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Budgetkommission des Reichstags lehnt Nachtragsetat für Südwestafrika ab; Bülow verhandelt mit Abgeordneten

Freiburger Zeitung, 13.12.1906, 1. Blatt, 1. Seite

Neue Kämpfe.

Die Budgetkommission des Reichstags hat am Dienstag mit großer Mehrheit den Nachtragsetat, wodurch 29 220 000 Mark für Südwestafrika angefordert werden, abgelehnt, ebenso sämtliche dazu gestellten Anträge und Resolutionen. Es bestand die Erwartung, die beiden Nachtragsetats für Südwestafrika (von denen der eine den Bahnbau von Kubub-Keetmanshoop betrifft, der im vorigen Sessionsabschnitt abgelehnt wurde) würden vor den Weihnachtsferien erledigt werden. Daß eine Mehrheit der Kommission die Zahl der in Südwestafrika stehenden Truppen wesentlich beschränken wolle, verlautete schon seit einiger Zeit, und seit dem bekannten Zusammenstoß im Reichstag nahm dieses Gerücht mehr und mehr Wahrscheinlichkeit an. Nun hat das Zentrum gestern abermals seine Macht gezeigt. Es ist bei der Forderung stehengeblieben, vom Frühjahr ab nur 2500 Mann in Südwestafrika zu belassen. Voraussichtlich wird die weitere Beratung harte Kämpfe bringen, die für die ganze Haltung der Regierung gegenüber dem Zentrum entscheidend werden können.

Ueber den Verlauf der Sitzung wird berichtet:

Die Budgetkommission bezeichnete zunächst die Tatsache, daß der Sitzungsbericht vom Freitag in eine Anzahl Zeitungen gelangte, obgleich die Kommission Geheimhaltung beschlossen hatte, als einen beklagenswerten Vertrauensbruch und setzte dann die Beratung des Nachtragsetats für Deutsch-Südwestafrika fort. Auf Ersuchen des Kolonialdirektors und in Erklärung der Worte, daß bis zum 31. März 1907 Vorbereitungen dazu getroffen sind, die Gesamtstärke der Schutztruppe auf 2500 Mann herabzumindern, erklärt Abg. Spahn (Ztr.): Nachdem schon seit einem Jahre betont worden sei, daß der Widerstand des Feindes gebrochen sei, müsse man sich sagen, daß nach weiteren drei Monaten mit der bis dahin noch zur Verfügung stehenden Truppenmacht der Kampf so gefördert sein werde, daß weiterhin 2500 Mann genügten. Kolonialdirektor Dernburg wandte sich hiergegen. Bei den herrschenden Zuständen sei es unmöglich, sich bereits heute auf eine Truppenmacht von 2500 Mann festzulegen. Es werde darauf hingearbeitet durch Ansiedlung ehemaliger Schutztruppler und sonstiger wehrhafter Leute eine Miliz zu schaffen. Oberstleutnant Kuhl erklärt, seitens des Generalstabs werde es gleichfalls für unmöglich gehalten, daß man in den nächsten Jahren unter allen Umständen mit 2500 Mann auskomme. Im weiteren Verlaufe der Beratung begründet Abg. Eickhoff (fr. Bpt.) eine Resolution, wonach die Organisation der Landespolizei derart ausgebaut werden solle, daß die Polizei möglichst bald an die Stelle der Schutztruppe treten könne. Bei der folgenden Abstimmung wird der Antrag Engelen (Zentr.), statt 29 220 000 M. nur 15 288 000 M. zu bewilligen, abgelehnt, ebenso die Resolution Eickhoff. Darauf wird, wie schon gemeldet, die Regierungsvorlage gleichfalls abgelehnt.

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Freiburger Zeitung, 13.12.1906, 1. Blatt, 2. Seite

Neuestes und Telegramme.

Zur Ablehnung des Nachtragsetats für Südwestafrika.

Berlin, 12. Dezember. Reichskanzler Fürst Bülow, der gestern der Jungfernrede des Landwirtschaftsministers v. Arnim beiwohnte, erschien schon vorher im Reichstage, um, so wird von privater Seite gemeldet, mit den Führern der Konservativen, der Nationalliberalen und des Zentrums, den Abgeordneten v. Richthofen, Paasche und Dr. Spahn über die durch die Ablehnung des Nachtragsetats für Südwestafrika in der Budgetkommission geschaffene Lage zu beraten. Es verlautet, die Verständigung solle sich nach der Richtung bewegen, daß die Regierung sich verpflichte, 4000 Mann aus Afrika zurückzuziehen und die Vorbereitungen für möglichst rasche weitere Zurückziehung der Truppen zu treffen.


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