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Rezension von

"Gezähmte Wilde. Die Zurschaustellung "exotischer" Menschen in Deutschland 1870-1940"

Personen Lokalpresse

Buchcover

 


siehe auch zum Thema:

Peer Zickgraf:

Tödliche Verwandlungen - Koloniale Menschenzoos und die Schaffung von "Untermenschen" (2002). Zum Text

 

Susann Lewerenz:

Die Deutsche Afrika-Schau (1935-1940). Rassismus, Kolonialrevisionismus und postkoloniale Auseinandersetzungen im nationalsozialistischen Deutschland (2006)

Zum Text

 


 

Repräsentationen des "Exotischen" - "Gezähmte Wilde" und "Völkerschauen" in Deutschland


Balje ist ein kleiner Ort an der Elbe zwischen Stade und Cuxhaven. In der Region bekannt ist Balje höchstens durch sein "Natureum". Im Sommer 2005 fand dort die Ausstellung "Wilde Tiere und Indianer Nordamerikas" statt. Die VeranstalterInnen dürften sich wenig Gedanken gemacht haben, in welch unselige Tradition sie sich damit gestellt hatten. Die Lektüre von Anne Dreesbachs Buch "Gezähmte Wilde" wäre hier nützlich gewesen. Die BesucherInnen von Hagenbecks Tierpark in Hamburg erwartete im August 1875 eine ganz besondere "Attraktion": Neben den neu eingetroffenen Rentieren konnten die ZuschauerInnen in einem Areal des Zoos "echte Lappländer" mitsamt ihren Familien begutachten, und deren Kleidung, Sitten und Bräuche scheinbar authentisch und hautnah erleben. Der kommerzielle Erfolg dieser ersten "Völkerschau" in Deutschland war enorm und bewog den Besitzer des Tierparks, Carl Hagenbeck, die Ausstellungen "exotischer" Menschen künftig in großem Stil zu betreiben und dieses "Repertoire" um Menschen aus Afrika und Südostasien zu erweitern. Hagenbeck war nicht der einzige, der diese neue Goldgrube auszubeuten versuchte. Zwischen 1870 und 1940 wurden in Deutschland um die 400 "Völkerschauen" veranstaltet, die mitunter von 60.000 Menschen an einem Tag besucht wurden, so ein Ergebnis aus Anne Dreesbachs Dissertation, die im letzten Jahr veröffentlicht wurde. Neben Ausstellungen in Zoos gab es auch Zurschaustellungen in Zirkussen und auf großen Volksfesten wie dem Oktoberfest.

"Echte Lappländer" und "exotische Südsee-Insulaner"

Obgleich Veranstalter wie Hagenbeck damit warben, einen "authentischen" Einblick in das Leben der ausgestellten Menschen zu vermitteln, reproduzierten die "Völkerschauen" ein von Klischees, Ignoranz und Vorurteilen durchzogenes Bild von den "Exoten". Dreesbach spricht deshalb treffend von einem Stereotypenkreislauf, der mit der Werbung begann: Die Plakate, die zum Besuch animieren sollten, reduzierten die dargestellten Menschen auf einige Klischees, etwa den wilden, unzivilisierten "Afrikaner" oder die stets freundlich und unbeschwert lebenden "Südsee-Insulaner". Diese bildlich dargestellten Stereotype wurden so arrangiert und inszeniert, dass die schon vorhandenen Vorstellungen der ZuschauerInnen bestätigt und verstärkt wurden. So entstand beispielsweise das Konstrukt von der homogenen Gruppe der "Indianer". Die von Karl May in seinen Romanen beschriebenen so genannten Plains-Indianer mit ihrer Kleidung und ihren Bräuchen galten vielen LeserInnen als wahrheitsgetreues Porträt der Native Americans überhaupt. Die Impresarios der "Völkerausstellungen" riefen genau diese verzerrten Repräsentationen der außereuropäischen Menschen ab und determinierten so wiederum die Wahrnehmung des Gesehenen.

