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Kolonialpläne der Nazis

Der folgende Beitrag ist dem Buch (S. 35-40) entnommen:

Rheinisches JournalistInnenbüro

»Unsere Opfer zählen nicht« - Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg 

Hrg. von Recherche International e.V., 444 Seiten mit 400 Fotos und 10 Karten, erschienen März 2005, 29.50 € / 51.60 sF | Assoziation A

»Auch hier liegt deutsches Land!«

- Ein deutsches Reich in Afrika

1934, ein Jahr nach dem Machtantritt der Nazis, druckten deutsche Kolonialpolitiker Propaganda auf Postkarten: »Auch hier liegt unser Lebensraum!« prangte auf der Weltkugel, die den afrikanischen Kontinent zeigte. Darauf waren die Konturen der vier ehemaligen deutschen Kolonien abgebildet: Togo und Kamerun, Deutsch-Ostafrika und Deutsch-Südwest. Am rechten Bildrand ragte eine Kokospalme empor, deren reiche Fächer Afrika Schatten spendeten. Davor wehten die Reichsfahne und – besonders hervorgehoben – die Hakenkreuzfahne. Ein Zitat des »Führers« verlieh dem Idyll höhere Weihen: »Es gibt ein große Menge Dinge, die Deutschland aus den Kolonien beziehen muss, und wir brauchen Kolonien genau so nötig wie irgendeine andere Macht.«1

Schon seit Ende des Ersten Weltkrieges agitierten die »Wilhelminischen Imperialisten«2, deutsche Kolonialwarenhändler, Industrie- und Bankenvertreter, Ex-Gouverneure und Generäle, die von der Ausplünderung der deutschen Kolonien profitiert hatten, gegen die »Schmach« und »Schande von Versailles«, als die Siegermächte des Ersten Weltkrieges die so genannten deutschen »Schutzgebiete« übernommen hatten. In den Friedensverhandlungen von Versailles 1919 hatten die Alliierten entschieden, ihre eigene Sicherheit und den Frieden der Welt gegen den deutschen militärischen Imperialismus zu sichern, der »darauf ausging, sich Stützpunkte zu schaffen, um gegenüber den anderen Mächten eine Politik der Einmischung und Einschüchterung zu verfolgen«. Durch die »grausamen Unterdrückungen«, »willkürlichen Zwangsbeitreibungen« und die »Zwangsarbeit« sei »Deutschlands Versagen auf dem Gebiet der kolonialen Zivilisation (...) zu deutlich zutage getreten«.3

Seitdem hetzten deutsche Kolonialrevisionisten in Reden, Referaten und Eingaben an die Reichsregierung gegen diese angebliche »Kolonialschuldlüge«. Sie pflegten den Mythos von der »strengen, aber gerechten« deutschen Kolonialherrschaft und behaupteten, Franzosen und Engländer hätten kein Recht gehabt, Togo, Kamerun, Deutsch-Südwest (heute Namibia), Deutsch-Ostafrika (heute Tansania, Ruanda, Burundi) und das deutsche Imperium in der Südsee (Papua-Neuguinea, Bismarck-Archipel, nördliche Salomonen, Marshall-Inseln, Nauru, Marianen, Karolinen, Palau, Samoa, Kiautschou) von der Landkarte des Deutschen Reiches zu streichen. 1927 erklärte der Zentrumspolitiker Konrad Adenauer, damals Oberbürgermeister der Stadt Köln und 1931/32 stellvertretender Präsident der Deutschen Kolonialgesellschaft: »Das Deutsche Reich muss unbedingt den Erwerb von Kolonien anstreben. Im Reiche selbst ist zu wenig Raum für die große Bevölkerung. Gerade die etwas wagemutigen, stark vorwärts strebenden Elemente, die sich im Lande selbst nicht betätigen konnten, aber in den Kolonien ein Feld für ihre Tätigkeit finden, gehen uns dauernd verloren. Wir müssen für unser Volk mehr Raum haben und darum Kolonien.«4

