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siehe auch zum Thema von Reinhart Kößler:

Genocide, Apology and Reparation –the linkage between images of the past in Namibia and Germany (2007; pdf, 27 Seiten) Zum Text

Dringender Klärungsbedarf - Das Gedenkjahr 2004 zeigt die Verwerfungen der post-kolonialen Gesellschaft in Namibia (2005) Zum Text

 

 

 

Offene Wunden – Die von Trotha-Familie beim Herero-Gedenktag 2007 in Omaruru (Namibia)

Text und Fotos von Reinhart Kößler, Windhoek, 25.10.2007

Es geht schon auf Mittag des 7. Oktober 2007 zu, als der Zug von in Phantasie-Uniformen gekleideten Männern, dahinter Frauen vorwiegend in weiß-schwarzer, an viktorianischen Mustern orientierter Tracht, das Zentrum von Omaruru in Zentralnamibia erreicht. Wie jedes Jahr um diese Zeit gedenken die Angehörigen der „Weißen Flagge“, einer der drei großen Gruppierungen der Herero in Zentral-Namibia, zum 81. Mal des Königs Willem Zeraua und seiner Bemühungen vor mehr als 130 Jahren, die verstreuten Herero-Gruppen gegenüber der sich abzeichnenden Kolonialisierung zu einigen.

Die einige hundert Menschen umfassende Kolonne hat sich auf dem Platz vor dem „Kommando“ im ehemaligen Township gesammelt. Dort leben die meisten schwarzen Einwohner Omarurus auch 17 Jahre nach der Unabhängigkeit Namibias. Von dort bis in das adrette Zentrum des Städtchens haben sie in der zunehmenden Tageshitze gut 5 km zurückgelegt. Dieses Jahr kommt es am Ortseingang zu einem ungewöhnlichen symbolischen Akt. Der Zug hält an, die verschiedenen „Otrupa“ führen – jede Gruppe in ihrem eigenen markanten Stil – einige ihrer komplizierten Marschmanöver aus. An der Spitze, hinter der namibischen Nationalfahne und einer Gruppe von Würdenträgern, reihen sich elf Angehörige der Familie von Trotha in den Zug ein. Sie sind auf Einladung von Chief Christian Zeraua nach Namibia gekommen, um einen Beitrag zur Versöhnung zwischen Namibia und Deutschland zu leisten – denn auch 103 Jahre nach dem von Lothar von Trotha befohlenen Völkermord an Herero sind die Wunden noch offen, wie Herero-Sprecher später an diesem Tag immer wieder betonen. Trotha war während des Herero-Krieges 1904 eigens ins heutige Namibia geschickt worden, um als kommandierender General der Schutztruppe in Deutsch-Südwestafrika durch eine energischere und das hieß rücksichtslosere Kriegführung die Gefahr eines Verlustes der Kolonie zu bannen. Unter seinem Befehl und in der Folge mussten zigtausende Namibierinnen und Namibier den Widerstand gegen die koloniale Herrschaft mit dem Tod durch Gewehrschüsse der deutschen Schutztruppe, durch Verdursten in der wasserlosen Steppe oder durch Zwangsarbeit, unmenschliche Behandlung und Vernachlässigung in den Konzentrationslagern bezahlen oder wurden in andere deutsche Kolonien in Afrika und in der Südsee verschleppt.

