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Dokumentation:

Debatte über die Fusion mit der "Gesellschaft für deutsche Kolonisation" auf der vierten ordentlichen Generalversammlung des Deutschen Kolonialvereins am 6.5.1887 in Dresden mit Prof. Eugen v. Philippovich

Transkription: Andreas Flamme

Deutsche Kolonialzeitung (Organ des Deutschen Kolonialvereins), IV. Jahrgang, 1887, Heft Nr. 11, S. 354-357

[...]

Die Generalversammlung beschließt darauf einstimmig auf Vorschlag des Präsidiums und des Vorstandes, Herrn Dr. Finsch in Anerkennung seiner Verdienste um die Erschließung der Südseeinseln, insbesondere Neu-Guineas, die Ehrenmitgliedschaft des Vereins anzutragen. Der Vorsitzende stellt hierauf als letzten Gegenstand Punkt 11 der Tagesordnung:

Anträge von Zweigvereinen und Mitgliedern

zur Verhandlung.

„Es sind“, so führt der Herr Vorsitzende aus, „hierzu 2 Anträge eingebracht, die gedruckt mit den Motivirungen den Theilnehmern der Versammlung vorliegen:

Antrag des Zweigvereins Dresden: „Der Vorstand wird von der Generalversammlung beauftragt, Verhandlungen mit der Gesellschaft für deutsche Kolonisation einzuleiten zum Zwecke gemeinsamer Thätigkeit, eventuell Vereinigung beider Vereine im Sinne

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einheitlicher, praktischer, deutsch-nationaler Kolonialpolitik.

Antrag des Mittelbadischen Zweigvereins Karslruhe: „Der Vorstand des Kolonialvereins wird von der Generalversammlung ermächtigt, mit dem Vorstande der Gesellschaft für deutsche Kolonisation wegen einer Verschmelzung der beiden Vereine in Verhandlungen zu treten und im Falle der Zustimmung des zuständigen Organs letzterer Gesellschaft zur thunlichst baldigen Durchführung der Verschmelzung mitzuwirken.“

Die gestrige Vorstandssitzung, an der ja sehr viele Vertreter der Zweigvereine und Mitglieder des Vorstandes teilgenommen haben, hat Gelegenheit gegeben, über diese Anträge schon eine eingehende Besprechung herbeizuführen. Der Gedanke, aus welchem diese Anträge hervorgegangen, das Bestreben, zur Einigkeit in unsrer Bewegung zu gelangen, ist uns ja allen sympathisch. Eine Reihe von Zweigvereinen, als Zweibrücken, Fürth, Würzburg, Hof, Landshut, Saarbrücken, Heilbronn, Bayreuth, München, Augsburg, Rinteln, haben sich bereits schriftlich zu dem Antrage Dresden geäußert. Ich habe diese Äußerungen gestern zur Verlesung gebracht, es geht aus denselben hervor, daß der Gedanke, aus welchem jene Anträge entsprungen, den Zweigvereinen ebenso sympathisch ist, wie er es uns ist. In den erwähnten Äußerungen werden aber auch die Schwierigkeiten, welche sich den Bemühungen des Präsidiums und geschäftsführenden Ausschusses entgegenstellen, anerkannt. Die meisten Zweigvereine haben es dem Präsidium überlassen, in welcher Weise hier vorzugehen ist, nur die Zweigvereine Nürnberg und Wiesbaden haben sich ausdrücklich gegen eine Verschmelzung beider Gesellschaften ausgesprochen. Das Präsidium und der geschäftsführende Ausschuß werden sich auch weiter bemühen, eine zweckentsprechende Lösung der Frage herbeizuführen, und hat der Vorstand in seiner gestrigen Sitzung mit großer Majorität beschlossen, der heute tagenden Generalversammlung folgende Resolution zur Annahme zu empfehlen:

Die Generalversammlung ermächtigt das Präsidium und den geschäftsführenden Ausschuß des Vereins, möglichst auf der Basis einer Verschmelzung beider Gesellschaften, mit der Gesellschaft für deutsche Kolonisation eine Vereinbarung herbeizuführen.

Der Vertreter des Zweigvereins Dresden hat unter Zustimmung zu dieser Resolution und zu Gunsten derselben den ursprünglich vom Zweigverein Dresden eingebrachten Antrag zurückgezogen.

