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Das Original dieses handschriftlichen Schreibens liegt im Bundesarchiv Berlin, Signatur R8023-719, Paginierung 97-98

Transkription: Christian Neven-du Mont

Nicht leserliche Wörter sind so gekennzeichnet: (?)

 

Dokumentation historischer Quellen und Dokumente

Schriftstücke der Freiburger Kolonialbewegung:

Prof. Ludwig Neumann über die Situation der Freiburger Abteilung der Deutschen Kolonialgesellschaft Anfang der 1890er Jahre

Das folgende Antwortschreiben von Prof. Ludwig Neumann geht auf eine streng vertrauliche Umfrage des Präsidiums der Deutschen Kolonialgesellschaft (DKG) zurück. Diese hatte angesichts des allgemeinen Mitgliederschwundes eine Umfrage bei allen Abteilungen gestartet und dabei um "rückhaltlose Mittheilung" gebeten, um den Ursachen auf den Grund zu gehen. Neumanns Schreiben gibt entsprechend einen schonungslosen Einblick in die Anfang der 1890er Jahre herrschende Situation des Freiburger Ablegers und macht dafür auch die exorbitanten Verwaltungsausgaben der zentralen Führung verantwortlich. Die Antworten der Ortsvereine wurden im Januar 1895 in einer Denkschrift des Präsidiums verarbeitet. Beide Dokumente werden hier in Kürze ebenfalls in Transkription bereit gestellt.

HW

Abtheilung Freiburg i.Br. der Deutschen Kolonialgesellschaft

Freiburg den 20. Nov. 1894
An das verehrliche Präsidium der Deutschen Kolonialgesellschaft.

Dem verehrlichen Präsidium beehre ich mich als Vorsitzender der Abtheilung Freiburg i.B. ergebenst mitzutheilen, daß ich sofort nach Einlauf des vertraulichen Rundschreibens vom 12.d. M. gestern Abend eine Vorstandssitzung unserer Abtheilung berief, über deren Ergebnis ich nunmehr, der ergangenen Aufforderung Folge leistend, offen und rückhaltlos berichten will:
Bezüglich unseres Mitgliederstandes wird eine ziemlich starke rückläufige Bewegung festgestellt:

1891 1892 1893 1894
123 107 90 82 Mitglieder.

Doch ist ein weiterer Rückgang jetzt nicht mehr zu fürchten, da die jetzt noch hier und auswärts erfassten Mitglieder seit Anfang der Abtheilung da waren und gewissermaßen den reiferen Bestand vertreten. Wer bisher ausgetreten ist war von vorn herein unsicher. Wir können also mit annähernder Sicherheit jedenfalls 80 Mitglieder in den Voranschlag für 1895 einstellen.
Was nun, ich möchte sagen, die lebendige Kraft unserer Abtheilung betrifft, so hat schon mein Vorgänger, Herr Prof. von Philippovich, mir bei der Übergabe der Leitung vor 1 ½ Jahren es offen angesprochen, daß dieselbe minimal ist und daß außer der Bezahlung der Beiträge nichts weiter verlangt werden kann. Öffentliche Versammlungen mit Vorträgen einheimischer und fremder Redner sind meist sehr kläglich ausgefallen und haben (?) sogar in Folge schlechter Qualität der Vortragenden nur geschadet. Zu der außerordentlichen Generalversammlung, in welcher Philippovich sich verabschieden wollte u. in der ich neu gewählt wurde, waren 5 Herren anwesend!

Ich habe darum seither meine Tätigkeit auch darauf beschränkt, die Einläufe vom Präsidium unter den Vorstandsmitgliedern cirkulieren zu lassen u. ab und zu der hiesigen Lokalpresse Passendes zur Veröffentlichung zuzustellen, was auch in gefälligem Entgegenkommen meinen Wünschen entsprechend Erfolg hatte, daß von Zeit zu Zeit etwas Koloniales in den Zeitungen zu lesen war. Das gesammte Interesse unserer Mitglieder ist also wesentlich ein platonisches, das sich nicht gern aus seiner Ruhe aufstören läßt. – Woher kommt das nun?

Zunächst wirkt der lokale Grund, daß hier gesellschaftlich schrecklich viel los ist und daß der Kreis derjenigen, welche Theater, Konzerte, Vorträge, Soupers etc. etc. besuchen verhältnismäßig beschränkt ist. Man sieht und trifft überall dieselben Leute, die (?) selbstverständlich bald müde werden und es neben dem vielen Zwang, dem sie unterliegen, prinzipiell vermeiden, irgend eine außerordentliche Veranstaltung zu besuchen, also etwa eine Sitzung des Kolonialvereins oder einen Vortrag, der das sonstige Programm stört. Darunter leiden alle ernsten Bestrebungen wirklich recht (schwer?).