Weiße Zeraua-Fahne Foto: Weiße Zeraua-Fahne

Zunächst besucht der Zug wie jedes Jahr die Gräber der Chiefs von Omaruru, denen diesmal auch die Angehörigen der Familie von Trotha sowie der deutsche Botschafter in Namibia, Arne Freiherr von Kittlitz und Ottendorf, ihren Respekt erweisen, indem sie beim zeremoniellen Vorbeidefilieren die Grabsteine berühren. Beim Halt auf einem zweiten Friedhof wird führender Herero gedacht, die am Neuaufbau ihrer Gemeinschaften in den Jahrzehnten nach dem Völkermord beteiligt waren. Als die zu Fuß marschierende Kolonne den Kommando-Platz am frühen Nachmittag wieder erreicht, sind die Gäste aus Deutschland ebenso wie einige der älteren Würdenträger der Herero bereits mit dem Auto angekommen, und die lange Reihe der Ansprachen hat bereits begonnen. Eine Reihe von Rednern macht immer wieder die hohe Erwartung deutlich, die wohl die meisten der anwesenden Herero mit dem Besuch einer „Delegation“ der Familie von Trotha verbinden: Nachdem bereits 2004 eine hochrangige Gruppe von Herero gemeinsam mit Kirchenvertretern zu den von Trothas nach Deutschland gereist war (siehe Website der Trotha-Familie), hoffen sie nun, die Erinnerung an die furchtbaren Geschehnisse der Jahre 1904-1908 wieder hörbar wachzurufen.

Hohe Erwartungen, wenig Bewegung

Drei Jahre nach der denkwürdigen Rede von Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul am Schauplatz der größten Schlacht zwischen Herero und Schutztruppe (am 11. August 1904 in Ohamakari, Waterberg) erscheint dies geradezu als eine verzweifelte Hoffnung. 2004 benannte die Ministerin zwar endlich das Geschehen als Völkermord und sprach eine Entschuldigung aus, doch ist es seither bei dieser verbalen und letztlich nur halboffiziellen Bekundung geblieben. Das, was nicht nur Herero in Namibia als notwendig erachten – ein Dialog zwischen den Gruppen, die in diesem Land noch immer unter den langfristigen Folgen der traumatischen Erfahrungen ihrer Vorfahren leiden und der deutschen Regierung als der Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches – steht immer noch in weiter Ferne. Stattdessen gab es einseitige und sporadische Erklärungen der Ministerin und Quasi-Verfügungen von deutscher Seite, wo doch Zuhören und Nachfragen nach den Bedürfnissen und Wünschen der Betroffenen die einzig angemessene Verhaltensweise gewesen wäre. Auch ein einstimmiger Beschluss der namibischen Nationalversammlung vor knapp einem Jahr, durch den der Forderung nach angemessener Entschädigung Nachdruck verliehen werden sollte, hat an dieser Lage nichts Grundlegendes geändert. Ob der Bundestag die Chance einer Resolution nutzen wird, die von der Linken im Juni eingebracht wurde, muss bezweifelt werden (siehe Dokumentation der Bundestagsdebatte vom 13.06.2007 zum Antrag "Anerkennung und Wiedergutmachung der deutschen Kolonialverbrechen im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika" Mehr).

Teilnehmerinnen Foto: Teilnehmerinnen auf dem Weg ins zentrale Omaruru

In dieser Situation waren die Angehörigen der Familie von Trotha – nur entfernte Verwandte des Schlächters von 1904 – unweigerlich überfordert. Wolf-Thilo von Trotha als Vorsitzender des Familien-Verbandes und Sprecher der Gruppe bekannte, der Name der Familie sei durch den kaiserlichen General „beschmutzt“: Seine Trägerinnen und Träger würden in verschiedenen Situationen mit dieser historischen Hypothek konfrontiert. Daraus ergebe sich der Wunsch zur Versöhnung, wie auch die Unterstützung für ein Kinderheim in Okakarara in unmittelbarer Nachbarschaft des Waterbergs. Andererseits betonten er ebenso wie der deutsche Botschafter, dass die Familie nicht für die deutsche Regierung, sondern allein für sich selbst sprechen kann.

An dieser Stelle wurde die beklemmende Kluft deutlich, die zwischen den in verschiedenen Reden ausgedrückten Erwartungen der anwesenden Herero und den Möglichkeiten der Besucher und Besucherinnen bestand: Mit der Forderung nach Entschädigung oder Reparation verbindet sich für Herero die Hoffnung auf Heilung von Wunden aus einem Geschehen, das ihren Vorfahren Land, Lebensgrundlage, Stolz, Würde und Menschlichkeit geraubt hatte, wie verschiedene Redner betonten. Wichtiger noch als materielle Zuwendungen für auch heute benachteiligte Regionen in Namibia, wo Herero und auch Nama leben, ist die offizielle, in aller Form zu vollziehende Anerkennung dieses Unrechtes und der Verantwortung, die der deutsche Staat nach wie vor dafür trägt. Solange diese Anerkennung ganz verweigert wird oder nur unzureichend mit halbherzigen oder halboffiziellen Erklärungen erfolgt, sind die Wunden der Vergangenheit nicht zu heilen.