Während sich also einflussreiche nationalkonservative Kreise in der Weimarer Republik für eine Rückgabe der Kolonien an das Deutsche Reich stark machten5, lehnte Hitler diesen Weg aus taktischen Gründen zunächst ab. Zwar strebte auch er als Fernziel die Weltherrschaft an; mit oder gegen Großbritannien (und seine ehemaligen und neuen Kolonien) und im Kampf gegen die USA. Aber in den ersten Jahren seiner Herrschaft verfuhr das Regime nach der Formel: Erst Europa, dann die Welt. Es setzte auf expansive so genannte »Bodenpolitik« in Osteuropa und hielt sich bis 1935 mit offen kolonialen Ambitionen zurück. Hitler erwog noch ein Bündnis mit Großbritannien, welches ihm freie Hand für seine Expansion in Europa gewährt hätte. Trotzdem richteten die Nazis bereits im Mai 1934 ein Kolonialpolitisches Amt der NSDAP, KPA, ein.

An seine Spitze rückte der ehemalige Freikorpsführer und Kolonialoffizier Franz Ritter von Epp, der an der Niederschlagung des sogenannten Boxer-Aufstandes der Ihetuan in China 1900 und am Völkermord an den Herero in Deutsch-Südwest 1904 beteiligt gewesen war. Allerdings hatte das Amt kaum Machtbefugnisse und keine Exekutivgewalt. Einige große Kolonialverbände ließen sich 1936 freiwillig im Reichskolonialbund gleichschalten.

1935/36 änderte Hitler seine Taktik gegenüber England. Nun forderte er die Rückgabe der Kolonien als Druck- und Lockmittel gegenüber den Briten: Nur wenn die Briten den Deutschen Osteuropa überließen, werde Deutschland auf seine Kolonien verzichten und das Empire und die Weltmeere weiterhin den Briten zugestehen. Im November 1935 teilte Staatssekretär Hans Heinrich Lammers dem KPA-Leiter Epp mit, der »Führer« wünsche »mit allem Nachdruck dafür zu sorgen, dass das Maß der Propaganda für unsere kolonialen Ziele von allen beteiligten Stellen jeweils dem Stand und der Richtung der Außenpolitik angepasst wird, die der Führer bestimmt«.6

Am 7. März 1936, als deutsche Truppen das Rheinland besetzten, verlangte Hitler erstmals ultimativ im Reichstag die Rückgabe der »Überseegebiete« an Deutschland. Die Briten nahmen diese Drohung ernst und taktierten im Rahmen ihrer »Appeasement«-Politik ebenfalls mit der »Kolonialfrage«: Sie versuchten, die aggressive Gier des Naziregimes nach Land durch Zugeständnisse in den Kolonien zu beschwichtigen und den Frieden in Europa zu wahren, indem sie über die ehemaligen deutschen Überseegebiete verhandelten. Tatsächlich boten sie Hitler 1937 offiziell Kolonien an; er sollte dafür im Gegenzug die Aufrüstung Deutschlands beschränken. Hitler lehnte ab und zog es vor, vier, sechs, acht oder zehn Jahre auf die Kolonien zu verzichten, um sie weiter als außenpolitische Manövriermasse benutzen zu können.

Ende 1937 ging das Naziregime zu einem offen antibritischen Kurs über und zielte konkret darauf, Kolonien zu erwerben. Die Kolonialbewegung und die Kolonialliteratur erhielten neuen Auftrieb. Hatte der Reichskolonialbund 1936 noch 40.000 Mitglieder, so waren es 1941 zwei Millionen. Dabei galt weiterhin Hitlers Doktrin, erst den »Lebensraum im Osten« zu erobern und dann den »Ergänzungsraum« in den Kolonien, vor allem in Afrika.7

Die deutschen Kolonien in Ozeanien und China hatten schon in der Weimarer Zeit weniger Gewicht als die afrikanischen. Dementsprechend hatten sich die Achsenmächte am 27. Dezember 1940 darauf geeinigt, die Welt untereinander aufzuteilen: Deutschland und Italien sollten das »benachbarte« Afrika beherrschen, während Japan ganz Asien und Ozeanien kontrollieren sollte. Danach nutzten deutsche Kriegsschiffe zwar noch die japanisch kontrollierten Häfen in der Pazifikregion und bombardierten auch Stellungen und Schiffe der Alliierten, aber die Besetzung der ehemaligen deutschen »Schutzgebiete« überließen sie den Japanern. Die Kolonialpläne für Afrika dagegen wurden immer konkreter.

