Pressedokumentation auf www.freiburg-postkolonial.de

China: Zur Lage der Gesandten; viele getötete Christen; Bedenken und Warnungen des ehemaligen deutschen Gesandten von Brandt; versehentlicher tödtlicher Übergriff der japanischen Truppe gegen russische Abteilung

Freiburger Zeitung, No. 176, Mittwoch, 01.08.1900, Tagesausgabe, Seite 2

Zu den Wirren in China.

Der deutsche Konsul in Tientsin telegraphirt am 28. Juli: Der deutsche Gesandtschaftssekretär in Peking, v. Below, schreibt am 21. Juli: Dank für die Nachricht vom 19. Cordes (der zweite Dolmetscher der deutchen Gesandtschaft) befindet sich befriedigend, die übrigen Mitglieder der Gesandtschaft sind wohlauf. Das Detachement hat 10 Todte und 14 Verwundete. Die Häuser der Gesandtschaften sind durch Geschützfeuer stark beschädigt, werden aber von uns erhalten. Seit dem 16. Juli ist der Angriff der chinesischen Truppen auf uns eingestellt. Ein schleunigstes Vorrücken der Entsatztruppen ist dringend nöthig. Gutem Vernehmen nach wurde die Leiche des Frhrn. v. Ketteler von der chinesischen Regierung geborgen.
Die überall mit dem höchsten Unglauben aufgenommene wiederholte Behauptung der Chinesen, daß die Gesandten sich noch am Leben befinden, erhält durch dieser Depeche eine erfreuliche Bestätigung, sodaß an der Richtigkeit der Nachricht jetzt wohl nicht mehr gezweifelt werden darf. Wie heikel trotz der Einstellung der chinesischen Angriffe auf die Gesandschaften deren Lage immerhin noch ist, ergiebt sich aus der Bitte um schleunigen Entsatz. Durch diese Meldung ist anderrseits die Chinesennachricht, die Gesandten befänden sich bereits auf dem Wege nach Tientsin genügend gekennzeichnet. Es wird sich jetzt kaum mehr daran zweifeln lassen, daß die Chinesen die Gesandten als Geiseln „zu konserviren“ gedenken.
Einem in Tokio aus Shangai eingetroffenen Telegramm zufolge, verlautet dort, daß die fremden Missionare und eingeborenen Christen bei Paoting von den Boxern am 8. Juli angegriffen wurden. Ein fremder Arzt, dessen Nationalität unbekannt ist, und über 2000 eingeborene Christen wurden niedergemetzelt. Alle ihre Häuser wurden zerstört. Weiter heißt es, daß der chinesische General Likkokeb [?], der jetzt nach Peking marchirt, den unter seinem Kommando stehenden Soldaten Befehl gegeben habe, alle Christen, die sie anträfen, zu tödten. Ein französischer Pater und 2000-3000 eingeborene Christen sind bereits niedergemezelt. Man befürchtet jetzt allgemein, daß durch die Ankunft des chinesischen Generals mit seinen Soldaten in Peking die Gefahr gesteigert und sich die Lage noch kritischer gestalten werde.

