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Siehe auch zum Thema:

Tobias Müller:

Die Politik der nationalen Versöhnung in Namibia - Den Spagat überzogen?

Magisterarbeit aus dem Jahr 2002 (80 Seiten, pdf, 815 KB) Zum Text

 

 

Opfer des Befreiungskampfes - Die Politik der verweigerten Erinnerung in Namibia

Bis heute sind sie ein Reizthema in der Öffentlichkeit Namibias geblieben: die politisch motivierten Gewalttaten, die während des rund 23 Jahre dauernden „Buschkrieges“ um die Unabhängigkeit des Landes begangen wurden. Im Zentrum der Debatte stehen die von der SWAPO-Exilführung zu verantwortenden Menschenrechtsverletzungen. In dem von 1966 bis Ende der achtziger Jahre von der SWAPO - und ihrem militärischen Flügel, der PLAN - geführten Befreiungskampf internierte sie hunderte von Kombattanten aus den eigenen Reihen in Lagern in Sambia und Angola. Unter dem Vorwand, die Infiltration von südafrikanischen Agenten verhindern zu wollen, wurden viele der unter Spionageverdacht stehenden Gefangenen in der Haft gefoltert und exekutiert. Diese „konterrevolutionäre Kriegsführung“ der Exil-SWAPO nahm geradezu paranoide Züge an, soll doch sogar die Frau des SWAPO-Präsidenten Sam Nujoma, Kovambo Theopoldine Nujoma, kurzzeitig in einem Lager festgehalten worden sein.

Anders aber als in Südafrika mit seiner - gleichwohl nicht unumstrittenen - Wahrheits- und Versöhnungskommission (Truth and Reconciliation Commission) vereitelte die nach der Unabhängigkeit im Jahr 1990 in Namibia erlassene bedingungslose Generalamnestie die Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der jüngeren Vergangenheit. In der offiziellen Erinnerungspolitik Namibias werden diese Menschenrechtsverletzungen totgeschwiegen. Die SWAPO-Regierung verweigert sich hartnäckig den Forderungen der Opfergruppen, diese Verbrechen anzuerkennen. Die Befreiungsbewegung an der Macht fürchtet, durch die Rehabilitierung der Opfer ihre Zweidrittelmehrheit im Parlament und damit ihr politisches Quasi-Monopol einzubüßen.

Die Politikwissenschaftlerin und heutige Direktorin des Windhoeker „Namibia Institute for Democracy“, Justine Hunter (Gustine geht auf einen Druckfehler in der Geburtsurkunde zurück), hat nun ein Buch vorgelegt, das auf ihrer an der Universität Freiburg i.B. eingereichten Dissertation basiert. Sie versucht darin, diese Geschehnisse umfassend aufzuarbeiten, sah sich allerdings bei ihrer Studie mit einer problematischen Quellenlage konfrontiert. Zwar liegen Berichte der ehemaligen Opfer vor, doch sind die Parteiarchive der SWAPO bis dato verschlossen. Auch die offizielle SWAPO-Historiographie schweigt sich dazu aus bzw. sie liefert lediglich eine unkritische Darstellung der Vorkommnisse. Kaum verwunderlich ist etwa, dass in der Autobiographie des zum selbstherrlichen Autokraten mutierten ersten Präsidenten Namibias, Sam Nujoma, lediglich davon zu lesen ist, mit „Abweichlern“ habe es keine Nachsicht geben dürfen. Um die Lücken im Quellenbestand wenigstens punktuell zu schließen, führte die Autorin über hundert Interviews mit Zeitzeugen durch.

Hunter unterscheidet zwei Opfergruppen: Einzelne politische Dissidenten aus der Führungsriege der Exilorganisation und der SWAPO-Jugendorganisation einerseits und die tausenden Exilanten andererseits, welche in dem sambischen Berggefängnis Mboroma und den in der Nähe der angolanischen Provinzhauptstadt Lubango gelegenen berüchtigten „Erdlöchern“ gefoltert und liquidiert wurden und spurlos verschwunden sind. Die Zahl der Vermissten beläuft sich auf circa 2.000. Zustimmend wird der Politologe Franz Ansprenger zitiert, der der Denunziationskultur und den Misshandlungen der SWAPO-Exilführung deutliche Züge „stalinistischer Polizeipraxis“ attestierte. Dabei sollte allerdings nicht unberücksichtigt bleiben, dass die schweren Menschenrechtsvergehen, die sich das weiße Minderheitsregime in Pretoria im Zuge seiner auch in Namibia praktizierten Apartheidpolitik hatte zu Schulden kommen lassen, quantitativ diejenigen weit überwogen, die auf das Konto der Exil-SWAPO gehen.

Die Rolle der namibischen Kirchen in diesem Prozess war, wie Hunter belegt, durchaus zwiespältig, wurden sie doch vielfach zu Gefangenen ihrer Solidarität mit der SWAPO. Da man ein gemeinsames Ziel verfolgte, nämlich die Befreiung von der südafrikanischen Besetzung des Landes, und Südafrika ja auch tatsächlich Gräuelpropaganda verbreitete, blieb die Befreiungsbewegung unangreifbar, berechtigte Kritik wurde unter den Tisch gekehrt. Gleiches trifft für die westliche Solidaritätsbewegung zu, die vielfach entsprechende Berichte vorschnell als Propaganda Südafrikas abtat. Ein wichtiges Buch wie die „Namibische Passion“ (englische Ausgabe: Namibia - The Wall of Silence) von Siegfried Groth, der von 1973 bis 1989 als Flüchtlingsseelsorger unter den Exil-Namibiern arbeitete, erschien erst im Jahr 1995.

Die Interniertenfrage ist mittlerweile zum Testfall für die noch junge Demokratie Namibias geworden. Die offizielle Versöhnungspolitik der SWAPO ignoriert jedenfalls bis heute das Schuldbekenntnis als Voraussetzung der Vergebung. Nach wie vor kämpfen zivilgesellschaftliche Opfergruppen, darunter das Komitee „Breaking the Walls of Silence“, vergeblich um ihre Anerkennung und Rehabilitierung. Die „National Society for Human Rights“ hat im Jahr 2007 eine Klage beim Internationalen Strafgerichtshof eingereicht, um den Verbleib aberhunderter vermisster SWAPO-Dissidenten zu klären. Dabei wird die historische Bedeutung des Befreiungskampfes der SWAPO keineswegs in Frage gestellt, jedoch eine klare Distanzierung von den Menschenrechtsvergehen gefordert. „Ich werde das Lubango-Thema nie ruhen lassen, solange ich lebe“, sagte der kürzlich verstorbene Abgeordnete der Partei Congress of Democrats, Kala Gertze. Er gehörte zu den ehemaligen SWAPO-Dissidenten, die das Martyrium in den Lubango-Kerkern überlebt haben. Und so gilt auch für Namibia: In welcher Form wem ein Gedenken gewidmet wird, ist keine Frage der moralischen Verpflichtung, sondern des politischen Durchsetzungsvermögens und damit eine Machtfrage. Das Buch von Justine Hunter stellt einen wichtigen Beitrag dar, dem Anspruch der Opfer auf ihren Platz in der Geschichte Gehör zu verschaffen.

Joachim Zeller

Gustine Hunter: Die Politik der Erinnerung und des Vergessens in Namibia. Umgang mit schweren Menschenrechtsverletzungen der Ära des bewaffneten Befreiungskampfes 1966 bis 1989, Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 2008, 231 S., ISBN 978-3-631-56059-4. 44,60 €

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