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Reihe Freiburger Persönlichkeiten

Fabricius

 

 

Der früher hier verlinkte Eintrag vom Seminar für Alte Geschichte der Uni Freiburg: "Prof. Fabricius" auf der Seite zur Geschichte des Seminars existiert nicht mehr.

 

Siehe auch:

Tim Weitzel: Das Thema Kolonialismus im Freiburger Reichstagswahlkampf 1906/1907 (2022) Zum Text (pdf, 30 Seiten)

Prof. Ernst Fabricius - Berühmter Limes-Forscher, Deutschtumsfunktionär und Kolonialapologet

von Heiko Wegmann (erste Fassung: 8.7.2007, aktualisiert: 5.4.2008, korrigierte und erweiterte Fassung 16.11.2017)

Hinweis: Dieser Beitrag wird derzeitig überarbeitet und erweitert.

Die neue Fassung wird voraussichtlich bis Ende Februar 2023 eingestellt.

Inhalt

  1. Zur Person | Weiter
  2. "Ist denn eine Bahn in Südwestafrika eine Straßenbahn nach Günterstal?" - Die Kolonialkontroverse Fabricius - Fehrenbach im Reichstagswahlkampf 1906/1907 | Weiter
  3. Das gute Gewissen im I. Weltkrieg - Die "Vaterländische Versammlung" 1914 | Weiter
  4. "Eine Armee vor dem Feind" - Vorstandstätigkeit im Verein für das Deutschtum im Ausland | Weiter
  5. Netzwerkbildung - Gründung der Geographischen Gesellschaft Freiburg | Weiter
  6. Grundhaltungen - Ein Fazit | Weiter
  7. Anmerkungen
  8. Zusätzliche Literaturhinweise zu Fabricius

1. Zur Person

Der Althistoriker und Archäologe Dr. Ernst Fabricius wurde am 6. September 1857 in Darmstadt geboren und verstarb am 22. März 1942 in Freiburg i.Br. Im Jahre 1888 wurde er zum a.o. Professor auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für Alte Geschichte an der Universität Freiburg berufen. 1894 erfolgte die Ernennung zum ordentlichen Professor. 1911 bis 1912 war er Prorektor (d.h. nach dem Großherzog von Baden praktisch Rektor) der Universität. Die Gemeinde Pohl (Rhein-Lahn-Kreis), in der 1997 eine Straße nach Fabricius benannt wurde, charakterisierte ihn und seinen Werdegang in Freiburg folgendermaßen: "Hier entwickelte er sich bis zu seiner Emeritierung 1926 zu einer der einflussreichsten und angesehensten Lehrerpersönlichkeiten. Zu den Eigenschaften, die man an dem Gelehrten Ernst Fabricius rühmte, gehörte neben seiner wissenschaftlichen Kompetenz vor allem die Bescheidenheit, mit der er stets seine Person der Sache unterordnete. Nie soll er über seine eigenen großen Leistungen und Ehrungen vergessen haben, was andere Mitarbeiter und was seine Schüler zum Gelingen seines Werkes beigetragen haben. An der Universität begleitete [Fehler im Original] er die Ämter des Fakultätsdekans, des Rektors und des Vorsitzenden der Kommission zum Bau der Neuen Universität (1911). In Freiburg war Ernst Fabricius auch verheiratet, direkte Nachkommen sind heute nicht mehr bekannt [sic!]. (...) Hoch angesehen in seiner Heimatstadt und nicht nur von der Fachwelt als einer ihrer Großen gewürdigt, verstarb Ernst Fabricius im 85. Lebensjahr am 22. März 1942 in Freiburg." (Website der Gemeinde Pohl, Zugriff am 8.7.2007).

Diese Huldigung beruht auf der langjährigen Forschungs- und Publikationstätigkeit von Fabricius über den Limes (siehe Deutsche Limeskommission), ab 1902 auch einige Jahre als Vorsitzender der 1892 gegründeten Reichslimeskommission. Mit seinem Wirken an der Universität Freiburg und seinen Netzwerken hat sich Eckhard Wirbelauer näher beschäftigt. (1) Neben Universität und Forschung engagierte er sich auch auf anderen Feldern: Fabricius war Mitglied und Ehrenmitglied verschiedener historischer Vereine in Deutschland, in Freiburg war er u.a. Vorsitzender des Turnvereins und langjähriges Mitglied im Schwarzwaldverein. Hinzu kam seine politische Seite, die bislang wenig bearbeitet ist. Sie reichte von seinem Engagement als Freiburger Stadtverordneter im Bürgerausschuß und Präsident des "liberalen Ortsvereins" für die nationalliberale Partei in der Kaiserzeit über Kolonialreden im Reichstagswahlkampf 1906/07 und der Mitgliedschaft im Deutschen Flottenverein bis zur Kriegstreiberei im Ersten Weltkrieg und der Funktionärstätigkeit im "Verein für das Deutschtum im Ausland" in den 1920er Jahren. Sieht man einmal von den vertretenen Inhalten ab und widmet sich dem z.T. scharfen Stil der gehaltenen politischen Reden, ist - zumindest in diesem Zusammenhang - die oben genannte Charakterisierung als "bescheiden" fragwürdig.