Dazu kommt aber nun für die von Ihnen angeregte Frage ausschlaggebend die ganz allgemeine Abschwächung der kolonialen Begeisterung wie sie sich in den letzten Jahren als Folge bekannter Verhältnisse mehr und mehr entwickelt hat. Man sieht oder sah, wie wenig die Reichsregierung es liebte, energisch für die jungen Kolonien oder gar für ihre Ausdehnung einzutreten, wie sie überall fremden Ansprüchen gegenüber sich sehr, allzu sehr nachgiebig erwies, man sah aber auch, wie wenig die Vertretung der Nation im Reichstag koloniales Verständnis hat, kurz wie dürftig die offizielle Unterstützung unserer Bestrebungen ist. Darnach vermisst man natürlich Erfolge und sagt sich, die ganze Sache geht doch nicht voran, wozu also sich bemühen und für eine Sache arbeiten, die doch kein Ziel erkennen läßt? Auch dem Kolonialverein selbst wirft man vor, daß er zu wenige positive Leistungen aufweise. Wären die vorhanden, so gestaltete sich die Agitation viel leichter und sicherlich viel erfolgreicher. Die politischen Leistungen aber kommen zu kurz, weil der Voranschlag ein ungünstiger ist, bzw. weil die Vertheilung der vorhandenen Mittel auf die Einzelposten ungeeignet (?).

Diese Ansicht wurde mir schon sehr oft ausgesprochen, und zu meinem Bedauern muß ich gestehen, daß ich sie theile.
Schon in Magdeburg hatte ich Dez. 1893 die Absicht, darüber zu sprechen, unterließ es aber, weil ich zum ersten Mal in einer Vorstandssitzung anwesend war, die ich im wesentlichen nur besuchte, um mich zu informieren. Gestern nun ergab sich zwischen meiner Anschauung und derjenigen der hiesigen Herrn im Abtheilungsvorstand völlige Übereinstimmung. Wir sind der Meinung, daß zu wenig für eigentlich koloniale Zwecke, dagegen viel zu viel für die Leitung, Regie usw. der Gesellschaft ausgegeben wird, darüber herrscht geradezu eine gewisse Verstimmung. Es möge mir gestattet sein, das was wir meinen, durch Gegenüberstellung der Voranschläge des Kolonialvereins und des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins für 1894 genauer zu erklären.
Kolonialgesellschaft

Einnahmen: 18660 Mitglieder à 6 M 111960 M
  Zinsen etc. rund 6040 M
    118000 M

 

Ausgaben: Publikationen 21.500 M 18,2%  
  Koloniale Leistungen 37800 32,1  
  Bibliothek u. Sammlung kol. Prod. 4000 3,4  
  Vorträge, Reisen Agitation 11000 9,3 63% produktive Ausgaben
  Verwaltungsaufwand 43700 37,0 37% unproduktive „
         
         

 

Alpenverein

Einnahmen: 28000 Mitglieder à 6 M 168000 M
Überschuß von 1893: 22.500 M
Zinsen etc. 3000 M

193500 M
Ausgaben: Publikationen nach Abzug der eigenen Einnahmen: 103500 = 53,3%
Alpine Leistungen d. Weg- und Hüttenbauten 50000 = 25,8
Führer? Meteorolog. Stationen,
Wissenschaftl. ? Vorträge etc. 19000 = 9,8
Verwaltungsaufwand 21.000 = 11,1%

88,9% produktive, 11,1% unproduktive

Bei im wesentlichen gleicher Organisation beansprucht der viel größere Alpenverein absolut weniger als die Hälfte des Verwaltungsaufwands, ja relativ weniger als den dritten Theil! 37% Verwaltungskosten in unserem Verein sind zu viel, man mag die Sache wenden und drehen wie man will. An dieser Stelle ist, wie wir meinen, der Hebel anzusetzen, wenn die Kolonialgesellschaft in der Nation fester Boden fassen will. Man muß alles anstoßen, auch den Schein zu vermeiden, als ob die große Summe für Gehälter Stellungen schaffe, die der Kolonialverein nicht zu schaffen hat. Erreichen wir es, daß bei gleichem Werth der Gesamteinnahmen die (?) „Verwaltung“ von 37 auf allmählich 25 oder 20 herabgedrückt wird, daß also für koloniale Aufgaben in den Kolonien nach und nach bis 60000 M verwertbar werden, dann können wir Leistungen aufweisen und wir werden damit ganz andere Erfolge unserer Propaganda erleben als bisher. Dann werden auch die Zuweisungen aus öffentlichen Mitteln im gleichen Verhältnis wachsen und die Kolonialgesellschaft wird sich wirklich zur Vertreterin eines nationalen Gedankens aufschwingen können, während sie das zur Zeit sicherlich nicht ist.
Dies ist die Meinung, die hier gestern zum Ausdruck kam, die ich theile u. wie erbeten rückhaltlos berichte.

In vorzüglichster Hochachtung Prof. Dr. L. Neumann
Vorsitzender der Abteilung Freiburg i.B.

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