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Dieser Beitrag erschien zuerst 2009 im Inkota-Dossier Der Kolonialismus und seine Folgen Mehr

 

siehe auch:

Nduka-Agwu, Adibeli und Daniel Bendix: Die weiße Darstellung ‘Afrikas’ in der deutschen Öffentlichkeit. Wie ein Kontinent genormt, verformt und verdunkelt wird (2007) Zum Text

 

Zeller, Joachim und Heiko Wegmann: Fotogalerie: „Mohren“- Ein Stereotyp in der Alltagskultur (2008) Zur Galerie

 

Möhle, Heiko: Eine endlose Geschichte - Nachwirkungen des Deutschen Kolonialismus in Kamerun (2004) Zum Text

Prekäre Subjekte - Die afrikanische Diaspora in Deutschland vom 18. Jahrhundert bis zum Nationalsozialismus

Wer waren die schwarzen Menschen, die in den vergangenen Jahrhunderten in Deutschland lebten und oft auch heimisch wurden? Die afrikanische Diaspora setzte sich aus einer Vielzahl von Gruppen und Personen zusammen, die sich vor allem durch den Zeitpunkt ihrer Ankunft und den Zweck ihres Aufenthalts in Deutschland unterschieden. Ihre Geschichte ist so vielfältig wie diese Menschen. Auch im Kontext der rassistischen Gesellschaft gab es individuellen Erfolg – doch viele Schicksale endeten tragisch angesichts der kolonialistischen Strukturen.

von Katharina Oguntoye

Im 18. Jahrhundert gehörte es an deutschen Adelshöfen zum guten Ton, zur Repräsentation und als Symbol des eigenen Status AfrikanerInnen im höfischen Haushalt zu besitzen. In den Quellen finden sie sich als Pagen, Kammerdiener, Angehörige der Militärmusikcorps und Soldaten aus den Kolonialgebieten (zumeist im französischen Heer). In der Regel erhielten sie die für die jeweilige Berufsausübung übliche Entlohnung und hatten oft auch durch ihre jeweiligen PatronInnen über deren Ableben hinaus ein gutes Auskommen. Andere wiederum schlugen sich mit allerlei Gelegenheitsarbeiten durch oder schlossen sich dem „fahrenden Volk“ an.
Seit der Mitte 19. Jahrhunderts waren deutsche Missionare, Forscher und Abenteurer an der Entdeckung Afrikas beteiligt. Sie brachten junge AfrikanerInnen mit nach Deutschland. Am bekanntesten sind Machbuba, die 15-jährige Abessinierin, die Fürst Pückler nach Cottbus mitnahm, und Emilie Ruete, geborene Prinzessin von Sansibar, die ihrem Ehemann, einem Hamburger Kaufmann, nach Deutschland folgte.
Völkerschauen, die der Allgemeinheit die neu entdeckten Welten nahebringen sollten, waren von Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1930er Jahre ein beliebtes Ausflugsziel der Deutschen wie auch anderer Europäer. Einige afrikanische TeilnehmerInnen kamen wiederholt auf Touren nach Deutschland, andere blieben ganz hier. Von zwei Afrikanern wissen wir, dass sie solche Schauen auf eigene Rechnung organisierten und durchführten und mit diesen viele Jahre Deutschland und das benachbarte Ausland bereisten.