Seit 1941 war von einem zentralafrikanischen Reich unter deutscher Herrschaft die Rede, das sich vom Atlantischen bis zum Indischen Ozean erstrecken sollte; quer über den Kontinent von der Goldküste (Ghana), Dahomey (Benin), Togo, West-Nigeria, Süd-Niger, Kamerun, Belgisch-Kongo (Demokratische Republik Kongo), Französisch-Äquatorialafrika (Tschad, Zentralafrikanische Republik), bis Uganda, Britisch-Ostafrika (Kenia), Tanganjika (Tansania), Nordrhodesien (Sambia), Njassaland (Malawi) und Südwestafrika (Namibia). Den Norden Afrikas wollten die Nazis gemeinsam mit den Faschisten Italiens und Spaniens regieren. Dafür hatten sie zahlreiche Städte an der afrikanischen Küste als Militärstützpunkte eingeplant – als Bollwerke gegen die USA. Außerdem sollten deutsche Firmen erfolgreich Rohstoffe ausbeuten können. Das hatten die Nazis schon im Waffenstillstandsvertrag mit dem französischen Kollaborationsregime in Vichy festgeschrieben. Mit Mussolini sollte die Mitnutzung seines Imperium Romanum nach der Eroberung des Nahen Ostens und Nordostafrikas (Libyen, Ägypten, Äthiopien, Sudan, Somalia, Jordanien, Palästina, Saudi-Arabien, Irak, Jemen, Aden, Türkei, Albanien) abgestimmt werden. Im Süden des Kontinents erwarteten die Nazis – nach einem Sieg über England – eine einvernehmliche Teilung der Macht mit einer faschistischen Regierung in der südafrikanischen Union.

Mit seinen Überfällen auf Polen, Skandinavien und die westlichen Nachbarländer nahm das Regime 1939 die Schaffung eines »Neuen Europa« in Angriff. Hitler forderte erneut vor dem Reichstag die von den Engländern und Franzosen »geraubten Kolonien« zurück: »Deutschland benötigt seinen kolonialen Besitz überhaupt nicht, um dort eine Armee aufzustellen. Dazu genügt der Volksreichtum der eigenen Rasse. (Stürmischer Beifall) Sondern zu seiner wirtschaftlichen Entlastung. Es ist nun einmal so, dass auf die Dauer eine 80-Millionen-Nation nicht anders bewertet sein will als irgendein anderes Volk. Dass ohne eine genügende Lebensmittelversorgung und ohne gewisse unumgänglich notwendige Rohstoffe die wirtschaftliche Existenz eines Volkes nicht aufrechterhalten werden kann.«8

Im Kriegsrausch des Sommers 1940 schien die Vision von der schnellen und kampflosen Expansion nach Süden realisierbar. Belgien war besetzt, Frankreich hatte kapituliert; die französischen Kolonien in Afrika waren greifbar nah. Hitler hatte schon im März 1940 die Anweisung erteilt, die »vorbereitenden Arbeiten für unsere Kolonialverwaltung mit Nachdruck zu fördern«; der Etat für das Kolonialpolitische Amt wurde jetzt mächtig aufgestockt. Denn die Kolonien sollten das zukünftige »großdeutsche Reich« ernähren. Auch in der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes machte man sich Gedanken. Ihr Leiter, Ernst Bielfeld, schrieb in einer geheimen Denkschrift im November 1940, nach der »Neuordnung Europas« müsse »aus dem kolonialen Ergänzungsraum ein Gebiet versorgt werden, das außer dem Großdeutschen Reich noch Skandinavien, Dänemark, Belgien, Luxemburg, Holland, Ungarn, die Slowakei und andere europäischen Gebiete umfasst«. Als Mitglieder eines neuen »Großwirtschaftsraums« hätten sie daher auch »Anspruch auf die Versorgung mit kolonialen Erzeugnissen aus einem unter deutscher Führung stehenden Kolonialraum«. Die Wirtschaftsplanung in den deutschen Kolonien müsse deshalb »dem Bedarf von rund 150 Millionen Menschen Rechnung tragen«.9