2. "Ist denn eine Bahn in Südwestafrika eine Straßenbahn nach Günterstal?" - Die Kolonialkontroverse Fabricius - Fehrenbach im Reichstagswahlkampf 1906/1907

Das gedruckte Mitglieder-Verzeichnis 1905 der Ortsgruppe Freiburg des "Deutschen Flottenvereins" weist Ernst Farbricius als Mitglied auf. Darin findet sich z.B auch der in jenem Jahr gerade nach Freiburg gezogene Gouverneur a.D. der Kolonie Deutsch-Südwestafrika, Theodor Leutwein (siehe Transkription des Verzeichnisses). Der Deutsche Flottenverein war die größte zivilgesellschaftlich-militaristische Vereinigung des deutschen Kaiserreichs und stach auch in Freiburg mit einer im Vergleich zu anderen vereinen großen Mitgliederzahl hervor. Er forderte Aufrüstung (insbersondere eben der Marine), um das deutsche Weltmachtstreben ("Weltpolitik") zu armieren und Kolonien zu erlangen und abzusichern.

Mit dem Kolonialthema befasste sich Fabricius intensiv als nationalliberaler Wahlhelfer und Redner im Reichstagswahlkampf Dezember 1906/ Januar 1907: "Bis zum Wahltag hielt ich noch viele Reden in unserem Wahlbezirk und auf dem Schwarzwald, schliesslich am Tag vor der Stichwahl auch in einer ausserordentlich grossen Volksversammlung in Karlsruhe." (2). Der ab 1904 erst tobende und sich dann bis 1907 hinziehende deutsche Vernichtungskrieg gegen die Herero und Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika hatte neben dem großen Menschenleid auch hohe Kosten zur Folge. Am 13.12.1906 beantragte die Reichsregierung unter Reichskanzler Bernhard von Bülow deshalb einen Nachtragshaushalt, den die - mitregierende - Zentrumspartei etwas abschwächen und mit Auflagen zur Truppenverminderung versehen wollte, während ihn die SPD ganz ablehnte. Der Kaiser und die Regierung Bülow lösten daraufhin in einer beispiellosen Aktion den Reichstag auf und setzten Neuwahlen für den 25. Januar 1907 an. Es folgte ein ebenso kurzer wie heftiger Wahlkampf, geprägt von Anti-Sozialismus und Rassismus, aber auch auf die angeblich national unzuverlässige katholische Zentrumspartei. Kritik an den kolonialen Zuständen und der barbarischen deutschen Kriegführung wurde von 'nationalen Kreisen' als Vaterlandsverrat und speziell als unmoralisch gegenüber den im Felde stehenden Soldaten gebrandmarkt. (3)

In diesem Wahlkampf nahm der nationalliberale Geheimrat Ernst Fabricius eine entsprechend regierungsfreundliche, exponiert prokoloniale und Prokriegs-Haltung ein. Er trat bei Versammlungen des liberalen Wahlausschusses als Redner auf und griff insbesondere den Freiburger Zentrumspolitiker, Reichstagsabgeordneten und späteren Reichskanzler Konstantin Fehrenbach scharf an. Fehrenbach war zwar prinzipiell prokolonial eingestellt, vertrat aber die Zentrumskritik an bestimmten Kolonialskandalen und zu hoher und kostspieliger Truppenzahlen in Südwestafrika. Die Freiburger Zeitung berichtete von einer gut besuchten Veranstaltung der "liberalen Partei" am 29. Dezember 1906 in der städtischen Kunst- und Festhalle Freiburgs:

"Herr Prof. Fabricius beschäftigte sich endlich noch eingehend mit der Art der Kämpfe in Deutsch-Südwestafrika. Er habe begrüßt, daß Herr Rechtsanwalt Fehrenbach am Abend vorher ein Bild der Vorgänge gegeben habe. F. sei aber über den eigentlichen Kampf sehr schnell hinweggegangen und habe doch die Kritik gegen die ganze Kampfesweise gewendet. Das Verfahren Leutweins sei in Gegensatz gestellt worden zu dem Verfahren in der zweiten Periode. Da müsse nun auch darauf hingewiesen werden, daß die Aufstände noch unter der Statthalterschaft Leutweins wieder ausbrachen. Die Politik des edlen Vertrauens sei also in schmachvoller Weise getäuscht worden. Herr Professor Fabricius schilderte nun fesselnd das erste Vorgehen gegen den weit überlegenen Feind und die schweren opfervollen Kämpfe. Das mutvolle Unternehmen Leutweins sei gescheitert, weil die Zahl der verfügbaren Truppen viel zu gering gewesen sei angesichts der Ausrüstung des Feindes. Nach den Erfolgen des Feindes Verstärkungen zu schicken, sei der Regierung Pflicht gewesen. Von einer viel zu unsinnigen Aufbietung von Kräften könne doch unmöglich geredet werden, wenn man auf die weiteren harten und gefährlichen Kämpfe unserer Truppen, auf die ungeheuren Anstrengungen und die furchtbaren Verluste blicke. (Lebhafter Beifall).)

Das in jeder Buchhandlung für 1 M. 20 Pfg. käufliche Werk des Generalstabs zeige, was unsere Truppen zu leisten hatten. Kolossale Opfer an Gut und Blut habe der Feldzug also gekostet, mit veranlaßt durch die besondere Situation: weite Entfernung des Kampfplatzes von der Küste, erschwerte Zufuhr, schwierige Verpflegung und Beförderung der Kranken, die Notwendigkeit großer Bedeckung usw. (...) Herr Fehrenbach habe gesagt, in jeder Gemeinde verlange man doch ordentliche Pläne. Demgegenüber müsse, führte Herr Professor Fabricius aus, doch gesagt werden: ist denn eine Bahn in Südwestafrika eine Straßenbahn nach Günterstal? (...) Was nun erreicht sei, habe mit Sparsamkeit nichts zu tun. Millionen seien ausgegeben und die Kranken würden nach wie vor auf Ochsenkarren, auf entsetzlichen Wegen, unter schrecklichen Qualen befördert. Den Zustand habe die Zentrumspartei zu verantworten. Die Frage der Pläne sei demgegenüber sogar so lächerlich, daß man an diese Gründe gar nicht glauben könne. Der Roerensche Zwischenfall habe Licht geworfen auf die Maulwurfsgänge, auf denen gewisse Ziele erstrebt würden, und die Regierung sei endlich gezwungen worden, den Bann zu brechen. Das deutsche Volk wolle frei sein im Innern und nach außen. Das Wort Freiheit führe auch das Zentrum in seinem Wahlspruch; aber es meine die Freiheit, Andersdenkende zu unterdrücken. Der Wahltag möge alle anderen Parteien unter dem Banner der Freiheit vereint sehen. Auch diese Ansprache fand, abgesehen von einzelnen Zwischenrufen, lauten Beifall." (4)

Fehrenbach reagierte auf die Angriffe von Fabricius am 31. Dezember 1906 mit einer direkten Erwiderung, die im Rahmen eines Flugblattes an den langen und eingehenden Text seines erwähnten Vortrages gehängt wurde. Er konterte scharf:

"Der Herr Professor Fabricius hat in der liberalen Samstags-Versammlung meine Freitagsrede 'beleuchtet' (...) Herr Fabricius soll meiner Rede angewohnt haben. Ich will zu seinen Gunsten annehmen, daß er bei diesen Ausführungen nicht ordentlich aufgepaßt hat. (...) Ich stelle dieser leidenschaftlichen, ohne jede Detailkenntnis hinausgeworfenen und mit der objektiven Wahrheit im schlimmsten Widerspruche stehende Anklage einfach folgende Tatsache gegenüber, wobei ich bemerke, daß der Herr Professor durch meine Namhaftmachung der beiden Daten vom 15. Dezember und 31. Oktober 1906 in meiner Rede vor den größten Unklugheiten hätte gewarnt sein können. (...) Was soll man nun angesichts dieser Tatsachen zu den klangvollen, aber inhaltslosen Deklamationen des liberalen Versammlungsredners sagen? Zu seinen Gunsten kann man nur annehmen, daß er ohne Kenntnis der maßgebenden Tatsachen auf gut Glück hin seine schweren Anschuldigungen erhoben hat, allerdings ein starkes Stück.

Seine Musik soll aber wahrscheinlich das Leitmotiv für die künftigen liberalen Versammlungen abgeben. Und deshalb lag es mir daran, diesen Plan gründlich zu verderben. Wer nach diesen Feststellungen es noch wagt, für hinausgeworfene 'Millionen und Abermillionen, für die Qualen der Mannschaften' das Zentrum verantwortlich zu machen, der ist ein Schwindler und Volksbetrüger!" (5).