Ausbildung in Deutschland
Zur Unterstützung der neu gebildeten Kolonialverwaltungen in Kamerun und Togo wurden einheimische MitarbeiterInnen benötigt. In Missionsschulen erhielten AfrikanerInnen in den deutschen Kolonien eine einfache Schulbildung. Einige wurden in Deutschland weitergebildet und später als AnleiterInnen und MissionslehrerInnen eingesetzt.
Der Kolonialpolitik des kaiserlichen Deutschlands lag ein streng hierarchisches Denken zugrunde, welches zu kruden Vorstellungen von „den Afrikanern“ führte und auf strenge Segregation bedacht war. Zum deutschen Kolonialsystem gehörte die grausame Prügelstrafe (mindestens 50 Peitschenhiebe) und die Bildungsmöglichkeiten der AfrikanerInnen wurden eingeschränkt. Höhere Bildung war nur in Ausnahmefällen zugelassen.
So sandten nach der Unterzeichnung der Schutzverträge einige führende Familien Kameruns ihre Söhne in kleinen Gruppen nach Deutschland, wo sie sich mit dem neuen Lebensstil und den Kulturtechniken vertraut machen sollten. Zu ihnen gehörten die Douala-Prinzen Rudolf Manga Bell und Mpundu Akwa. Sie kamen als Neunjährige nach Deutschland, erhielten eine gutbürgerliche Schulbildung und versuchten später, zwischen den Welten zu vermitteln. Ihr Leben und ihre Erfolge, aber auch die Vergeblichkeit ihrer Bemühungen, wurden von den Widersprüchen und Prämissen des deutschen Imperialismus bestimmt. Beide wurden zu Opfern der Willkür des deutschen Kolonialismus und Rassismus, und mussten als solche ihr Leben einbüßen.
Mpundu Akwa galt als gewandt und umsichtig. Er gewann den Respekt und die Freundschaft vieler einflussreicher Persönlichkeiten im Adel und später in bürgerlich-liberalen Kreisen. Geboren 1879, kam Akwa 1888 nach Deutschland. Mit nur 14 Jahren war er 1894 kurzzeitig als Übersetzer im Gouvernement in Douala tätig. Dort geriet er mit dem Gouverneur Jesko von Puttkamer in Konflikt, weil er sich über die ungerechte Behandlung von Afrikanern beschwerte. Von nun an war der gebildete Afrikaner dem deutschen Kolonialgouvernement in Kamerun ein Dorn im Auge. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1902 sollte er durch eine gezielte Rufmordkampagne politisch neutralisiert werden.

Die Petitionsbewegung
Mpundu Akwa half, Petitionen zu formulieren und Kontakte zu knüpfen. Eingaben wurden direkt an den Reichskanzler und an Parlamentarier gesandt. Denn zuvor hatten die Douala die Erfahrung gemacht, dass das deutsche Gouvernement in Kamerun ihre Beschwerdeschriften nicht weiterleitete, sondern – anstatt sich für die Behebung von Missständen zu interessieren – lediglich die Unterzeichner zu verfolgen suchte.
Akwas Handeln und Agieren in Deutschland war sehr couragiert und im Kontext der segregierten Kolonialgesellschaft außerordentlich erfolgreich. Mit Hilfe seines Anwalts Moses Levi erreichte er vor einem deutschen Gericht einen juristischen Sieg über die Kolonialverwaltung. Dem jungen Anwalt Levi gelang es mit seiner Rechtsstaatlichkeit einfordernden Verteidigung, die konstruierte Anklage gegen Akwa zu entlarven und eine mehrjährige Gefängnisstrafe abzuwenden. Er konnte unter anderem Beweise dafür vorlegen, dass das Gouvernement ohne gesetzliche Handhabe die Deportation von Akwa betrieben hatte. In der erhalten gebliebenen Verteidigungsschrift bezeichnet Levi die Anklage als politisch motiviert und das Vorgehen des Gouvernements als anachronistische „Kabinettsjustiz“.
Der Prozess wurde in der Öffentlichkeit und medial stark beachtet. Im vollbesetzten Gerichtsaal fanden sich zahlreiche von Akwas einflussreichen Freunden. Das Gericht sprach Akwa in allen Punkten der Anklage frei und folgte im Wesentlichen der Argumentation der Verteidigung. Dieser Erfolg blieb nur ein Etappensieg, doch mit dem gewonnen Prozess waren Afrikaner als handelnde Subjekte in der deutschen Geschichte sichtbar geworden.

