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Kolonialdebatte: Kritik am Zentrum; Dernburg erholt sich in St. Moritz von "Arbeitslast"; Landesversammlung der nationalliberalen Parteien Badens

Freiburger Zeitung, 11.12.1906, 1. Blatt, 1. Seite

Allgemeine Umschau.

Ueber die Ereignisse im Deutschen Reichstag schreibt uns ein Berliner Mitarbeiter: Das Interesse an den Verhandlungen des Reichstages hat in der letzten Woche seinen Höhepunkt erreicht. Der Grund dafür war der überaus heftige bekannte Zusammenstoß zwischen dem Kolonialdirektor Dernburg und dem Zentrumsabgeordneten Roeren. Anstatt berechtigte Beschwerden sofort vorzubringen, damit Mißstände ohne Säumen abgestellt werden können, spart man das Material zu Anklagen jahrelang sorgsam auf, um es im gegebenen Augenblick gegen mißliebige Beamte zu verwenden oder es sonstwie als Handhabe der Regierung zu gebrauchen. Ist der frühere Kolonialdirektor Dr. Stübel anscheinend in dieser Hinsicht nur allzu gefügig gewesen, so hat sein Nachfolger das schmähliche candinische [gemeint ist wohl caudinische] Joch zu Fall gebracht. Ein solcher Entschluß ist politisch und sittlich der allein richtige. Politisch, weil er unserem Kolonialbeamtentum die nötige Sicherheit gegen hinterhältige Machenschaften und die erforderliche Dienstfreudigkeit verschafft, - sittlich, weil die Beseitigung von Mißständen um ihrer selbst willen vorgenommen werden muß und nicht auf die lange Bank geschoben werden darf. Stehen die Sachen so, dann ist es das Natürlichste von der Welt, wenn der Reichskanzler das Vorgehen des Kolonialdirektors Dernburg deckt. Fürst Bülow tat dies mit aller Entschiedenheit, hielt sich aber gleichzeitig die Wege zum Zentrum frei, indem er auf die vom Zentrum geschlagene Brücke trat und die Angriffe des Abg. Roeren als Schritte eines einzelnen Abgeordneten auffaßte, für welche die Gesamtpartei keine Verantwortung trage. An manchen Stellen hat man erwartet, daß der Reichskanzler die Gelegenheit ergreifen würde, um in eine Kampfstellung gegen das Zentrum einzuschwenken. Leider ist die parlamentarische Macht des Zentrums zu groß, als daß ein derartiger Entschluß ohne weiteres gefaßt werden könnte. Aber das unerschrockene Auftreten des Kolonialdirektors hat schon jetzt die heilsame Wirkung gehabt, daß das Zentrum sich über die Gefahr einer Ueberspannung seines Einflusses klar wurde. Dämmerte dem Zentrum diese Erkenntnis nicht, würde es sicherlich einen seiner Stimmführer, wie Roeren ist, nicht preisgegeben haben. Wenn gerade in diesem Zusammenhange dem Reichskanzler von linksliberaler Seite es als Fehler angerechnet wird, keine Kriegserklärung an die gesamte Zentrumspartei geschleudert zu haben, so vergißt man dabei, wie unzuverlässig die Linksliberalen im Kampfe gegen das Zentrum sind, wie wenig sie für die Regierung als Stütze wider das Zentrum bedeuten. Anstatt einen neuen Mann von der Vergangenheit Dernburgs deswegen zu unterstützen, weil seine Ernennung ein Bruch mit der Ueberlieferung ist, die hohe Staatsämter nur einem bestimmten kleinen Kreise bisher vorbehielt, bringen sie Dernburg entweder nur ein laues Vertrauen entgegen oder treten sie sogar in die Reihen seiner schärfsten Angreifer. Wer sich so verhält, darf sich zu allerletzt darüber wundern, daß die Regierung Bedenken trägt, völlig mit dem Zentrum zu brechen. Einen Teil der Voraussetzungen dafür muß der Linksliberalismus erst schaffen.


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Freiburger Zeitung, 11.12.1906, 1. Blatt, 3. Seite

[Aus „Neuestes und Telegramme“:]

Dernburg.

Berlin, 10 Dezember. Einer Blättermeldung zufolge beabsichtigt Kolonialdirektor Dernburg nach Erledigung des Kolonialetats in der Budgetkommission einen längeren Urlaub anzutreten und sich nach St. Moritz zu begeben. (Die gewaltige Arbeitslast, die auf dem eben unter den schwierigsten Verhältnissen in sein neues Amt eingetretenen Kolonialdirektor ruht, im Zusammenhang mit den Aufregungen der Kolonialdebatte im Reichstag kann allerdings auf den Gesundheitszustand des Herrn Dernburg ungünstig eingewirkt haben. Daß der Urlaub „politische“ Bedeutung habe, wäre nach den vorausgegangenen Kämpfen wohl denkbar, scheint uns aber nach dem Auftreten Dernburgs und des Reichskanzlers hier doch ausgeschlossen zu sein. D. Red.).


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Freiburger Zeitung, 11.12.1906, 2. Blatt, 1. Seite

Landesversammlung der nationalliberalen Partei Badens

Villingen, 9. Dezember. [...] Mit einer längeren Ansprache leitete sodann Herr Dr. Binz die Verhandlungen ein. Er sprach über die politische Lage, besonders über die Reichspolitik. Die badische Politik mit der des Reiches in Einklang zu bringen, sei der Leitstern der nationalliberalen Partei, und da stehe die Kolonialpolitik im Vordergrunde. Im Verlaufe der letzten Jahre seien auf diesem Gebiete seitens der Reichsregierung schwere Fehler gemacht worden, und es sei daher endlich an der Zeit gewesen, hier nach den [sic] Rechten zu sehen. Dankbar würden die offenen Worte des Kolonialdirektors Dernburg begrüßt; hoffentlich folge nun auch die Tat. Bassermanns Sprache und Kritik würden hoffentlich auch einen Erfolg zeitigen. [...]


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