Eine von Fabricius Kolonialreden, die er am 23. Januar 1907 vor der Wahlversammlung der vereinigten liberalen Parteien hielt, erschien unter dem Titel "Wahre und falsche Kolonialpolitik" als Flugballt.

Wahlwerbung

Wahlwerbung mit Reichstagskandidat im badischen Wahlkreis V. Dr. Obkircher und Redner Prof. Fabricius, Freiburger Zeitung, 23.1.1907, Quelle

Darin hieß es u.a.: "Denn, meine Herrn, in den sechs Wochen, die seit der Reichstagsauflösung vergangen sind, hat sich etwas Merkwürdiges, etwas Neues, etwas Großes zugetragen, das, wie mir scheint sogar über die augenblickliche Bedeutung dieses Wahlkampfes weit hinausragt. Keinem, der mit offenen Augen die Vorgänge der letzten Wochen beobachtet hat, kann es entgangen sein, wie sich in dieser kurzen Zeit im ganzen deutschen Volke die Erkenntnis Bahn gebrochen hat von der ungeheuren Bedeutung der Kolonialfrage für unser gesamtes wirtschaftliches und politisches Leben. Obwohl 14000 unserer Soldaten seit Jahren in dem südwestafrikanischen Schutzgebiete kämpfen, wer hat sich vor dem 13. Dezember so recht für unsere Kolonien interessiert? Unsere armen Soldaten haben diese Interessenlosigkeit der Heimat, die mit der allgemeinen Gleichgültigkeit den kolonialen Dingen gegenüber zusammenhing, auf das schmerzlichste empfunden.

Und wie steht es nun, meine Herrn? Seit dem 13. Dezember ist das Interesse für unsere Kolonien ausgebreitet worden über ganz Deutschland, vom Fels bis zum Meer, hineingetragen in jede Hütte, in den entlegensten Hof unserer Schwarzwaldtäler, in alle Schichten unserer Bevölkerung. Alle haben dabei mitgeholfen, freiwillig oder unfreiwillig, die Presse aller Parteien, die Stimmen der Freunde unserer Kolonialpolitik und ihrer Gegner. Ja die Gegner haben, meinte ich, mit ihrer leidenschaftlichen Heruntersetzung des Wertes unserer Kolonien und ihren übertriebenen Anklagen gegen unsere Kolonialverwaltung und ihre Beamten am allermeisten dazu beigetragen, unserem Volke zum Bewußtsein zu bringen, daß die Kolonialfrage für die Zukunft Deutschlands von ganz erheblicher Bedeutung ist. (...)

Gegen alle diese unseren Fortschritt, unsere Existenz, die Existenz von Millionen unserer Mitbürger bedrohende Gefahren gibt es nur ein (...) Mittel der Abwehr, einen einzigen Schutz: eine zielbewußte energische Kolonialpolitik. (...) Nur auf unserem eigenen, neudeutschen Boden sind wir imstande, die Tausende unserer Volksgenossen, die in der Heimat keine sichere und sie befriedigende Existenz finden, die alljährlich der Wagemut in die weite Welt treibt, davor zu bewahren, daß sie und ihre Nachkommen ihr deutsches Volkstum, ihre Sprache, ihre Sitte und ihre Region [Religion?], die Gemeinschaft mit dem Vaterlande verlieren" (6).

3. Das gute Gewissen im I. Weltkrieg - Die "Vaterländische Versammlung" 1914

In der Freiburger Zeitung vom 27. September 1914 findet sich eine Werbeanzeige für eine "Vaterländische Versammlung" am selben Tage im evangelischen Paulussaal an der Dreisam in Freiburg:

Vaterländische Versammlung

Verschiedene bekannte Persönlichkeiten heizten im vollbesetzten Saal mit Reden die Kriegsbegeisterung der Bevölkerung an und stellten Deutschland als reines Opfer statt als Mitverantwortlichen des Weltkrieges dar. Der Prälat des Caritas-Verbandes, Dr. Lorenz Werthmann, forderte eine Vergrößerung des Kolonialbesitzes: "Sollte Gott, wie wir alle hoffen, unseren Waffen seinen Beistand und sieghaften Erfolg verleihen, dann harren dem deutschen Volke neue große Friedensaufgaben:(...) Eine fünfte Aufgabe ist das jetzt von den Feinden bedrängte, aber hoffentlich im Siege vergrößerte deutsche Kolonialreich, wieder auf- und auszubauen und mit dem Mutterlande in lebendige, fruchtreiche Wechselbeziehung zu setzen. Eine sechste: den mit den Kolonien neu erworbenen Untertanen die Segnungen des Christentums zu bringen. Eine Siebente: der deutschen Kultur und Wissenschaft unter allen Völkern der Welt die ihr gebührende Ehrenstellung wieder zu erringen.(7)