Der ostafrikanischen Insel Madagaskar hatte das faschistische Deutschland eine besonders perfide Rolle zugedacht. Dorthin sollten vier Millionen europäische Juden deportiert werden. In den Monaten zwischen der Niederlage Frankreichs im Juni und der fehlgeschlagenen Eroberung Großbritanniens im September 1940 arbeiteten zahlreiche Stellen vom Auswärtigen Amt bis zur SS am »Madagaskarplan«. Die Insel sollte in ein riesiges Ghetto verwandelt werden. Umsiedlungen von Juden in Osteuropa wurden gestoppt, nachdem das AA Mitte August vom Reichssicherheitshauptamt die Weisung erhielt, dass zur »Vermeidung dauernder Berührung anderer Völker mit Juden eine Überseelösung insularen Charakters« bevorzugt werde.10 Dabei war den Verantwortlichen klar, dass Madagaskar keineswegs darauf vorbereitet war, Millionen Menschen kurzfristig anzusiedeln und zu ernähren. Die Ermordung der meisten Deportierten war somit impliziter Teil des Plans. Einen Monat später aber musste der Madagaskarplan angesichts der Überlegenheit der britischen Flotte aufgegeben werden. Am 10. Februar 1942 hieß es in einem Schreiben des Leiters des Referats Judenfragen im Auswärtigen Amt, Franz Rademacher, an Ernst Bielfeld: »Im August 1940 übergab ich Ihnen für Ihre Akten den von meinem Referat entworfenen Plan zur Endlösung der Judenfrage, wozu die Insel Madagaskar von Frankreich im Friedensvertrag gefordert, die praktische Durchführung der Aufgabe aber dem Reichsicherheitshauptamt übertragen werden sollte. (...) Der Krieg gegen die Sowjetunion hat inzwischen die Möglichkeit gegeben, andere Territorien für die Endlösung zur Verfügung zu stellen. Demgemäß hat der Führer entschieden, dass die Juden nicht nach Madagaskar, sondern nach Osten abgeschoben werden sollen. Madagaskar braucht mithin nicht für die Endlösung vorgesehen zu werden. Heil Hitler!«11

Den Platz an der Sonne plündern

Afrikas gewaltige Reichtümer brauchte das NS-Regime für seine Großmachtpläne. Eine massenhafte Ansiedlung »deutscher Volksgenossen« war darin nicht enthalten; dafür war Osteuropa vorgesehen. Im Juli 1940 schrieb der Reichswirtschaftsminister in einem Rundbrief: »Die entscheidende Bedeutung der Kolonien liegt auf wirtschaftlichem Gebiet. Die Kolonien sind Teile der deutschen Gesamtwirtschaft und bilden mit dem Reich eine wirtschaftliche Einheit. Die Wirtschaft der Kolonien ist dementsprechend nach den Erfordernissen der deutschen Gesamtwirtschaft aufzubauen und zu lenken.«12 Es ging der zukünftigen Kolonialmacht um die Rohstoffe des Kontinents, um Nahrungsmittel (Nüsse, Öle, Kaffee, Tee, Kakao, Tabak und Südfrüchte), Baumwolle, Sisal und Tropenhölzer sowie Erze, Metalle, Gold und Diamanten. Darum wollten die deutschen Behörden einem »germanischen Kolonialreich« auch Belgisch-Kongo, Französisch-Äquatorialafrika und Südwestafrika einverleiben. In diesen Ländern wurden reiche Bodenschätze gehoben: Blei und Zinn, Silber und Kupfer, Palladium, Wolfram und Kadmium. Dem Kongo kam dabei sowohl geographisch wie ökonomisch eine Schlüsselposition zu. Das Land verbindet West- und Ostafrika und »seine reichen Mineralvorkommen können einen wesentlichen Teil des deutschen Bedarfs decken«, wie Ernst Bielfeld aus dem Auswärtigen Amt schwärmte. »Zu diesem Mineralreichtum kommt die Fülle von Wasserkräften, die von großer energiewirtschaftlicher Bedeutung für die Zukunft sein wird.«13

