesen es bedauern, dass die englische Regierung die alte Sitte der Wittwenverbrennung unterdrückt hat. Sie würden mit Freuden den Flammentod solchem elenden Leben vorziehen. Das Loos der unglücklichen Inderinnen hatte schon vor 40-50 Jahren das Mitleid edler christlicher Frauen erregt. Zunächst waren es Gattinnen von Missionaren, die sich den Zugang zu den verschlossenen Senanas zu verschaffen wussten. Nach und nach ist, wie die ‚T. R.’ einer Missions-Correspondenz entnimmt, eine ausgedehnte Senanamission organisiert worden, in der eine große Anzahl von jungen Damen den Trost des Christentums in jenes traurige Dasein ihrer Mitschwestern zu bringen sich bemühen. Allmählich wächst die Zahl auch der deutschen Arbeiterinnen, die sich daran betheiligen, meist ausgesandt von dem ‚Morgenländischen Frauenverein’ in Berlin. Es sind zahlreiche Senanaschulen, besonders in den größeren Städten, angelegt. Die Frauen mehrerer Häuser, deren Männer es gestatten, versammeln sich mit ihren Kindern in einem befreundeten Hause, wo von der weißen Dame der Unterricht ertheilt wird zunächst in feinen Handarbeiten, an welchen die indischen Damen meist viel vergnügen haben. Später finden sie Geschmack daran, lesen und schreiben zu lernen - was ihnen sonst völlig fremd war, da nach alter Hindusitte keine Frau diese Künste lernen darf. Mit Aufmerksamkeit pflegen sie die biblischen Geschichten anzuhören und lernen gern christliche Lieder singen. Durch den Verkehr mit den Lehrerinnen geht den Frauen eine ganz neue Welt auf. Obgleich die Senanamission bis jetzt wenig Übertritte zum Christenthum zu verzeichnen hat, wird doch, wie jene Correspondenz hofft, gerade durch diese Wirksamkeit das Heidenthum allmählich in seiner tiefsten Grundlage erschüttert, da das ganze Volksleben in vielen Beziehungen von den Einflüssen beherrscht wird, die auch der männliche Theil der Bevölkerung in seiner Kindheit in den Frauengemächern empfängt.“ Scan der Originalseite auf dem Server der UB-Freiburg |