Neben der Zirkusinszenierung werden in Dreesbachs Buch auch Ausstellungstypen wie die "Freak Show" und das "Eingeborenendorf" analysiert. In der "Freak Show" konnten die ZuschauerInnen "exotische" Menschen betrachten, deren Physiognomie oder Körperschmuck - etwa Piercings - nicht dem entsprach, was WesteuropäerInnen zu sehen gewohnt waren. Das "Eingeborenendorf" hingegen suggerierte den BesucherInnen, dass das Gesehene eine vollkommene Reproduktion der Lebenswelt der dargestellten Menschen sei und Afrika wäre, afrikanische Realität gewissermaßen eins zu eins transplantiert nach Hamburg, München oder Berlin. Dreesbach zeigt detailliert, wie künstlich und inszeniert das scheinbar authentische Leben beispielsweise eines "Afrikanerdorfes" war. So waren die Zurschaugestellten verpflichtet, zu den Besuchszeiten bestimmte religiöse oder kultische Tänze vorzuführen. Diese waren nun allerdings ihrem Kontext enthoben. Während die religiösen Praktiken und Bräuche in den Heimatländern noch an konkrete Anlässe gebunden und zur Herbeiführung bestimmter Effekte gedacht waren, so wurden sie durch die fremdbestimmte Vorführung trivialisiert. Sie hatten somit nur noch wenig mit der ursprünglichen Intention des Dargestellten zu tun.

Die Autorin arbeitet weiter heraus, wie die VeranstalterInnen ihre "Völkerschauen" dadurch zu legitimieren versuchten, dass auf die Zustimmung der Zurschaugestellten verwiesen wurde. Unterschlagen wurde dabei allerdings, dass die AusstellerInnen die Menschen mit falschen Versprechungen aus ihren Ländern nach Europa gelockt hatten. Dass sie in einem umzäunten Areal dem Amüsement der weißen Bevölkerung Deutschlands dienen sollten, war ihnen vor ihrer Ankunft nicht bewusst. Die geringe Entlohnung, die die zur Schau gestellten Menschen erhielten, stand in keinem Verhältnis zu den gewaltigen Profiten der VeranstalterInnen. Die Bezahlung konnte zudem nicht die tagtäglichen Demütigungen und Übergriffe durch die ZuschauerInnen ungeschehen machen, genauso wenig wie die Todesfälle einiger "exotischer" Menschen infolge der schlechten Versorgungslage und des ungewohnten Klimas.

Amüsement, Fantasiewelten und Kolonialismus

Dreesbach verweist darauf, dass das genaue Ausmaß der psychologischen Verheerungen, die durch das "Begaffen" der Zurschaugestellten ausgelöst wurde, außerordentlich schwer einzuschätzen ist. Von den Betroffenen selbst gibt es so gut wie keine Zeugnisse. Zeitgenössische Texte, die sich kritisch mit den "Völkerschauen" auseinander setzten, waren im Vergleich zu der apologetischen Berichterstattung äußerst rar. Die Sichtweise der Impresarios, nach der die Ausstellungen neben dem unterhaltenden Aspekt auch ein Bildungserlebnis seien, wurde von der damaligen Presse weitgehend übernommen. Einige "Völkerschauen" versuchten zudem, einer möglichen Kritik dadurch zuvorzukommen, dass sie sich einen wissenschaftlichen Anstrich gaben und beispielsweise mit AnthropologInnen zusammenarbeiteten. Carl Hagenbeck wurde gar zum Ehrenmitglied einer anthropologischen Gesellschaft ernannt. Angesichts der höchst eurozentristischen und in großen Teilen auch rassistischen damaligen Ethnologie und Anthropologie müssen Gütesiegel für die Authentizität der "Völkerschauen", die von diesen Gesellschaften ausgestellt wurden, von der heutigen Warte aus kritisch hinterfragt werden.
Sehr interessant sind Dreesbachs Ausführungen zum Verhältnis der "Völkerschauen" zur damaligen Kolonialpropaganda. Ein Großteil der Forschung ging bisher weitgehend davon aus, dass die Zurschaustellungen ein Mittel waren, die kolonialen Ambitionen Deutschlands weiter zu forcieren und ideologisch zu unterstützen. Dreesbach hingegen vertritt eine andere These. Obwohl die "Völkerschauen" in einen kolonialen Kontext eingebunden waren, verfolgten deren VeranstalterInnen ihre Intentionen auf subtilere Weise als die Kolonialunternehmer selbst. Dreesbach stimmt hier Balthasar Staehelin zu, der in einer Studie schreibt: "Der koloniale Aspekt der Völkerschauen in den Zoologischen Gärten tritt weniger in einer offenen Propaganda für den Kolonialismus zu Tage, sondern äußert sich in der Formierung einer Denkhaltung, die Tiergärten und außereuropäische Menschen assoziativ und unreflektiert verknüpft."
Im betrachteten Zeitraum gab es lediglich eine staatliche Kolonialausstellung im Jahre 1896 und die "Afrikaschau" 1935-1940, die die kolonialen Bestrebungen Deutschlands ideologisch absichern und die koloniale Expansion vorantreiben sollte. Während die "Völkerschauen" der kommerziellen Anbieter eher versuchten, den "romantisch-exotischen" Aspekt zu betonen, wählten die staatlichen Kolonialausstellungen andere Formen der Inszenierung: "Der Kolonialismus sollte einer modernen, technikorientierten Welt zum Sieg verhelfen. Der Besucher von Schaustellungen im kommerziellen Rahmen sollte und wollte sich in Fantasiewelten vergnügen, die Wünsche und Vorstellungen befriedigten, die durch die Zivilisation lange verdrängt worden waren. In beiden Zusammenhängen mussten die zur Schau gestellten Menschen unterschiedliche Rollen spielen."

