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Forderung im Reichstag nach Truppenverstärkung „zur Bewältigung des Aufstandes in Deutsch-Südwestafrika“, Berichte Herero-Aufstand von Offizier Voigts und der für Tod gehaltenen Farmerin Wiese

Freiburger Zeitung, 16.03.1904, 1. Blatt, 1. Seite

Deutscher Reichstag.
Berlin, 14. März.
Das für den Arbeitseifer der Reichstagsabgeordneten beschämende Ergebnis bei der Abstimmung am Samstag hatte die Faktionen veranlaßt, durch zahllose Telegramme die säumigen Kollegen für heute nach Berlin zu zitieren. So konnte man sich denn – wenigstens zu Beginn der Sitzung – des Anblicks eines beschlußfähigen Hauses erfreuen. Die ungewöhnlich angeregte Unterhaltung der Volksvertreter bei der Beratung des Heeresetats, das überraschende Erscheinen des Grafen von Posadowsky und des Kolonialdirektors Dr. Stübel ließen etwas außergewöhnliches erwarten; man dachte sofort an die Meldung vom Samstag, daß zur Bewältigung des Aufstandes in Deutsch-Südwestafrika Truppenverstärkungen von 1000 Mann gefordert werden sollten. In der Tat erklärte vor Eintritt in die Tagesordnung Kolonialdirektor Dr. Stübel: Laut einem Telegramm des Gouverneurs Leutwein stehen 5000 Hereros unter den Waffen, immer noch in guten Stellungen. Er hält deshalb eine weitere Vermehrung der Schutztruppe um 800 Reiter und zwei reitende Batterien für unerläßlich. Die verbündeten Regierungen meinen, daß zur Wahrung der Würde des Reiches und zur Vermeidung langwieriger Kämpfe und unnötigen Blutvergießens und zur Verhinderung der Rückwirkung der Ruhestörung auf andere Kolonien rasch gehandelt werden muß. Sie glauben, daß der Reichstag einverstanden ist, wenn unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen getroffen werden. Die Kosten seien noch nicht übersehbar. Sobald dies der Fall sein werde, werde dem Reichstage eine Vorlage zugehen, worin die nachträgliche Genehmigung des Reichstags erbeten wird.
Graf Ballestrem bemerkte, daß der Reichstag auf die Sache zurückkommen werde, sobald die angekündigte Vorlage eingegangen sei. Hierauf ging das Haus zur Fortsetzung der Beratung des Militäretats über.
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Freiburger Zeitung, 16.03.1904, 2. Blatt, 1. Seite

