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Presse-Dokumentation auf www.freiburg-postkolonial.de:

"Sorgen in Deutsch-Afrika": Gouverneuer Graf Goetzen über die Verschlimmerung der Lage in DOA; Debatte um die Ausrottungskriegführung General Trothas in Deutsch-Südwestafrika; Gründe der gescheiterten Verhandlungen mit Morenga; Karl Peters über die Zukunft Afrikas

Freiburger Zeitung, 20.08.1905, 1. Blatt, 1. Seite

Sorgen in Deutsch-Afrika.
Nach soeben einlaufenden Telegrammen hat sich die Lage in Deutsch-Ostafrika verschlimmert. Eine Reihe neuer Mordtaten wird gemeldet.
Nach einem in Berlin eingegangenen Telegramm gibt der Gouverneur von Deutsch-Ostafrika die Verschlimmerung der Lage zu. Er meldet:
In den Matumbibergen, wo die Unruhen rasch unterdrückt werden konnten, ist kein neuer Zwischenfall eingetreten. Dagegen herrscht neuerdings Unsicherheit in den Bezirken von Dondo und Kiwale. Nach Kilwa sind Eingeborenenberichte gelangt, wonach der Bischof Spieß, der Bruder Gabriel Sonntag, der Bruder Andreas Scholzen, die Schwester Felicitas Hiltner und die Schwester Cordula Ebert auf einer Reise zwischen Kilwa und Liwale ermordet worden sind. Der Bischof war durch das Bezirksamt zurückberufen und nochmals ersucht worden, die Reise aufzugeben, hatte aber erklärt, auf seine eigene Verantwortung reisen zu wollen. Der Gouverneur hat sofort Verstärkung seiner Machtmittel beantragt.

Diese erschreckende Meldung wird bei uns im Reiche mit großer Betrübnis aufgenommen werden. Allgemein war die Meinung verbreitet, unsere Landsleute in den Kolonien hätten die schlimmsten Tage überstanden, - das Gewitter sei im Abzuge und werde wenigstens nicht mehr beträchtliche Menschenopfer fordern. Das amtlich zugestandene Verlangen des Gouverneurs nach neuen Verstärkungen lässt die Hoffnung auf Einstellung der Feindseligkeiten für absehbare Zeit leider wieder schwinden.

Zu der neuen Hiobsbotschaft aus Ostafrika kommen mehrere unerquickliche Geschichten aus Südwestafrika. General v. Trotha wird neuerdings vielfach angegriffen, wegen des Tones seiner Erlasse in Südwestafrika und wegen der Art der Kriegführung. Er hatte sich den "großen general des mächtigen Kaisers" genannt und angeordnet: "Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero, mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh, erschossen. Ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen." Allerdings hat er in dem Befehl an die Truppen hinzugefügt, es sollte nur über die Weiber und Kinder hinweggeschossen werden, um sie zum Laufen zu zwingen. Aber wenn sie nicht laufen? Oder wenn die Kugeln sich verirren und Weiber und Kinder treffen? Außerdem sollten nach Anordnung des Generals auch männliche Gefangene nicht mehr gemacht - jeder Herero, ob mit oder ohne Waffe, sollte erschossen werden. Der Reichskanzler hat die Zurücknahme der Proklamation über die Ausrottungspolitik angeordnet. Doch hält man den Zwischenfall damit nicht für erledigt und glaubt, die plötzliche Reise des Kanzlers von Norderney nach Berlin und nach Wilhelmshöhe stehe mit den Vorgängen in Südwestafrika in Verbindung. Denn General Trotha hat auch in der Presse den Reichskanzler angegriffen. Das gibt der Presse bereits Anlaß, die Entbindung Trothas von seinem Amte zu verlangen. Die Voss. Ztg. beispielsweise schreibt:

"Man sollte meinen, daß schon dieses Verhalten des Generals zu dem Entschluß nötigen müßte, ihn von seinem Amte zu entbinden. Was aber die Zusässigkeit der Truppennachschübe anlangt, so ist an der Richtigkeit der Versicherung nicht zu zweifeln, daß der Reichskanzler das Budgetrecht des Reichstags aufs peinlichste beachten wolle. Inwieweit die militärischen Anordnungen unter Mitwirkung des Fürsten Bülow erfolgt sind, ist nicht zu erkennen, und ob sie sich im Rahmen der bisherigen Bewilligungen halten, ist auch nach der umfangreichen, auf den Reichskanzler zurückzuführenden Darstellung der Nordd. Allg. Ztg. zweifelhaft.

Die deutschen Verluste in Südwestafrika vom Beginn des Aufstandes bis zum 31. Juli 1905 beziffern sich auf 1122 Tote und 570 Verwundete oder Verunglückte. Bewilligt hat der Reichstag zur Niederwerfung des Aufstandes bereits 195 Millionen Mark. Noch immer ist jedoch das Ende des Kampfes nicht abzusehen; im Gegenteil, es mehren sich die Prophezeihungen sachkundiger Beurteiler, daß noch Jahre vergehen werden, ehe Ruhe eintreten wird. Was aber hat man von der Entwicklung der Kolonie zu hoffen, wenn ein großer Teil der der eingeborenen Bevölkerung ausgerottet ist? Der Gedanke, Deutsch-Südwestafrika mit deutschen Bauern zu besiedeln, ist nach den klimatischen und Bodenverhältnissen eine Phantasterei. In demselben Umfang, wie die eingeborenen Stämme verschwinden, mindert sich die ohnehin geringe Hoffnung, das Land einst wirtschaftlich ergiebig zu machen und allmählich einen Handelsverkehr auszubilden, der die Verwaltungskosten auch nur annähernd lohnt. Mit der Ruhe des Kirchhofs kann dem Deutschen Reich und der Zivilisation nicht gedient sein."