Mörderische Kolonialverwaltung
Bis Mpundu Akwa 1911 nach Kamerun zurückkehrte, hat er mit unermüdlichem Einsatz versucht, eine auf Unabhängigkeit zielende eigenständige Politik der Douala zu entwerfen. Wobei er für eine verbesserte Infrastruktur in Kamerun, wie zum Beispiel die Einrichtung eines Gesundheits- und Schulsystems, gerne auch deutsche Modelle nutzen wollte. Bei seiner Rückkehr wurde er sofort verhaftet. Da es für die geplante Anklage wegen Betrugs keine Beweise gab, wurde er wegen Subversion zu Gefängnis und anschließender Verbannung verurteilt. 1914 wurde Mpundu Akwa hingerichtet.
Rudolf Manga Bell war der andere in Deutschland erzogene Douala, der durch den unmäßigen Druck der deutschen Kolonialrepression zur Führungspersönlichkeit des Widerstands wurde. 1908 wurde er als Nachfolger seines Vaters als Oberhaupt der Douala eingesetzt. Die Bells gaben die Strategie der Zurückhaltung auf und setzten ihrerseits auf direkt in Deutschland eingebrachte Petitionen unter Einbeziehung und Mobilisierung der deutschen Öffentlichkeit. Dies gelang nur eingeschränkt und so wurde Rudolf Manga Bell noch kurz vor der Besetzung Doualas durch die Engländer 1914 – ohne Wissen der deutschen Öffentlichkeit und gegen die Anweisungen aus Berlin – gemeinsam mit mehreren hundert Führungspersönlichkeiten der Douala vom deutschen Gouvernement wegen angeblichem Verrat verurteilt und hingerichtet.
Nach dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft hatten die Afrikaner und ihre Familien in Deutschland kaum die Möglichkeit, in ihre Heimatländer zurückzukehren, da sie nun der Spionage und Subversion für Deutschland verdächtigt wurden. In Deutschland wurden sie häufig mit den schwarzen französischen Besatzungstruppen gleichgesetzt und daher Opfer von Diskriminierung.

In der Weimarer Republik
Während der Weimarer Republik gab es eine Fortsetzung der Petitionsbewegung, die nun nicht mehr aus den Kolonien selbst kam. Die Petitionen wurden von in Deutschland lebenden Afrikanern initiiert und verfasst. In diesen Schriften forderten sie das deutsche Parlament auf, sich für eine gerechte Regierung in den ehemaligen deutschen Gebieten einzusetzen. Der Verfasser einer solchen Eingabe, die von mehr als 18 in Deutschland lebenden Afrikanern unterzeichnet wurde, war Martin Dibobe. Er ist einer der Afrikaner, die sich in dieser Zeit politisch engagierten und meist mit linken politischen Ideen sympathisierten. Einige nahmen als Redner an antikolonialen Kundgebungen teil, andere gründeten in Berlin die „Deutsche Sektion zur Verteidigung der Menschenrechte“, deren Hauptsitz in Paris war. Diese Afrikaner hatten offenkundig internationale Verbindungen zu entsprechenden Kreisen in England und Frankreich.
All diese Aktivitäten endeten mit dem Beginn der NS-Herrschaft. Martin Dibobe hatte über 35 Jahren in Deutschland gelebt. Er war mit einer Völkerschau für die große Gewerbeausstellung 1896 nach Berlin gekommen, hatte als Schaffner und U-Bahnfahrer bei der Berliner Hoch- und Untergrundbahn gearbeitet und hatte eine Familie mit drei Kindern. Nun musste er wie viele der politisch interessierten AfrikanerInnen Nazi-Deutschland verlassen. Seine Spur kann nach Südfrankreich und Kamerun nachverfolgt werden, wo sie sich dann verliert.

Katharina Oguntoye ist Historikerin und hat die afrodeutsche Bewegung mitgeprägt, unter anderem als eine der Herausgeberinnen des Buchs „Farbe bekennen“ (1986) und als Gründungsmitglied der „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“. Am 04.11.2009 hält Katharina Oguntoye im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Wissensmacht - Machtwissen" den Vortrag: "Geschichte(n) Schwarzer Menschen in Deutschland"

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