Verschiedene Industrieunternehmen hatten bereits eigene Geschäftsideen angemeldet. Die IG Farben vermerkte Westafrika als »vielversprechenden« Absatzmarkt und steuerte territoriale Planspiele bei. Dabei bezogen sie über Nord- und Westafrika hinaus den ganzen Kontinent mit ein. Kurt Weigelt, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, die an allen kolonialen Handelsgesellschaften stark beteiligt war, galt als heimlicher Kolonialminister. Im Juli 1940 legte er eine »Wirtschaftspolitische Denkschrift des Kolonialpolitischen Amtes der NSDAP« vor, in der er nahezu alle Gebiete südlich der Sahara mit Ausnahme von Angola, Südwestafrika und Südafrika als deutsche Kolonien reklamierte. Das Ausplünderungsprogramm deckte sich mit den Interessen der Kriegswirtschaft und der deutschen Konzerne. Die Schrift ging an 50 Adressaten, darunter die AEG und die Mannesmann-Röhrenwerke.

»Zum Schluss sei betont, dass die große Bereinigung in Europa Deutschland zu einer kolonialen Lösung berechtigt, aber auch zwingt, die mit den Erwerbungen aus dem Jahr 1884, wo wir nehmen mussten, was die anderen übrig gelassen hatten, in keiner Weise verglichen werden kann. Deshalb ist auch in den wirtschaftlichen Betrachtungen über eine bestmögliche Gestaltung des tropischen Ergänzungsraumes nicht Halt gemacht worden an den alten Grenzen.«

Kurt Weigelt, Kolonialwirtschaftliche Denkschrift, Juli 194014

Die Kolonialplaner wollten die Wirtschaftssysteme in Afrika völlig umkrempeln. Sie dachten sogar an eine Art staatsmonopolistische Planwirtschaft des Mutterlandes für die Kolonien. Dabei sollte die afrikanische Subsistenzwirtschaft noch stärker als zuvor durch die Förderung von Rohstoffen für den Export ersetzt werden. Kolonisten sollten die großen Ländereien als Plantagen verwalten. Deutsche Gouverneure sollten über Landbesitz, Enteignung und Bodenverteilung entscheiden dürfen. Deutsche sollten die Geschäfte leiten, die Afrikaner arbeiten und wie Sklaven registriert und eingesetzt werden. Ab dem 16. Lebensjahr sollte jeder Schwarze ein »Arbeitsbuch« in einer Blechhülle bei sich tragen müssen, mit Angaben zum »Arbeits-«, »Steuer-« und »Gesundheitsnachweis«.

Der koloniale Verwaltungsapparat des NS-Regimes lief ab 1940 auf Hochtouren. Die Kolonialpolizeischule Oranienburg schulte Polizisten und Offiziere, die SS plante eine eigene Polizeitruppe, ausgewählte Männer und Frauen wurden auf ihre Aufgaben als zukünftige Kolonisten vorbereitet, Landkarten von Afrika wurden gedruckt, Eisenbahnnetze entworfen und Gesundheitsfibeln in afrikanische Sprachen übersetzt. Die Bürokraten planten mit deutscher Gründlichkeit jedes erdenkliche Detail – selbst »zerlegbare Haustypen« zur Verschiffung in die Kolonien. Ganze Abteilungen arbeiteten an Gesetzen für die deutschen Kolonien. Der Tätigkeitsbericht des KPA vom Juli 1941 schließt: »Wenn der Führer, der Gestalter der deutschen Zukunft, den Einsatzbefehl auf kolonialem Gebiet geben wird, so wird er das Kolonialpolitische Amt gerüstet finden, diesen Befehl nach Kräften auszufüllen.«15 1.110 ausgebildete Kolonialbeamte standen bereit. Und auch Luftwaffe, Marine und Heer der deutschen Wehrmacht planten – nach einem Friedensschluss – ihre Stationierung in den zukünftigen Kolonien. Anders als seine Militärs sprach Hitler sich jedoch gegen die Aufstellung von Kolonialtruppen aus.