Gerade die obige Meldung aus Ostafrika wird nun die Erbitterung gegen die Aufrührer abermals entfachen und die energischten Mittel gegen sie wünschen lassen. Aber selbstverständlich kann auch eine bloße Friedhofsruhe nicht das Ziel unserer Kolonialpolitik sein. Wahrscheinlich werden die Unruhen der Regierung und dem Reichstag, wie dem ganzen Volke noch schwere Tage bereiten. Um so weniger sollten Reibungen zwischen militärischen und Regierungskreisen unseren Feinden Stoff zur Schadenfreude geben.

*

Warum die Friedensverhandlungen mit dem Bandenführer Morenga vor einigen Wochen gescheitert sind, erfährt man jetzt durch einen Brief, den ein Missionar an die Köln. Volksztg. richtet. Darin heißt es:

Die Hottentottenhäuptlinge Morenga und Kornelius hatten erklärt, daß sie kriegsmüde seien und ihre Waffen und ihr Vieh abgeben wollten, so wie es die Proklamation vorschreibt, sogern ihnen das Leben gesichert würde. Nach Denkart der Eingeborenen schien ihnen aber das geschriebene Wort der Proklamation keine genügende Garantie für ihr Leben zu bieten, und sie baten daher, daß ihnen mündlich durch Offiziere, mit denen sie unbewaffnet zusammentreffen wollten, ihr Leben nochmals zugesichert würde. Zu dieser bei der Unzuverlässigkeit der Eingeborenen immerhin recht bedenklichen Entsendung hatten sich freiwillig erboten der Hauptmann v. Koppy, Hauptmann Thervult [?] und der durch seine kühnen Patroillenritte bekannte Leutnant v. Trotha. Die beiden ersteren Herren, denen ich mich als Dolmetscher anschloß, sollten zu den vereinigten Häuptlingen Morenga und Morris, Leutnant v. Trotha zu Kornelius gehen. Bei Kornelius angekommen, wurde Leutnant von Trotha meuchlings angeschossen. Kornelius selbst ist an diesem Morde wahrscheinlich unschuldig. Irgend einer seiner Unterführer, der des Mordes an Farmern schuldig, nicht unter den Begnadigten der Proklamation mit einbegriffen war, hatte auf diese Weise den Frieden vereitelt, um nicht ohne Schutz und Anhang vogelfrei im Lande herumzulaufen. Kornelius hat die Sache so darzustellen versucht, als ob Leutnant v. Trotha von einer deutschen Vorpostenkugel getroffen sei, was aber als unrichtig klar erwiesen wurde. Wir empfingen die Todesnachricht auf dem Wege zu Morenga, und da auch der überdies durch einen Schrappnellschuß verwundete Morenga leicht die Gewalt über seine Unterführer verlieren konnte, unter denen sich auch überführte Mörder befanden, traf uns diese Trauerbotschaft doppelt hart. Als Zusammenkunft war eine Wasserstelle unweit des Lagers Morengas vereinbart.Wir trafen ohne Waffen und Bedeckung pünktlich dort ein und schickten, als Morenga nach sechs Stunden noch nicht kam, einen schwarzen Diener nach seinem Lager. Dieser brachte die Meldung, daß Morengas Werft im Abzuge sei. Gleichzeitig merkten wir, daß wir von feindlichen Spähern umstellt waren. Wir schickten nun zurück, um unsere Eselkarre mit Waffen und Proviant zu holen. Da stellte sich heraus, daß der Burenkutscher an einer 10 Stunden zurückliegenden Wasserstelle aus Furcht zurückgeblieben war. Bis zum Abend des nächsten tages mußten wir ohne Wasser zwischen feindlichen Spähern zubringen. Die Nacht wird uns wohl allen unvergeßlich bleiben. Tags darauf erhielten wir durch einen Brief Morengas die Erklärung. Eine deutsche Kompagnie, welche inmitten der Karrasberge der helogtaphische befehl zur Waffenruhe nicht hatte erreichen können, war der feindlichen Spur direkt auf das Hottentottenlager zu gefolgt und hatte nicht weit davon Halt gemacht. Das hatten die äußerst mißtrauischen Schwarzen so aufgefaßt, als ob während der Unterhandlungen das führerlose Lager überfallen werden sollte, und waren eiligst geflohen. Nun wurde uns auch unsere Ueberwachung klar. Bei der geringsten verdächtigen Bewegung deutscherseits wären wir offenbar sämtlich erschossen worden. Schade, daß sich durch diesen unglücklichen Zufall das Zustandekommen des Friedens zerschlug. Da aber inzwischen Morenga abermals um Frieden gebeten hat, so werde ich ihm folgen und versuchen, ob ich ihn überrede, vertrauensvoll zu General von Trotha hinzukommen und den Frieden zu erbitten.

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Freiburger Zeitung, 20.08.1905, 1. Blatt, 2. Seite

Karl Peters

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