Ernst Fabricius äußerte sich im Anschluss an Werthmann zur Rolle des Roten Kreuzes. Dies ging darauf zurück, dass er freiwilliger Krankenpfleger beim Roten Kreuz war und 1914 Reservelazarettsdelegierter für Freiburg wurde. 1915 wurde er Delegierter der Krankentransportabteilung der Armeegruppe Gaede. Die Presse zitierte seine Rede: "Das Glück, einstehen zu dürfen, haben nicht nur die Außerordentlichen: jeder kann helfen. Wir wollen weiterarbeiten, da, wo wir hingestellt sind. In der Arbeit liegt die Bürgschaft des Sieges und der Unüberwindlichkeit unseres Volkes. Auch darin sind wir einig. Unser Volk hat den anderen voraus das gute Gewissen. Wir kämpfen um unser Recht und um die Güter der Kultur." (8) Dass der Krieg dann für Deutschland verloren ging, konnte er kaum verschmerzen. Als Redner lehnte er ab 1919 kategorisch jede Übernahme von Schuld oder verantwortung Deutschlands für den Krieg ab. (9)

4. "Eine Armee vor dem Feind" - Vorstandstandstätigkeit im Verein für das Deutschtum im Ausland

Professor Fabricius war zwar nach dem Zusammenbruch des Monarchie Mitglied der Deutschen (liberalen) Volkspartei, engagierte sich jedoch kaum noch parteipolitisch. Dagegen übernahm er über Jahre den Vorsitz der Freiburger Ortsgruppe des Vereins für das Deutschtum im Ausland (VDA, auch Verein zur Erhaltung des Deutschtums im Auslande / Deutscher Schulverein). Zwischen dem VDA und der Deutschen Kolonialgesellschaft (DKG) gab es viele personelle und inhaltliche Überschneidungen. Vereinfacht gesagt, beschränkte sich die DKG geographisch und politisch weitgehend auf die Förderung des "Deutschtums" in den formellen deutschen Kolonien (bzw. später dann in den ehemaligen Kolonien), während der VDA sich für den 'Rest' der Welt und insbesondere Europa zuständig sah (natürlich umfasste das Spektrum der Tätigkeiten der DKG in den eigenen Deutschen Kolonien zunächst weit mehr praktische Felder). Zum Spektrum der im protestantisch-liberalen Milieu beheimateten sog. "vaterländischen Vereine" in Freiburg gehörte neben dem VDA und der DKG z.B. der Ostmarkenverein. Weiter rechts standen der prokoloniale Alldeutsche Verband (ADV) und die elitär-völkische Gobineau-Vereinigung des Prof. Ludwig Schemann (1852-1938). Bemerkenswerter Weise durfte Schemann 1902 einen mit reichem Beifall gewürdigten Vortrag über Gobineaus Rassenlehre auf der Jahresversammlung der Freiburger VDA-Ortsgruppe halten. (10)

Zwischen dem VDA und der DKG gab es verschiedene personelle Querverbindungen in Freiburg. So übernahm Ernst Fabricius 1920 den Vorsitz der VDA-Männer-Ortsgruppe von dem Geographen und Univ.-Prof. Dr. Ludwig Neumann. Neumann befasste sich intensiv mit Kolonialgeografie und hattte u.a. von 1893 bis 1896 schon als 1. Vorsitzender die DKG-Ortsgruppe geführt. (11) Das Adress- und Einwohnerbuch der Stadt Freiburg führt ihn von 1921 bis 1927/28 als Vorsitzenden der Männer-Ortsgruppe Freiburg des VDA (dabei ist eine Zeitverzögerung bei der Änderung der jährlichen Einträge zu berücksichtigen). Seine Frau war demnach parallel Vorsitzende der Frauen-Ortsgruppe von 1920 bis 1922. Abgelöst wurde Fabricius als Vorsitzender von Wolfgang Aly (1881-1962), der bereits seit etwa 1920 der Akademischen Ortsgruppe des VDA vorstand. Aly war klassischer Philologe und a.o. Prof. an der Universität Freiburg. Und er war der erste Dozent der Universität, der (mit Datum von 1.12.1931) der NSDAP beitrat. (12) Auch seine Ehefrau engagierte sich - wie Frau Fabricius - als Vorsitzende der Frauen-Ortsgruppe (1923-1924/25).