Zu der vorgeschlagenen Resolution ergreift zunächst das Wort Herr Professor v. Philippovich-Freiburg: Die Annahme der Resolution würde bei uns mit Freuden begrüßt werden. Gerade ich bin für eine Vereinigung beider Vereine eingetreten und habe mir durch dieses Bestreben bei vielen Freunden des Deutschen Kolonialvereins ein ungünstiges Urteil betreffs meiner Agitation für eine Fusion zugezogen. Ich glaube, daß es nicht wohl angezeigt ist, daß beide Vereine weiter neben einander bestehen. Es geht uns etwa, wie wir es auf den Universitäten bei den Studenten beobachten können, die einen tragen blaue Mützen, die anderen gelbe und die dritten grüne; und doch haben sie alle dieselben Bestrebungen. Es erzeugt aber dieses Geteiltsein in unsern kolonialen Bestrebungen nicht nur Mißstimmung bei den Mitgliedern beider Vereine, sondern wird auch gerade im Auslande abfällig beurteilt. Die günstige Stimmung, die ich bei vielen Mitgliedern des einen wie andern Vereins für die Vereinigung gefunden habe, erscheint mir natürlich und hängt meines Erachtens mit den Erfolgen zusammen, die einzelne Männer beider Gesellschaften errungen haben. Wenn die Verschmelzung beider Vereine vor sich gegangen ist, wird ein ungemein praktisches Kolonialleben entstehen, und das ist gut und nötig. Es wurde heute schon mehrfach auf die allgemeinen und umfassenden Aufgaben hingewiesen, die der Deutsche Kolonialverein für unsre gesamte Bewegung und Entwicklung sich gestellt hat; es muß dieses Programm auch nach einer etwaigen Vereinigung festgehalten werden. Eine Änderung in dem Charakter des Vereins wird durch eine Vereinigung nicht herbeigeführt.

Ich habe gehört, daß viele Mitglieder des Zweigvereins Dresden des Deutschen Kolonialvereins auch Mitglieder der Gesellschaft für deutsche Kolonisation sind. Ich selbst bin Mitglied der Gesellschaft für deutsche Kolonisation und möchte mir erlauben, auch als Mitglied jener Gesellschaft einige Worte an diese Versammlung zu richten. Ich habe aus meinen Sympathien für die Verschmelzung der Gesellschaft für deutsche Kolonisation mit dem Deutschen Kolonialverein nie einen Hehl gemacht und möchte meinen Wunsch nach Verschmelzung beider Vereine auch als Mitglied der erstgenannten Gesellschaft Ausdruck geben. Der Deutsche Kolonialverein beweist uns ein freundliches Entgegenkommen, wenn diese Resolution die vom Vorstande vorgeschlagen, von der heute tagenden Generalversammlung angenommen wird. Es ist jetzt unsre Pflicht, rückhaltlos und offen für die Verschmelzung beider Vereine innerhalb der Gesellschaft für deutsche Kolonisation einzutreten. Wir dürfen uns jetzt nicht zurückziehen und das Weitere abwarten wolle, sondern wir müssen uns frei

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und offen erklären. Es hat niemand auf solche Verdienste hinzuweisen, daß er nicht die Titelfrage zurückstellen sollte gegen den wichtigeren Gesichtspunkt der Einigkeit. Ich hoffe, daß durch dieselbe unsere Bestrebungen einen neuen Impuls erhalten und kräftig weiter gedeihen werden.

Schocher-Zschertnitz: Ich muß leider gegen den Antrag stimmen. Die Annahme der Resolution und damit die Frage der Verschmelzung scheint mir zwar schon gestern Abend in der Vorstandssitzung entschieden worden zu sein, trotzdem möchte ich aber meine Meinung äußern. Dieser Verschmelzungsantrag geht von dem Gesichtspunkt aus, daß die beiden Vereine dasselbe wären, dieselben Aufgaben hätten und dasselbe Ziel verfolgten. Der Deutsche Kolonialverein hat von Anfang an sich allgemeinere, umfassendere Aufgaben gestellt. Er will belehren, aufklären und anregen. Daß er auch zur Zeit bei gegebenen Gelegenheiten, als sein direktes Eingreifen im Interesse unserer gesamten kolonialen Entwicklungen sich als nötig erwies, direkt kolonisatorische Unternehmungen ins Leben zu rufen und zu fördern gesucht hat, muß alle Anerkennung verdienen, aber es ist doch eine Sache für sich. Dagegen sind die Bestrebungen der Gesellschaft für Deutsche Kolonisation programmmäßig auf die Förderung und Unterstützung eines einzelnen kolonialen Unternehmens gerichtet gewesen. Durch die Verschmelzung beider Vereine könnten die allgemeinen Aufgaben des Deutschen Kolonialvereins sehr leicht beeinträchtigt werden, und das ist nach meiner Meinung von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Ich bin gleichfalls Mitglied der Gesellschaft für deutsche Kolonisation, bin jedoch dieser Gesellschaft in der Meinung beigetreten, hierdurch direkt ein koloniales praktisches Unternehmen zu fördern und zu unterstützen. Ist meine Auffassung richtig, so begreife ich nicht, wie man beide Vereine verschmelzen kann.