Den Niedergang und das schließliche Ende der Völkerausstellungen in den 1940er Jahren wird in "Gezähmte Wilde" mit dem Aufkommen des neuen Mediums Film erklärt. In den Kinos konnten die Menschen nun ebenso oder sogar viel "authentischer" am Leben der "Exoten" partizipieren. Zudem war der kommerzielle Erfolg der "Völkerschauen" mit dem Aufkommen des Films immer stärker zurückgegangen, so dass die VeranstalterInnen die Zurschaustellungen außereuropäischer Menschen in großem Maßstab schließlich einstellten. Doch dass Anne Dreesbachs Studie für LeserInnen nicht nur von historischem Interesse, sondern von unmittelbarer tagespolitischer Relevanz sein kann, wurde deutlich, als der Augsburger Zoo im Juli 2005 die Ausstellung eines "African Village" ankündigte. In ungebrochener Tradition zu den Zurschaustellungen des letzten Jahrhunderts verkündete die Direktorin Dr. Barbara Jantschke stolz die von der Max Vita GmbH in ihrem Zoo geplanten "Völkerschau". Trotz der Kritik am "African Village", vor allem seitens der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD), wurde dieses Projekt umgesetzt. Auch die Erinnerung an die "Neger Karawane" 1888 und die "Togo Schau" 1898 in Augsburg führten nicht dazu, dass die VeranstalterInnen sich eines Besseren besannen. Dabei hatte der Historiker John Short nachdrücklich darauf hingewiesen, dass auch damals mit der Ankündigung geworben wurde, "afrikanisches Leben wie es wirklich ist" darzustellen, obwohl nur ein kleiner und verzerrter Ausschnitt des Kontinents dargestellt und verabsolutiert wurde.

Kontinuität ohne Bruch: das "Afrika-Dorf"

Auch der Verweis, dass sogar der Name "Afrikanisches Dorf" dem Münsteraner Zoodirektor Carl Marquardt 1910 zur Bewerbung seiner "Völkerschau" diente, führte zu keiner selbstkritischen Reflexion der Veranstalterin. Im Gegenteil: Jantschke reagierte auf die vorgetragene Kritik mit einem trotzigen Bekenntnis zu ihrem Projekt und verlautbarte, "dass der Augsburger Zoo genau der richtige Ort ist, um auch die Atmosphäre von Exotik zu vermitteln." Die Zoodirektorin versuchte darüber hinaus, das "African Village" dadurch zu legitimieren, dass angeblich "ein gebürtiger Afrikaner mit schwarzer Hautfarbe (...) bei der ersten Besichtigung begeistert vom Veranstaltungsort, von der Steppenlandschaft unserer Afrika-Anlage und der Atmosphäre im Zoo" gewesen sei. Dass die Affirmation und Festschreibung von rassistischen Stereotypen nicht dadurch ungeschehen gemacht wird, dass einige wenige, die von diesen Stereotypen selbst betroffen sind, dieser "Völkerschau" etwas Positives abgewinnen können, scheint Frau Jantschke nicht begreifen zu wollen.
Solange Ausstellungen wie das "African Village" durchgesetzt werden können, bleiben Bücher wie "Gezähmte Wilde" von erschreckender Aktualität. Sie werden weiterhin notwendig sein, um die kolonialrassistischen Implikationen solcher "Ausstellungen" fundiert aufzeigen und kritisieren zu können. Insofern kann man der Studie von Anne Dreesbach nur viele LeserInnen wünschen.

Philipp Dorestal

Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Die Zurschaustellung "exotischer" Menschen in Deutschland 1870-1940. Campus-Verlag, Frankfurt/New York 2005. 374 Seiten, 34 EUR

Diese Rezension erschien zuerst in: ak - zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 504 / 17.3.2006