Apartheid auf Deutsch

»Weil keiner Seinesgleichen ausplündern, unterjochen und töten kann, ohne ein Verbrechen zu begehen, erheben sie es zum Prinzip, dass der Kolonisierte kein Mensch ist.«

Jean Paul Sartre, Kolonialismus und Neokolonialismus

Gemäß der nationalsozialistischen »Rassenlehre« sollte in den Kolonien scharf zwischen dem »Herrenvolk« mit »Herrenpflichten« und den geistig zurückgebliebenen Massen der schwarzen »Untermenschen« unterschieden werden. Die »Rassenhygiene« verlangte strenge Segregation in Wohngebieten und allen öffentlichen und privaten Bereichen. Die afrikanischen Arbeiter sollten sich nur zum Arbeiten in die Nähe von Europäern begeben dürfen, keine europäische Sprache lernen und die »widernatürlich« gebildeten Schwarzen, zum Beispiel die »Zivilisationskaffern« Südafrikas, »die zu unangemessenem Eigendünkel und sogar blasierter Geringschätzung des Weißen gelangt sind« wenn möglich »beseitigt« werden.

»Der Neger [ist] von Natur aus ein sprachloser Sklave. Er braucht den ›Meister‹ wie der Fisch das Wasser

H.E. Pfeiffer, Eigenleben und Eigenkultur der afrikanischen Eingeborenen, 193616

Die NS-Juristen entwarfen Gesetze, die die »Rassenmischung« unterbinden sollten. Das so genannte Kolonialblutschutzgesetz untersagte »Eheschließungen Deutscher oder Fremder« mit »Eingeborenen«, »Angehörigen der farbigen bodenstämmigen Bevölkerung aus den nichtdeutschen Gebieten« und »Mischlingen«. Bei Zuwiderhandlung drohte den Einheimischen die Todesstrafe; auch der außereheliche Geschlechtsverkehr sollte verboten werden.

Diese Apartheidregelungen waren nicht neu. Schon während des wilhelminischen Imperialismus hatten sich die Deutschen in den Kolonien getrennt von den Schwarzen angesiedelt und sie zwangsweise für sich arbeiten lassen, Dienstbücher eingeführt und Mischehen verboten. Die deutschen Kolonien waren ein Experimentierfeld für eine nach »Rassekriterien« organisierte Gesellschaft. Darum betrachtete Hannah Arendt den Kolonialismus als eine Vorform des Faschismus und eine von vielen Wurzeln des »Dritten Reiches«. Aber erst die Nazis regelten mit Verfügungen wie dem Kolonialblutschutzgesetz bereits vorab eine zukünftige Apartheid, die sich nahtlos und systematisch an die Nürnberger Rasseschutzgesetze anschloss.

Trotz der konkreten Vorbereitungen verfolgte Hitler weiter seinen Stufenplan. Erst wollte er Europa erobern und dann den Kolonialmächten diktieren, welchen Besitz in Übersee sie abzutreten hätten. Für die Unterwerfung Mittelafrikas plante die Wehrmacht gerade mal ein halbes Jahr ein. Doch der Kriegsverlauf ersparte Afrika die faschistische Versklavung. Hatte Großbritannien, die wichtigste Kolonialmacht in der Region, noch 1938 der Einverleibung Österreichs und der Tschechoslowakei durch Nazi-Deutschland tatenlos zugesehen, so erklärte die britische Regierung zwei Tage nach dem Überfall auf Polen am 3. September 1939 Deutschland den Krieg. Damit wurden die Kolonialpläne zu bloßen Reißbrettkonstruktionen und politischen Sandkastenspielen der deutschen Ministerialbürokratie. Hitler hielt es 1941/42 für unrealistisch, Kolonien militärisch zu erobern; zu groß war die englische Überlegenheit. Er setzte auf die Rohstoffbasis in Osteuropa. Im September 1940 griff Mussolini Ägypten an, ohne Berlin zu benachrichtigen; im Dezember bat er Hitler um militärischen Beistand. Das Regime gewährte diese Hilfe, weil eine Niederlage des Bündnispartners in Nordafrika die Position Englands und der Truppen des Freien Frankreich verbessert hätte. Auch wollten die Nazis auf die Ölquellen des Nahen Ostens zugreifen.