1926 wurde unter Fabricius Vorsitz eine "Hilfs- und Werbewoche für die Auslandsdeutschen" durchgeführt. In diesem Rahmen wurde in der städtischen Kunst- und Festhalle ein Gesellschaftsabend veranstaltet. Das Freiburger Tagblatt berichtete am 15. November 1926: "Im Mittelpunkt des heiter bewegten Abends standen zwei ernste Ansprachen. Geheimrat Fabricius als erster Redner hob selbst den Gegensatz hervor, indem er betonte, daß Veranstaltungen dieser Art (...) dem Verein eigentlich fern lägen. Er unterscheide sich grundsätzlich von anderen, den geselligen Bedürfnissen entgegenkommenden Verbänden dadurch, daß er nur Forderungen stelle, Opfer und Leistung verlange. Indessen biete er als Gegenleistung auch eine Freude: nämlich die, sich einsetzen zu dürfen für die Schicksalsfrage unseres Volkes. Ungeheure Aufgaben seien ihm gestellt: die Millionen Deutscher im Ausland bildeten eine Armee vor dem Feind, der von der Heimat aus Rückhalt und geistige Munition gestellt werden müsse, solle sie nicht unterliegen. Es gehe um Deutschlands Zukunft, und in diesem Kampf dürfe keine fehlen." (6) So wohlgesonnen das Tagblatt gegenüber dem VDA auch war, so kritisierte es doch eine Veranstaltung dieser Werbewoche.

Ein Redner hatte unter dem Vorsitz von Fabricius nicht nur über die Not der Südtiroler berichtet, sondern dabei auch die Italiener u.a. als "wilde barbarische Horden" bezeichnet, von denen er hoffe, dass sie bald von einem Sturm aus dem Norden weggefegt würden. Das Tagblatt kommentierte: "Gefährlich sind solche Äußerungen besonders für die Jugend. Und der Vortrag wurde fast ausschließlich vor Jugendlichen Gehalten. Die Wirkung war auch dermaßen, daß dem wilden Beifallsgetrampel der jungen Leute vom Leiter der Veranstaltung Einhalt geboten werden musste, um die Würde der Stunde zu wahren. Wir sind auch dafür, daß unsere Jugend die Not der Auslandsdeutschen kennen lernt, aber das muß in einer Form geschehen, die nicht Haß und Mißachtung gegen andere Völker in die jugendlichen Herzen sät. Aus diesem Grunde müssen wir einzelne Aeußerungen des Redners tief bedauern und möchten den Veranstaltern der Werbewoche den Rat geben, alles zu vermeiden was den Völkerhaß in den Herzen unserer Jugend aufkeimen läßt."

5. Netzwerkbildung - Die Gründung der Geographischen Gesellschaft Freiburg

1925 wurde in Freiburg die Geographische Gesellschaft (GGF) gegründet. Zu ihren Gründungsmitgliedern gehörten u.a. der Vorsitzende der Oberbadischen Abteilung der Deutschen Kolonialgesellschaft, Max Knecht, der Direktor des Geographischen Instituts der Universität, Dr. Norbert Krebs, und der Rektor der Albert-Ludwigs-Universität, Professor Dr. Joseph Sauer, sowie der VDA-Vorsitzende Ernst Fabricius. Die GGF bewegte sich in einem engen Freiburger und reichsweiten Netzwerk mit Kolonialbefürwortern und Deutschtümlern und veranstaltete über Jahrzehnte öffentliche Vorträge an der Universität zu diesen Fragen. Teilweise wurden auch direkt Veranstaltungen mit VDA und DKG zusammen organisiert. Im Tätigkeitsbericht 1933/34 der GGF hieß es etwa: "Am 22. Januar 1934 hielt unsere Gesellschaft gemeinsam mit der Ortsgruppe des VDA, der Deutschen Akademie und der Deutschen Kolonialgesellschaft einen Vortragsabend ab, an dem Herr Dr. C.R. Hennings – London über 'Kanada und sein Deutschtum' sprach. Der Redner hatte Kanada 1933 mit dem Ziel bereist, das Deutschtum in Kanada kennenzulernen und dort über das nationalsozialistische Deutschland Aufklärung zu geben, was ihm beides, trotz starker Gegenpropaganda, mit großem Erfolg gelungen war.“(7)