Foto: von Trothas als Teilnehmer des Zuges

Eskalation zwischen den Herero-Fraktionen

Die Überfrachtung des Besuchs der Familie von Trotha mit unter diesen Umständen nicht realistischen Erwartungen ist nur ein Ausdruck dieses von der deutschen Regierung durch ihr hinhaltendes Taktieren sowie die widersprüchlichen und inkohärenten Handlungen und Äußerungen ihrer Mitglieder zu verantwortenden Zustands. Vordergründig lässt sich diese Nachlässigkeit gegenüber einer zahlenmäßig kleinen Opfergruppe, die sich nur schwer Gehör verschaffen kann, leicht durchhalten. Akzeptabel ist dies umso weniger. Dies zeigte sich erst recht im weiteren Verlauf des Besuchs der Familie von Trotha in Namibia. Die Initiative dazu war von den „fünf Königshäusern“ der Herero ausgegangen. Wie sich schon vor Ankunft der von Trothas abzeichnete, verschärfte der Besuch den schwelenden Konflikt zwischen diesen durch Abstammung legitimierten Führungsgruppen und dem sich auf Wahl berufenden Paramount Chief Kuaima Riruako. Er hatte sich kurz vor dem Eintreffen der von Trothas in geharnischten Worten gegen den Besuch gewandt und gedroht, deren Sicherheit könne nicht garantiert werden. In Omaruru wie auch sonst während der Besuchsreise war dementsprechend ein massives Polizeiaufgebot unübersehbar. Als die von Trothas dann eine knappe Woche nach der Feier in Omaruru am Samstag in Okahandja zum Abschied die dortigen Häuptlingsgräber besuchten, kam es zur offenen Konfrontation. Anhänger von Riruako besetzten das Herero-Kommando im Township von Okahandja und verweigerten allen an dem Besuch Beteiligten, einschließlich Supreme Chief Alfons Maharero, den Zutritt. Einige der von den Besetzern mitgebrachten Plakate betonten, die von Trothas könnten nicht die deutsche Regierung vertreten, der die eigentliche Verantwortung zukomme; andere erklärten, sie seien nicht willkommen, wieder andere fragten, wo die Familien anderer prominenter deutscher Kolonialakteure seien. Auch an diesen teilweise untereinander widersprüchlichen Protesteinlassungen lässt sich ablesen, wie widerspruchsvoll und verfahren die Situation ist.

Ehrentribüne Foto: Ehrentribüne

Die Konflikte unter den Herero-Gruppen um ihre legitime oberste Repräsentanz könnten sich in Zukunft sehr leicht verschärfen. Es ist leicht erkennbar, dass auch die unübersichtliche Doppelstruktur, an der sie sich entzünden, letztlich Spätfolge des Völkermordes und des Exils der meisten angestammten Führungspersönlichkeiten ist. So macht auch dieser interne Konflikt eines überdeutlich: Das beständige Verschleppen einer konstruktiven Lösung der zentralen Frage von Entschuldigung und Entschädigung verschärft auch interne Konflikte unter den betroffenen Gemeinschaften in Namibia. Umso mehr sollte sich die Bundesregierung endlich ihrer historischen Verantwortung stellen und dabei auch die anderen Opfergruppen Nama, Damara und San einbeziehen.

Reinhart Kößler hat die Ereignisse im Rahmen seiner Forschungen zu Erinnerungspolitik in Namibia beobachtet. Er arbeitet in dem VW-Projekt „Reconciliation and Social Conflict in the Aftermath of large-scale Violence in Southern Africa: the cases of Angola and Namibia” am Arnold Bergstraesser Institut, Freiburg.


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