So begann im März 1941 der Nordafrikafeldzug. Nur drei Monate später überfielen die Deutschen die Sowjetunion. Wider Erwarten band der Russlandfeldzug große Truppenverbände und Ressourcen. Das Kolonialpolitische Amt wurde zur »Einsparung von Arbeitskräften und Material« aufgefordert. Die Wehrmacht vertagte den Vormarsch auf Afrika auf die Zeit nach der Niederlage der Sowjetunion. Angesichts des weiteren Kriegsverlaufs beschloss Hitler Mitte Januar 1943, das KPA stillzulegen. Das Personal wurde auf andere Behörden verteilt. Die Pläne für ein mittelafrikanisches Reich wurden bis auf unbestimmte Zeit zurückgestellt.

1944 vertrieben die Alliierten die deutschen Truppen aus Nordafrika; die mit den Nazis kollaborierende französische Marionettenregierung in Vichy musste die von ihr kontrollierten Kolonien an das Freie Frankreich abgeben. Großbritannien und Frankreich blieben auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Afrika dominierend. Die deutschen Interessen verlagerten sich auf die Wirtschaft. Jahrelang pflegten Deutsche gute wirtschaftliche Beziehungen vor allem zu den Militärdiktaturen in Nigeria und dem Apartheidregime in Südafrika. Die Ausplünderung afrikanischer Länder während der Kolonialzeit und die geplante Versklavung fast des gesamten Kontinents durch die Nazis wurden von offizieller Seite nie aufgearbeitet. Heute sprechen Politiker und Wirtschaftsvertreter lieber von »traditionellen« Beziehungen zwischen Deutschland und Afrika.

Rheinisches JournalistInnenbüro

Anmerkungen:

1 Gründer, Horst (Hg.): »... da und dort ein junges Deutschland gründen«. Rassismus, Kolonien und kolonialer Gedanke vom 16. bis 20. Jahrhundert. München 1999. S. 339.

2 Hildebrand, Klaus: Deutsche Außenpolitik 1933-1945. Kalkül oder Dogma. Stuttgart 1971.

3 Gründer, a.a.O., S. 315.

4 Ebd., S. 327.

5 Die Kontinuitäten zwischen den deutschen Kolonialverbrechen – etwa dem Völkermord an den Herero, der Niederschlagung des Maji-Aufstandes in Ostafrika sowie den Vorstellungen vom »Rassenkampf« und der Zwangsarbeit – und der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten werden von Kolonialhistorikern unterschiedlich bewertet. Siehe Zimmerer, Jürgen; Zeller, Joachim (Hg.): Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904-1908) in Namibia und seine Folgen. Berlin 2003 [Rezension]. Kundrus, Birthe: Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus. Frankfurt 2003. [Rezension]

6 Hütz, Friedel: Franz Ritter von Epp und das Kolonialpolitische Amt der NSDAP. Planung eines deutschen Kolonialreiches in Afrika unter dem Vorzeichen der »Rassendoktrin«. Hausarbeit für die Magisterprüfung der Philosophischen Fakultät zu Köln, 24.1.1992. S. 46.

7 Kum’a Ndumbes III. Buch »Hitler voulait l’Afrique, les plans secrets pour un Afrique fasciste 1933-1945«, 1980 in Paris erschienen, hat die genauen Pläne des faschistischen Deutschlands für Afrika aufgearbeitet. Erst 1993 wurde es auf Deutsch veröffentlicht. Kum'a Ndumbe III., Alexandre: Was wollte Hitler in Afrika? NS-Planungen für eine faschistische Neugestaltung Afrikas. Frankfurt 1993.

8 Schröder, Andrea: Was wollte Hitler in Afrika? NS-Pläne für die Neugestaltung eines ganzen Kontinentes. Hörfunkmanuskript Südwestrundfunk 2, 2. Februar 2001. S. 3.

9 Gründer, a.a.O., S. 346; Kum’a Ndumbe III., a.a.O., S. 55.

10 Deutsches Historisches Museum: Der Madagaskarplan.

11 Gründer, a.a.O., S. 355.

12 Kum’a Ndumbe III., a.a.O., S. 74.

13 Ebd., S. 77.

14 Ebd., S. 262.

15 Hütz, a.a.O., S. 69.

16 H.E. Pfeiffer: Eigenleben und Eigenkultur der afrikanischen Eingeborenen. In: Deutsche Kolonialzeitung 11, 1936. S.1ff.


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