6. Grundhaltungen - Ein Fazit

Professor Ernst Fabricius wird heute angesichts zahlreicher Publikationen und Ämter als bedeutender Altertumsforscher ehrend in Erinnerung gehalten. "Alle gesitteten Nationen haben seit den Zeiten der alten Griechen und Römer Kolonien gegründet ...", hieß es zur Rechtfertigung deutscher Ansprüche in seiner Freiburger Rede über "Wahre und falsche Kolonialpolitik" von 1906. Seine historische Forschung steht hier nicht zur Debatte, aber wie dieser Artikel zeigt, kann man bei einer Gesamteinschätzung seines Wirkens nicht seine politische Seite übergehen: Die eines aktiven Werbers für Kolonialpolitik im Allgemeinen und für den Genozid in Deutsch-Südwestafrika im Besonderen, eines Kriegstreibers im Ersten Weltkrieg und schließlich eines lokalen Protagonisten der chauvinistischen Deutschtumspolitik. Angesichts der sich über viele Jahre erstreckenden Vielfältigkeit dieser Aktivitäten wird deutlich, dass es sich um Grundhaltungen des Ernst Fabricius handelte und nicht um einzelne 'Ausfälligkeiten'. Auch dies muss kritisch 'gewürdigt' werden.

Heiko Wegmann

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7. Anmerkungen

1 Wirbelauer, Eckhard: Alte Geschichte und Klassische Archäologie, in: Eckhard Wirbelauer (Hg.): Die Freiburger Philosophische Fakultät 1920–1960. Mitglieder – Strukturen – Vernetzungen, Freiburgi.Br. / München 2006, S. 111–237; ders.: Die "Kreise" des Althistorikers Ernst Fabricius (1857-1942), in: Netzwerke der Altertumswissenschaften im 19. Jahrhundert: Beiträge der Tagung vom 30.-31. Mai 2014 an der Universität Wien, Wien Phoibos Verlag, 2016, S. 249-266.

2 "Denn auch der politischen Tätigkeit hatte ich in den 15 Jahren vor dem Krieg nicht ganz entsagt, zumal ich sie als vaterländische Aufgabe empfand. Drei Reichstagswahlen fielen in diesen Zeitraum, 1903, 1907 und 1912. Bei allen dreien habe ich mich im Interesse der national-liberalen Partei am Wahlkampf beteiligt. Die wichtigste war die Reichstagswahl von 1907." Ernst Fabricius: Lebenserinnerungen (auobiographisches Manuskript aus 1938-41), S. 368f. (Universitätsarchiv Freiburg, C 145). Das Adress- und Einwohnerbuch Freiburg 1907 führt ihn als "Präsident" (1. Vorsitzender) des "liberalen Vereins" auf (Abt. IX, S. 580), 1909 wird er als Mitglied des (erweiterten) Vorstandes geführt (S. 143).

3 siehe dazu: Ulrich van der Heyden: "Kolonialkrieg und deutsche Innenpolitik - Die Reichstagswahlen von 1907", freiburg-postkolonial 2007, Zum Text und ausführlich: Frank Oliver Sobich: »Schwarze Bestien, rote Gefahr«. Rassismus und Antisozialismus im deutschen Kaiserreich, Frankfurt a.M. 2006 [Zur Rezension]| Zurück

4 Freiburger Zeitung, 31.12.1906, 1. Blatt, Seite 1f.; siehe Scan.

5 "Erwiderung des Herrn Abg. Rechtsanwaltes C. Fehrenbach auf die Angriffe des Herrn Prof. Dr. Fabricius in der liberalen Wählerversammlung am 29. Dezember 1906.", Stadtarchiv Freiburg M31/1b Nr. 12, Zum Dokument. | Zurück

6 "Wahre und falsche Kolonialpolitik. Rede gehalten in der Wahlversammlung der vereinigten Liberalen am 23. Januar 1907 von Professor Dr. Ernst Fabricius", Stadtarchiv Freiburg i. Br., SAF M31/1b Nr. 9 Zum Dokument. | Zurück

4 siehe: "Reden gehalten von den Herren Oberbürgermeister a.D. Dr. Winterer, Prälat Dr. Werthmann und Stadtpfarrer Schwarz in der Vaterländischen Versammlung am 27. September 1914 im Paulussaale in Freiburg im Breisgau. Preis 20 Pfennig. Der Reinertrag ist für die Kriegsfürsorge bestimmt.", S. 12f., Stadtarchiv Freiburg, Dwe 3310b und Heiko Wegmann: "Dr. Lorenz Werthmann und seine kolonialen Schattenseiten", 2006, Zum Artikel | Zurück

9 Siehe z.B. seine Ansprache bei der großen Freiburger Protestkundgebung gegen den "Versailler Gewaltfrieden" am 10.5.1919, Freiburger Zeitung, 12.5.1919 Scan

10 Freiburger Tagblatt, 14.03.1902. Artikel

11 Sven Seelinger: Kolonialgeographie in Freiburg. Der Lehrstuhl für Geographie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. 1886 - 1919 Zum Text (pdf, 38 S.)