Professor Dr. Philippovich-Freiburg: Allerdings hat die Gesellschaft für deutsche Kolonisation einen Paragraphen in ihrem Statut, nach welchem sie praktische Kolonialpolitik betreiben will. Aber wenn einige Mitglieder das thun, so ist das doch nicht Sache des Vereins als solchen. Es beweist dies die Gründung der Ostafrikanischen Gesellschaft. Diese ist etwas ganz anderes als die Gesellschaft für deutsche Kolonisation. Die letztere kann und darf gleich dem Deutschen Kolonialverein nichts anderes thun, als Vorschläge machen und Anregungen geben ec.

Oberbürgermeister Weber: Es ist richtig, daß die Zwecke beider Gesellschaften sich nach den Satzungen nicht decken. Wir haben die unsren Aufgaben mehr die generellen Gesichtspunkte zur Geltung gebracht, während die Gesellschaft für deutsche Kolonisation nach ihren Statuten die Begründung von Kolonien zu ihrem Zwecke hat. Sie sagt, sie will Kolonien gründen. Wenn wir mit der Gesellschaft für deutsche Kolonisation zusammengehen wollen, so soll das nicht etwa heißen, daß wir unsere generellen Zwecke aufgeben wollen, sondern im Gegenteil, wir erwarten, daß von jener Seite die vernünftigen Zwecke unseres Vereins adoptiert werden. Es kann kein Zweifel sein, daß die Zwecke der Gesellschaft für deutsche Kolonisation unausführbar sind. Der Beweis ist dadurch bereits geliefert, daß in dem Augenblicke als die Gesellschaft für deutsche Kolonisation etwas unternehmen wollte, sich eine neue Gesellschaft – die ostafrikanische – gründen mußte. Nicht die Gesellschaft für deutsche Kolonisation leitet diese Unternehmungen, sondern eine neu gegründete Gesellschaft. Die Gesellschaft für deutsche Kolonisation hat nichts thun können was ihrem §.1 entspräche, sondern hat nicht anders gewirkt als wir, nämlich als Anregerin zu kolonisatorischen Unternehmungen. So nehmen wir denn an, daß die Gesellschaft für deutsche Kolonisation bereit ist, uns mehr in der Verfolgung unserer generellen Zwecke zu dienen, wir können wenigstens unsere generellen Zwecke nicht aufgeben. Wenn wir es so fassen können, daß wir sagen: wir wollen kolonisatorische Unternehmungen unterstützen, so schadet das nichts, aber weiter können wir nicht gehen. Es heißt das ein Übergang der Gesellschaft für deutsche Kolonisation in unsren Verein. Wir natürlich erklären uns auch bereit, die Bestrebungen jener Gesellschaft soweit es möglich ist, zu fördern.

