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Kolonialdebatte im Reichstag: Klage gegen Roeren?; Bezirksamtsmann von Togo pocht auf Unschuld; Pressestimmen

Freiburger Zeitung, 07.12.1906, 1. Blatt, 1. Seite

Allgemeine Umschau.

[...] Der Beamte der Kolonialabteilung, der seiner vorgesetzten Behörde mitgeteilt hat, daß der Abgeordnete Roeren mit der Ablehnung aller Kolonialforderungen durch das Zentrum gedroht hat, wenn die Angelegenheit Wistuba nicht seinen Wünschen entsprechend erledigt werde, will die Bezeichnung „dummer, grüner Assessor“, die ihm der Abg. Roeren dieserhalb gewidmet hat, nicht auf sich sitzen lassen. Der Herr, sein Name ist Brückner, will sich, wie das Berl. Tagbl. meldet, u.a. mit einer Beschwerde an das Justizministerium wenden. Das wird ihm aber wohl nichts helfen, denn der Abg. Roeren ist durch seine Immunität als Abgeordneter gedeckt.


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Freiburger Zeitung, 07.12.1906, 1. Blatt, 3. Seite

Neuestes und Telegramme.

 Nachklänge zu den Kolonialdebatten.

 Berlin, 6. Dezember. In einem hiesigen Blatte teilt der Rechtsanwalt des früheren Bezirksamtmanns Schmidt von Togo gegenüber den Erklärungen, die Kolonialdirektor Dernburg in der Sitzung vom 4. Dezember in dieser Angelegenheit abgegeben hat, mit, daß diese Erklärung auf einem Irrtum beruhen müsse. Gegen Schmidt habe überhaupt nur ein Verfahren geschwebt. In diesem sei er freigesprochen worden, weil nach dem Wortlaut des Urteils die Merkmale einer strafbaren Handlung in den Tatsachen, die als bewiesen erachtet wurden, nicht gefunden wurden. Auf die anderen Anschuldigungen, die insbesondere vom Abg. Roeren gegen Schmidt erhoben worden seien, werde dieser in geeigneter Weise unter Vorlage urkundlichen Materials erwidern.


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Freiburger Zeitung, 07.12.1906, 3. Blatt, 1. Seite

Stimmen der Presse.

Zum Kampfe Dernburgs wider Roeren schreibt die Deutsche Ztg.:

Inzwischen erhebt sich die Frage, was die politischen Folgerungen aus diesem Zusammenstoß, aus dieser wichtigsten Enthüllung des ganzen Kolonialdienstes sein werden. Uns wird jede willkommen sein. Fürst Bülow hat offenbar eingesehen, daß die jahrelange zornige Klage der nationalen Presse über die Zentrumsknechtschaft begründet war. Endlich sah er ein, daß man ein: Bis hierher und nicht weiter! aufrichten müsse. Und in Dernburg fand er den Mann der Arbeit, des Könnens, des Wahrheitsmutes und des höheren sittlichen Verantwortlichkeitsgefühls, der auch ohne Regenschirm in den Schlossensturm hinausging. Erkennt jetzt das Zentrum, daß es auf Biegen oder Brechen geht, so wird es sich vermutlich schleunigst fügen und seine positiven Kräfte, die in der Tat selbst in der Rede Erzbergers bereits erfreuliche kleine Lichter spielen ließen, frei geben zu einer immer von uns gewünschten sachlichen und förderlichen Kolonialpolitik, in der Konfessionsstreit und politische Nebengeschäfte überhaupt keine Stelle haben dürfen, dieweil es um die Nationalwirtschaft und das gemeinsame Vaterland geht. Geht das Zentrum aber zu heimlicher Obstruktion über – wir sind auch dabei getrost. Dann kommt ein Kampf, der Segen und Sieg bringen muß.

Die Germania findet:

Was den „neuen Herrn“ dazu eigentlich veranlaßte, einen so scharfen persönlichen und sachlich ungerechten Zusammenstoß herbeizuführen, ist uns eigentlich ein Rätsel. Im Reichstage sprach man davon, Herr Dernburg habe einmal zeigen wollen, daß das beim Antritt seines Amtes ihm nachgerühmte Kompliment der absoluten „Rücksichtslosigkeit“, das er als Bankdirektor gezeigt habe, auch für sein neues Reichsamt gelten solle; und wenn das die Absicht gewesen ist, so hat er allerdings seinen Zweck erreicht. Freilich kann ein Bankdirektor unter Umständen sich als absoluter Herrscher aufspielen; ein Reichsbeamter, und wenn er selbst Reichskanzler wäre, ist immerhin an konstitutionelle Grundsätze und an parlamentarische Gepflogenheiten gebunden. Herr Dernburg ist freilich noch nicht so lange im Amte, daß er das praktisch erfahren haben könnte. Er sprach am Schlusse schon davon, daß er auch die Konsequenzen zu tragen entschlossen sei – und er wird jedenfalls die Behandlung, die man der „Exzellenz der Rücksichtslosigkeit“ in Zukunft zuteil werden lässt – von allen Parteien – die Konsequenzen auf sich nehmen müssen. Im übrigen betonen wir nochmals, daß es sich hier zunächst um eine persönliche Auseinandersetzung zwischen dem Abg. Roeren und dem Kolonialdirektor Dernburg handelt, wobei der Abg. Roeren unzweifelhaft am besten abschnitt. Der Fall Wistuba ist in der Zentrumsfraktion selbst noch nicht zur Erörterung gelangt.

Auch das offizielle Organ der Nationalliberalen, die Nat.-Lib. Korr., weist auf die Folgen hin:

Unzweifelhaft stehen wir angesichts der Debatte vor folgenschweren Nachwirkungen in unserer inneren Politik. Das leidenschaftliche Echo der heutigen Erörterungen wird sehr bald aus dem Walde der Zentrumsblätter heraustönen.


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