12 Jürgen Malitz: Klassische Philologie, erschienen in: Eckhard Wirbelauer (Hg.): Die Freiburger Philosophische Fakultät 1920 - 1960. Mitglieder – Strukturen – Vernetzungen., Freiburg / München 2006, S. 303-364, hier S. 4ff., 46.

8 Freiburger Zeitung, 28.9.1914, Artikel.

siehe zu Aktivitäten und Personal des VDA in Freiburg die Akte C 3/353/9 im Stadtarchiv sowie folgende Zeitungsartikel: "Allg. Deutscher Schulverein zur Erhaltung des Deutschtums im Auslande" (Jahresversammlung mit Gobineau-Vortrag), Freiburger Tagblatt, 14.03.1902. Artikel, VDA / Badener Kolonie in Venezuela, Freiburger Zeitung, 26.06.1917. Artikel , Jahresbericht vom "Allgemeinen Schulverein für das Deutschtum im Ausland", Freiburger Zeitung, 17.08.1905, Artikel, Paulussaal: Veranstaltung des Vereins für das Deutschtum im Ausland: "Die Zukunft des Deutschtums in der Welt", Freiburger Zeitung, 18.03.1919. Artikel | Zurück

6 In dem selben Bericht geht es auch um eine von Fabricius organisierte und eingeleitete Veranstaltung von einem Dr. E. Brettl aus Innsbruck über das Deutschtum Südtirol und die italienische Politik. Obwohl die Zeitung dem VDA, wie dem ganzen Artikel zu entnehmen ist, überaus positiv gegenüber eingestellt war und viele Spenden wünschte, kritisierte selbst sie: "Die kurzen Erläuterungen, die Dr. Brettl zu den Bildern gab, waren nicht nur sehr mangelhaft, sondern bewegten sich oft in einem Ton, den wir im Interesse der Völkerversöhnung für höchst schädlich bezeichnen müssen. Wenn er von den Italienern als von ‚wilden barbarischen Horden’ spricht, so ist das eine maßlose Übertreibung, wenn er sagt, die gebückte Haltung der italienischen Soldaten mit den Händen in den Hosentaschen sei echt welsch, so scheint er die Tapferkeit der Italiener während des Krieges nicht kennen gelernt zu haben, und wenn er behauptet, dass die Welschen die Berge meiden, weil sie sich vor ihnen fürchten, so wird ihm jeder Bergsteiger, der schon einmal in Südtirol herumgewandert ist, das Gegenteil bezeugen können. Das gleiche gilt auch von der Bemerkung, daß die italienischen Lehrkräfte lauter ungebildete Kerle seien. Es ist ein großer Fehler und schadet dem Deutschtum mehr als wir glauben, wenn wir an anderen Nationen kein gutes Haar lassen, wenn wir uns Übertreibungen und Verallgemeinerungen von Einzelfällen zuschulden kommen lassen, wie es der Redner beliebte. Es ist auch höchst unklug, wenn ein Redner immer wieder die Hoffnung ausspricht, daß bald ein Sturm aus dem Norden komme und die wilden barbarischen Horden über die Berge wegfege. Gefährlich sind solche Äußerungen besonders für die Jugend. Und der Vortrag wurde fast ausschließlich vor Jugendlichen Gehalten. Die Wirkung war auch dermaßen, daß dem wilden Beifallsgetrampel der jungen Leute vom Leiter der Veranstaltung Einhalt geboten werden musste, um die Würde der Stunde zu wahren. Wir sind auch dafür, daß unsere Jugend die Not der Auslandsdeutschen kennen lernt, aber das muß in einer Form geschehen, die nicht Haß und Mißachtung gegen andere Völker in die jugendlichen Herzen sät. Aus diesem Grunde müssen wir einzelne Aeußerungen des Redners tief bedauern und möchten den Veranstaltern der Werbewoche den Rat geben, alles zu vermeiden was den Völkerhaß in den Herzen unserer Jugend aufkeimen läßt. – Dem Vortrag schickte der Leiter der Veranstaltung, Herr Geheimrat Prof. Dr. Fabricius, einige Worte voraus indem er zur tatkräftigen Unterstützung des Vereins für das Deutschtum im Ausland aufforderte." Zurück

7 Stadtarchiv Freiburg C4/VIII/28/7; siehe ausführlich dazu: Heiko Wegmann (2007): "Die Welt ist mein Feld" - Die koloniale Vortragstätigkeit der Geographischen Gesellschaft Freiburg ab 1925 (21 Seiten, 730 KB pdf) | Zurück

8. Zusätzliche Literaturhinweise zu Fabricius:

- Ernst Fabricius bei Wikipedia

 

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