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Internationale Flottenpolitik

Freiburger Zeitung, 08.12.1906, 1. Blatt, 1. Seite

Allgemeine Umschau.

Obgleich die englische Flotte die alten europäischen Staaten zusammengenommen an Stärke übertrifft und obgleich nach Beendigung des russisch-japanischen Krieges der Schwerpunkt der britischen Streitmacht zur See, der früher im Auslande lag, in die europäischen Gewässer und namentlich in die Nordsee verlegt wurde, nützt England diesen Vorsprung nun zu neuen bedrohlichen Rüstungen aus. Freilich, im Parlamente wurde in diesem Sommer, wie die Freib. Ztg. seinerzeit berichtete, viel von Abrüstung geredet.

Aber praktisch bedeutete das nur: ob man in diesem Jahre vier oder, wie die sogen. Abrüstungsfreunde forderten, nur drei neue Linienschiffe in Bau geben solle. Wohin der wahren Absichten der englischen Admiralität und des hinter ihr stehenden englischen Königs gehen, bewies die Verstärkung der Reservegeschwader der Heimatflotte um je sechs Linienschiffe, die eine Gefechtsbereitschaft gegen Deutschland darstellt und den fertigen Aufmarsch zu einer Blockade unserer Nordseehäfen erkennen läßt. Dazu kommt die Indienststellung der Dreadnought und die Kiellegung dreier weiterer derartiger Riesenschiffe, welche die Dreadnought sogar noch um 800 Tonnen an Raumgehalt übertreffen sollen. Zu gleicher Zeit kommt aus Paris die Meldung, daß die Grundlagen eines Einvernehmens zwischen England und Rußland bereits festgestellt seien und die endgültige Unterzeichnung des Abkommens außer Frage stehe. Das stellt sich doch als die diplomatische Ergänzung der ungewöhnlichen Kriegsvorbereitungen dar. Man wird in Deutschland gut tun, diese Dinge mit wachsamem Blicke zu verfolgen. Die kecke Sprache einzelner Gegner Deutschlands ist gewiß bezeichnend für den Ernst der Lage. So fordert Yves Guyot, der ehemalige französische Minister, ein englisch-französisches Schutz- und Trutzbündnis zur Vernichtung Deutschlands und zwar: aus denselben Gründen, aus denen einst England Napoleon I. bekriegte. – Es ist eine Gefahr, schreibt Guyot in der Monatsschrift Nineteenth Century, für England wie für die ganze Welt, daß es in Europa einen Staat gibt, dessen Ehrgeiz keine Grenzen kennt. Frankreich und England stellen eine furchtbare strategische Macht dar; denn wenn man in Deutschland an Landungen in England (!) denkt, so lassen sich auch Landungen verbündeter Heere in Deutschland voraussehen, denen Transportmittel zur Verfügung stehen, deren Wirksamkeit sich im südafrikanischen Kriege erprobt hat. Unter dem Vorwande, daß Holland und Belgien in Gefahr stehen, von Deutschland überrannt zu werden, ereifert Herr Yves Guyot sich für die Erhaltung dieser Kleinstaaten unter einer englisch-französischen Schutzherrschaft. In den Niederlanden wird man sich jedenfalls noch hinreichend deutlich darauf besinnen, daß Herr Yves Guyot kein Bedenken trug, die Unterjochung der Burenrepubliken hitzig zu befürworten und daß mit seiner Schutzherrschaft den Blamen [gemeint ist wohl Flamen] schwerlich eine Erfüllung ihrer Sehnsucht nach einem Groot-Nederland bringen würde. Immerhin ist es bezeichnend, daß dieser Mann im Nineteenth Century gerade diese Sprache glaubt führen zu dürfen.

An Herrn Clemenceau, dessen Aeußerungen über das Verhältnis Frankreichs zu England bekannt sind, richtet jetzt der orleanistische Soleil folgende Fragen:

Ist es wahr, daß Herr Clemenceau mehrere Unterredungen mit Herrn Déroulède zu dem Zwecke gehabt hat, diesen für seine Ansichten über die englisch-französische Allianz u. einen deutsch-französischen Krieg zu gewinnen?

Ist es wahr, daß Herr Clemenceau Herrn Déroulède aufforderte, ihm seinen Beistand zu leihen, um im Lande die Idee einer solchen Allianz und eines solchen Krieges annehmbar, ja populär zu machen?

Ist es wahr, daß Herr Déroulède jetzt einigermaßen zu einer englischen Allianz hinneigt?

Man kann, so schreibt die Münch. Allg. Ztg., auf die Antwort gespannt sein, da Déroulède bekanntlich vor Jahren, nach dem Skandale, den er mit Millevoye und anderen in der Kammer durch die Behauptung verursachte, Clemenceau unterhalte geheime Beziehungen mit England, sein Abgeordnetenmandat niederlegte.


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