---

Ueber die Zielpunkte der chinesischen Expedition
äußert sich unser früherer Gesandter in Peking, Herr M. von Brandt, wie folgt:
„Was die Entschädigung der Geschädigten, bezw. ihrer Familien anbetrifft, so kann diese Selbstverständlich nur eine pekuniäre sein, und da kann es leicht geschehen, daß man in eine sehr eingenthümliche Lage geräth. China ist nicht im Stande gewesen, die an Japan zu zahlende Kriegsentschädigung aus eigene Mitteln aufzubringen, sondern hat dazu im Auslande mehrere Anleihen aufnehmen müssen; es wird daher zweifellos auch diesmal zur Zahlung der ihm aufzuerlegenden Entschädigung an die Fremde Finanzwelt appelliren müssen. Wenn dieselbe nun, wie es durchaus nicht unwahrscheinlich ist, es ablehnt, eine neue chinesische Anleihe ohne die Garantie der fremden Mächte auf den Markt zu bringen, so können wir uns dem eigenthümlichen Schauspiel gegenüber finden, daß Europa – fremde Anleihen können bekanntlich nicht in den Vereinigten Staaten auf den Markt gebracht werden - die Anleihe oder Anleihen nicht aufbringen, sondern auch noch garantiren muß, deren Vertrag von China als Entschädigung an die Opfer seines Verraths gezahlt werden soll. Die Zinsen und die Amortisation dieser Anleihen werden aber, wenn überhaupt, nur von dem fremden Handel und Verkehr mit und in China aufgebracht werden können.“
Nachdem Herr v. Brandt die Mächte daran erinnert hat, die Bestrafung derer, die den Befehl zum Angriff auf die Gesandschaften gegeben haben, nicht zu vergessen, bespricht er die Schwierigkeit, die sich der Wiederherstellung der Sicherheit der Person, des Eigenthums und der Thätigkeit entgegenstellen werden. „Ein erfolgreicher Schutz nach dieser Richtung hin kann überhaupt nur ausgeübt werden, wenn durch die Thätigkeit der Fremden keine vitalen Interessen der eingeborenen Bevölkerung geschädigt oder bedroht werden, und gerade nach dieser Richtung hin ist seit der Eröffnung Chinas für die Fremden durch den Frieden von Nanking und noch mehr seit dem Abschluss des Friedens von Simonoseki vielfach gefehlt und gesündigt worden. Während der Missionar die geistigen Güter der Chinesen und seine Civilisation – sein Glaube und sein Aberglaube sind für ihn hohe Güter, was immer wir von ihnen denken mögen - bedroht und angreift, erfüllt das Vorgehen der Fremden auf dem Gebiete des Handels, des Verkehrs und der Gewerbethätigkeit weite Kreise des chinesischen Volkes und gerade die Arbeitsamsten und Aermsten unter ihnen mit nicht unberechtigten Besorgnissen. Daß wir davon überzeugt sind, daß die Einführung von Dampfschiffen und Einsenbahnen diejenigen eingeborenen Kreise, welche bisher den Transport von Waaren zuWasser und zuLande geleitet haben, nicht ernsthaft oder wenigstens nicht auf die Dauer schädigen werde, daß wir in dem Ersatz der Hausindustrie durch die Fabrikthätigkeit keinen Schaden, sondern einen Vortheil für die Bevölkerung sehen, schafft die Bedenken und die Befürchtungen der Chinesen nicht aus der Welt, und die Art und Weise, wie der Fremde solche Aenderungen zu verlangen und ins Werk zu setzen pfelgt, ist im Allgemeinen wenig geeignet, die eingeborene Bevölkerung mit den fremden Ideen und Methoden auszusöhnen. Die Lage wird aber noch schlimmer, wenn z.B. bei Eisenbahn- und Bergwerks-Konzessionen die berechtigten Ansprüche der Eingeborenen ignorirt werden und der fremde Unternehmer, eventuell der fremde Staat einfach als Ausbeuter erscheinen und auftreten. Es ist viel, vielleicht zu viel verlangt, nach den Greuelthaten in Peking und nachdem die Rebellion dem ganzen Auslande den Handschuh hingeworfen und die chinesische Regierung sich unfähig gezeigt hat, auch nur das Leben der Fremden zu schützen, von dem Auslande zu verlangen, daß dasselbe an die eigene Brust schlagen und sich fragen soll, welche Schuld es an den jüngsten Vorgängen trage, aber es kann für denjenigen, der die chinesischen Verhältnisse ruhig und unparteilich betrachtet, keinem Zweifel unterliegen, daß das Ausland, wenn es nicht China gegenüber seine Methoden ändert, sich nach der Niedrwerfung der jetzigen Bewegung in wenigen Jahren einer neuen Krisis gegenüber befinden wird, welche die gegenwärtige an Umfang und Schärfe weit übertreffen dürfte. Daß eine solche Eventualität vermieden werde, wird ein allgemeiner Wunsch und noch mehr ein allgemeines Bedürfniß sein, und Graf Bülow kann sich den Dank weiter, weitester Kreise erwerben, wenn er sein Programm in diesem Sinne aus- und durchführt.


Scan der Zeitungsseite auf Server der UB-Freiburg Weiter | nach oben home

 

Freiburger Zeitung, No. 176, Mittwoch, 01.08.1900, Tagesausgabe, Seite 3

Die Wirren in China.

Berlin, 30.Juli. Wolffs Telegr.-Bureau meldet aus Tientsin vom 26. Juli: Unweit von Tientsin wurde am 24. Juli ein russische Abteilung von 13 Mann durch 80 Japaner angegriffen. Die Russen verloren 2 Todte und 3 schwer Verwundete. Der Rest ergab sich den Japanern. Die sofort eingeleitete Untersuchung ergab, daß die Russen von den Japanern irrthümlich für Chinesen angesehen wurden. Der Zwischenfall wird als erledigt angesehen.
Berlin, 30. Juli. (Wolffbureau.) Nach einer telegraphischen Meldung des kaiserlichen Konsuls in Tientsin traf dort eine vom 19. Juli datirte Mittheilung des japanischen Gesandten in Peking ein, wonach sich die in Peking eingeschlossenen Fremden fortgesetzt gegen die chinesischen Truppen vertheidigen und an der Hoffnung festhalten, sich bis Ende Juli behaupten zu können. Bis dahin werde die Ankunft der Entsatztruppen erwartet. Der japanische Gesandte erwähnt in seiner Mittheilung, die Chinesen hätten seit dem 18. Juli aufgehört, die Stellung der Fremden zu beschießen. Diese Angabe wird auch vom Kommandanten in Peking unter dem 22. Juli bestätigt.


Scan der Zeitungsseite auf Server der UB-Freiburg Weiter

zurückZur Übersicht August 1900 der Pressedokumentation | nach oben home