Stadtrat Reitz, Chemnitz: Ich hab erst vor kurzer Zeit Kenntnis von Differenzen bekommen, die zwischen der Gesellschaft für deutsche Kolonisation und dem Deutschen Kolonialverein bestehen oder doch wenigstens bestanden haben. Ich will hier keine Namen nennen, ich will nur konstatiren, daß ich mich sehr über die schroffe Propaganda gewundert habe, die mitunter von jener Seite gegen den Deutschen Kolonialverein betrieben worden ist und sicher nicht im Interesse der Sache gelegen hat. Man hat die Behauptung aufgestellt, der Deutsche Kolonialverein behandle die Sache auch jetzt nur theoretisch, um daraus einen Vorwurf zu konstruiren für die Thätigkeit unseres Vereins gegenüber der Thätigkeit anderer Kolonisationsvereine. Ich will mich nicht darauf einlassen, zu untersuchen, inwieweit diese Behauptung richtig und ob aus derselben, soweit sie richtig, überhaupt ein Vorwurf bei der Organisation unsres Vereins hergeleitet werden kann. Diejenigen Männer, welche die Begründung des Deutschen Kolonialvereins angeregt haben, haben mehr oder weniger
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direkt auch den Anstoß gegeben für die Begründung der Gesellschaft für deutsche Kolonisation; das sollte man nicht vergessen! Ich glaube nun nicht, daß es gut wäre, wenn sich die beiden Vereine verschmelzen würden. Die verschiedenfarbigen Mützen auf unsren Universitäten, von denen Herr Prof. v. Philippovich sprach, sind doch nicht so ohne Berechtigung. Insofern der Herr Vorredner aber Recht hat, das Verhältnis, welches wir jetzt besprechen, mit dem zu vergleichen, welches durch die verschiedenfarbigen Mützen zum Ausdruck gelangt, so würde ich erst recht fürchten, daß bei einer Verschmelzung der beiden Vereine nur das Goethesche Mausegrau herauskommen würde. Es ist eine allgemeine Erfahrung, daß zwei Leute, welche von demselben Gedanken durchglüht sind, wenn sie getrennt marschieren, größere Erfolge erzielen werden, als wenn sie sich vereinigen; auch aus diesem Grunde möchte ich mich gegen ein Verschmelzung aussprechen. Ich glaube, daß mindestens ein Verein nach der Verschmelzung großen Mißmut haben wird. Ich glaube nicht, daß die Voraussetzung, die Gesellschaft für deutsche Kolonisation würde geneigt sein, ihr Programm zu ändern, in Erfüllung gehen wird. Den Antrag des Dresdener Zweigvereins habe ich nur deshalb freudig begrüßt, weil ich hoffte, die Vorstände beider Vereine würden nach Annahme desselben mit gegenseitiger Aufrichtigkeit dafür eintreten, daß in Zukunft alle derartigen Mißhelligkeiten vermieden würden. Ich wünsche, daß ein aufrichtiges freundschaftliches Verhältnis sich zwischen den beiden Vereinen bildet, ich hoffe aber, daß eine Verschmelzung beider Vereine sich vollziehen wird.

Schocher-Zschertnitz: Ich freue mich aus den Ausführungen des Herrn Oberbürgermeisters Weber entnehmen zu können, daß der Deutsche Kolonialverein nicht daran denkt, sein Programm aufzugeben. Meiner Meinung nach würde es sich besonders um folgenden Punkt handeln. Herr Dr. Peters hat ausgesprochen, daß gewisse Distrikte in Ostafrika den deutschen ackerbautreibenden Auswanderern erschlossen werden könnten und müßten. Das darf nicht geschehen. Ich bin der Überzeugung, daß wir es in Ostafrika nur mit Handels- und Plantagenkolonien zu thun haben. Eine Verschmelzung beider Vereine könnte leicht dazu führen, daß der Deutsche Kolonialverein veranlasst würde, seine Stellung in der Auswanderungsfrage nach diesem Gesichtspunkte zu ändern. Hauptsächlich in diesem Sinne spreche ich gegen die Verschmelzung, die ich dann als Mißgriff betrachten würde.

Professor Dr. Stengel-Breslau: Ich stehe dem Antrag in der Form, wie er uns jetzt vorliegt, sympathisch gegenüber, weil ich der Überzeugung bin, daß beide Vereine in Wirklichkeit dasselbe thun. Was in ihren Statuten steht, ändert nichts an der Sache. Ich kann es nur als Kraftverschwendung betrachten, wenn diese beiden Vereine nebeneinander bestehen. Das Bedürfnis nach Verschmelzung erhellt auch aus der gleichzeitigen Mitgliedschaft von Personen in beiden Vereinen. Ich kann nur die Verschmelzung wünschen. Ich befürchte, wenn beide Vereine nebeneinander arbeiten, daß dann keiner einen großen Erfolg haben wird.

Fabrikbesitzer Natalies, Braunschweig: Als Vertreter des Zweigvereins Braunschweig will ich noch erwähnen, daß gleichartige Anschauungen über eine Verschmelzung der beiden Vereine schon lange von seiten unsres Zweigvereins gehegt wurden.

Da weitere Meldungen zum Worte nicht vorliegen, so schließt der Herr Vorsitzende die Diskussion.

Die vorgeschlagene Resolution wird hierauf mit großer Majorität angenommen.

Die vorliegende Tagesordnung ist hiermit erledigt.

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