Bilder aus dem Herero-Aufstand.
Immer reichlicher treffen jetzt die brieflichen Nachrichten über den ersten Teil des Aufstands in Deutschland ein. Eine anschauliche Schilderung gibt ein in der Braunschweig. Landeszeitung veröffentlichter Brief aus Windhuk, den Herr A. Voigts in Braunschweig von seinem Bruder, der in Windhuk als Offizier zur Schutztruppe eingezogen ist, erhalten hat. Es heißt da:
„Das Elend und die Menschenschlächterei sind so groß, daß ich kaum weiß, wo mir der Kopf steht. Ich komme soeben mit 30 Reitern von einer Aufklärungspatrouille halbwegs Gobabis und habe nur noch wenige Minuten zum Postschluß. Erst in den nächsten Tagen kann ich dir ausführlich schreiben. Unsere Okahandja-Häuser sind total demoliert. Kontor, Store, Lagerräume und Wohnzimmer ausgebrannt – nur Schutt, der meterhoch liegt. Das Gartengebäude und der Zollschuppen vernichtet. Unsere Rinder, Pferde, usw. usw. in Okahandja sind fort, alles haben die Bestien in den Händen. Der Hererohandel ist vernichtet für immer, das Geschäft muß von neuem aufgebaut werden. Die Gartenanlagen sind ziemlich verschont geblieben. Der Tabak steht mannshoch, aber in Blüte, da niemand da ist, der ihn schneiden könnte, der Mais steht auch gut, in ihm hat man viele Hereroleichen gefunden. Windhuk haben die Bestien nicht angefaßt, nur in Klein-Windhuk sind einige Häuser demoliert. Unsere ganze Habe auf den Farmen Voigtsland-Oupambameva und Arris an jeglichem Vieh, Rinder, Angoras, Straußen, alles, alles haben die Scheusale. Gestern war ich mit meiner Patrouille auf Voigtsland, die Farmhäuser sind demoliert, die Strauße sind teilweise auf der Veranda geschlachtet, das Gras wächst einen halben Meter hoch in die Tür hinein. An Rindern sind uns 1500 Stück fortgetrieben. Was wir behalten haben sind fünf Milchkühe und ein Pferd. Selbst unsere alten treuen Wächter sind mit ihren Familien fortgetrieben worden. Glücklicherweise sind 400 Ochsen der Regierung von Neudamm noch rechtzeitig hereingekommen, sonst sähe es mit Fleisch recht schlecht aus. – Waterberg ist selbstverständlich total hin. Unsere Leute, Reinecke und Debald, sind sicher ermordet, auch fast alle Händler. Ebenso sind auf der Otjogonyati-Mine unsere Leute ermordet, Möller rettete sich dadurch, daß er mit einem Rohrstahl einige Kaffern erschlug und dann barfuß in vier Tagen nach hier flüchtete, er aß unterwegs nur Gras. Ueber die Rettung anderer ist so viel zu erzählen, daß ich mir das für später vorbehalten muß. Am 12. Januar gings in Okahandja los. Zuerst wurde Frau Dieckmann erschossen, als sie aus dem Fenster flüchten wollte, dann Diekmann selbst usw. Ich wurde am 13. Januar gegen Okahandja vorgeschickt, um das Maschinengewehr hineinzubringen mit den Reserveleutnants Maul, Boysen, Henning, Bartotschat und etwa 30 Mann. Bei dem Missionshause waren 60 Meter Schienen ausgerissen, die ich reparieren sollte – ich hatte das Kommando. Aber zwischen Viehe und Barnabas-Klippen faßten mich mehrere hundert Hereros derart hart an mit meinen wenigen Leuten, daß wir um ein Haar fast alle kaput waren. Leider blieb der junge Boysen mit vier Mann und zwei Maschinisten im Feuer.“

Einen ebenfalls interessanten Brief aus dem Aufstandsgebiete in Deutsch-Südwestafrika hat die Ehefrau Wiese, Gattin des Besitzers der von den Aufständischen zerstörten Farm Springbocksklee (bei Seeis), an ihre Mutter in Hamburg gerichtet. Frau Wiese hatte bereits unterm 28. Dezember ihren Verwandten mitgeteilt, daß sie in Okatombo mit ihrem Manne und ihrem Kinde auf einem hohen Berge säße. Zehn Eingeborene, ihre eigenen Leute, befänden sich bei ihnen; diesen sei aber nicht zu trauen, da bereits im Süden der Aufruhr bei den Bondelzwarts ausgebrochen sei. Der jetzige, vom 6. Februar datierte Brief der Frau Wiese, die wochenlang mit ihrem Kinde für ermordet gehalten wurde, sich nun aber in Rehoboth in Sicherheit befindet, lautet nach Bericht der Voss. Ztg. folgendermaßen:

„Der 18. Februar war der Tag, den ich in meinem Leben nicht vergessen werde, besonders die Nacht war die schreckensvollste, die ich je erlebt habe. Die Unruhen im Süden bestanden ja schon längere Zeit, sodaß sämtliche Soldaten und Reservisten hinuntergezogen sind. Dieses haben die Herero wahrgenommen und am 12. Januar begannen sie ihre grauenvolle Mörderei. Also – am Nachmittag des 13. Januar saß ich ahnungslos an meiner Handarbeit, als Gerd (der Gatte) von Kietmanns kam, weiß, wie der Kalk an der Wand. Auf meine Frage sagte er mir, ich sollte in den Store gehen und den Kaffern Waren verkaufen. Ich ging nun in den Store. Anfangs traf ich dort 10 Kaffern, aber in kurzer Zeit waren es über 100, die links und rechts die Waren nahmen. Ich wußte noch nicht, was das zu bedeuten hatte und jagte die Kaffern fort, schloß den Store und ging ins Wohnhaus. Mein Mann war mit Gewehr und Patronen fortgeeilt, um Hilfe zu holen. Das war um 6 Uhr. Um 7 Uhr steckten die Herero den total ausgeplünderten Store in Brand. Um 8 Uhr schlugen sie meine Tür ein, raubten erst das Wohnzimmer aus und kamen dann zu mir ins Schlafzimmer. Ich saß bei dem schlafenden Peter (dem Sohn) auf dem Bette. Gewehr und Patronen hatte ich nicht, also war ich der wilden Horde gänzlich preisgegeben und mußte ruhig abwarten, was die Halunken mit mir und dem Kinde machen würden. Nachdem die Herero alles, was dastand, genommen hatten, packten sie den Jungen an. Da wurde ich aber giftig. Ich schlug um mich, so gut ich konnte. Bald wurde ich aber überwältigt. Drei Herero-Weiber packten mich, hielten mich fest und schlugen mit mehreren Männern zusammen auf mich ein. Inzwischen wurde draußen Rat gehalten. Nun wickelte ich den Jungen in eine Decke und setzte mich aufs Bett. Nicht lange, da kam ein alter Bergdamara-Mann und flehte mich auf den Knien an, ich sollte doch flüchten, denn die Kaffern hätten beschlossen, mich und das Kind zu töten. Ich blieb trotzdem, denn flüchten hätte keinen Zweck gehabt; hunderte von Kaffern standen draußen herum. Wenige Minuten später steckten sie mir das Haus über dem Kopf in Brand. Ich nahm mein Kind auf den Schoß und blieb ruhig sitzen, sterben müssten wir ja doch, dachte ich, und der Flammentod ist doch besser als ermordet zu werden. In der letzten Minute, als schon alles voll Rauch war, kam wieder der alte Mann, nahm mich bei der Hand und führte mich ins feie Feld. Sobald ich Luft atmete, wurde mein Kopf wieder klar; der Junge schlief fest auf meinem Arm und hat von der ganzen Sache nichts bemerkt. Es war stockdunkle Nacht, ich flüchtete weiter ins Feld, brach aber bald zusammen, denn den schweren Jungen zu tragen ist nicht leicht, auch hatte ich mir die Hände blutig geschlagen und hatte ein paar Keulenschläge an den Kopf bekommen. Als ich wieder zu mir kam, sah ich Feuer bei den Hottentottenwerften, ich ging darauf zu und traf Barsap, einen treuen Hottentotten, der schon seit 10 Jahren bei uns arbeitet. Der brachte mich dann mit dem Jungen nach Lofft Rietmann (einer Bastardfamilie). Am anderen Morgen wurden wir in die Gefangenschaft abgeführt. Nach vierzehn Tagen gelang es uns, aus der Gefangenschaft zu entfliehen. Ich blieb bei den Rietmanns und zog mit ihnen hierher nach Rehoboth. Ich habe nichts als den Jungen und das nackte Leben gerettet. Es ist jetzt bereits ein Monat vergangen seit jener Schreckensnacht, und erst heute bekam ich das erste Lebenszeichen von meinem Manne, der auf Seeis (fünf Stunden entfernt) sein soll. Ich gelte allgemein für tot, auch mein Mann weiß nicht, daß ich noch am Leben bin. Montag werde ich nach Windhuk fahren. Die Kaffern sind alle nach der Grenze geflüchtet. Mit dem nächsten Brief werde ich dir schreiben, wie viele Frauen und Männer ermordet sind, es sind viele Bekannte darunter.“


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