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Veröffentlicht auf freiburg-postkolonial.de am 06.03.2014

 

 

 

cover black berlin

Rezension von:

 

Oumar Diallo / Joachim Zeller (Hg.):

Black Berlin.

Die deutsche Metropole und ihre afrikanische Diaspora in Geschichte und Gegenwart.

 

Die Literatur über die afrodeutsche Minderheit, die heute ca. 400 - 800.000 Menschen zählt, ist relativ überschaubar. Umso erfreulicher ist daher das Erscheinen des Bandes „Black Berlin“. In vier Sektionen versammelt der Band rund 30 Beiträge, die die Geschichte Schwarzer Menschen in der „Kolonialmetropole“ Berlin beleuchten. Der zeitliche Rahmen reicht dabei von den ersten Spuren sogenannter „Hofmohren“ am preußischen Hof vor rund 300 Jahren bis zur heutigen afrodeutschen Community.

Die ersten beiden Sektionen behandeln in historischen Überblicksbeiträgen verschiedene Phasen afrikanischer Migration nach Berlin und präsentieren einige Biographien bis etwa 1945. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts kamen die meisten in Berlin lebenden Schwarzen aus den deutschen Kolonien. Joachim Zeller geht für die Zeit zwischen 1884 und 1945 von ca. 500 KolonialmigrantInnen aus, die für längere Zeit in der deutschen Hauptstadt lebten. Einige verbrachten einen großen Teil ihres Lebens in Deutschland, heirateten (teils weiße deutsche Frauen) und gründeten Familien. Da ihnen die meisten Berufszweige durch die scheinbar unüberwindliche Barriere versperrt blieben, zu der die Hautfarbe gemacht wurde, waren viele auf eine Arbeit in der Unterhaltungsindustrie oder der Gastronomie angewiesen, wo sie als ‚Exoten‘ „ihre dunkle Haut für Werbezwecke zu Markte tragen mussten“ (46).

Im Buch finden sich neben Artikeln zu bekannten und zeitweise in Berlin weilenden Persönlichkeiten wie W.E.B. DuBois sowie bereits verschiedentlich behandelten Biographien wie jener des Lektors und Schauspielers Bayume Mohamed Husen auch quellengestützte Texte über Personen, über die bislang kaum etwas bekannt war. Manche dieser Lebensgeschichten lassen sich nur bruchstückhaft aus den Quellen rekonstruieren, überliefert sind lediglich vereinzelte Spuren in amtlichen Quellen, hinter denen die Menschen und ihre Geschichten weitgehend stumm bleiben. Teilweise überraschen die im Buch präsentierten Biographien aber auch durch oft nur schwer auffindbare, aber durchaus vorhandene Selbstzeugnisse schwarzer Menschen. Sie fanden sich mit ihrer zumeist prekären Situation und der diskriminierenden Behandlung seitens der weißen deutschen Behörden keinesfalls ab, sondern kämpften um Anerkennung. Einige engagierten sich politisch, erhoben zudem ihre Stimme gegen den deutschen Kolonialismus und Kolonialrassismus, traten mit Interviews, als Redner und Autoren von Zeitungsartikeln selbstbewusst an die deutsche Öffentlichkeit. Ein Beispiel hierfür ist der von Stefan Gerbing ein seinem Beitrag behandelte Afrikaner Mdachi bin Scharifu. Er nahm nach 1919 an öffentlichen Debatten um die Kolonialfrage teil, u.a. an der Seite des Pazifisten und Schriftstellers Hans Paasche, wetterte gegen Gewalt in den Kolonien, den Tropenkoller deutscher Beamter und auch das was er als „Heimattropenkoller“ gegenüber schwarzen Menschen in Deutschland bezeichnete.

Die Situation der meisten Menschen afrikanischer Herkunft in Berlin gestaltete sich äußerst prekär, insbesondere nach 1933. Zwar wurden seitens der NS-Administration nie eigens auf diese Gruppe zugeschnittene Gesetze erlassen; hierfür war sie zahlenmäßig vermutlich zu marginal. Dennoch nahmen Diskriminierung und Ausgrenzung massiv zu. Gleichwohl waren Menschen aus den deutschen Kolonien teilweise vor extremer Verfolgung und Ausweisung geschützt. Grund waren die kolonialrevisionistischen Bestrebungen des NS-Regimes. Das Kalkül war einfach: Die Menschen aus den ehemaligen deutschen Kolonien sollten unbehelligt bleiben, um mit Blick auf die anvisierte Wiedererwerbung der Kolonien keine unnötigen Widerstände unter den AfrikanerInnen zu erzeugen. Die schlechte Behandlung und Ausweisung dieser Menschen hätte, so die deutschen Befürchtungen, die Anerkennung deutscher Kolonialherrschaft in den entsprechenden Ländern unterminiert. Schwarze Menschen aus den französischen und englischen Kolonien waren hiervon freilich ausgenommen und wurden nach 1933 größtenteils aus Deutschland ausgewiesen. Mit dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion änderte sich die Lage dramatisch. Die von Teilen der NS-Administration gehegten kolonialen Ambitionen wurden nunmehr gänzlich hintangestellt, der Fokus lag allein auf dem Krieg im Osten. Damit begannen auch die Deportationen vieler Schwarzer wie beispielsweise des erwähnten Mohamed Husen in die Konzentrationslager.

Zur Geschichte schwarzer MigrantInnen in Deutschland und Berlin vor 1945 liegen bereits einige Beiträge vor, deren Autoren teilweise auch in diesem Band zu finden sind.1 Deutlich weniger Literatur gibt es zur deren Geschichte für die Zeit seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Hierauf liegt daher der Schwerpunkt des Bandes, der somit einige Lücken zu schließen versucht und hoffentlich zu weiterer Beschäftigung mit schwarzer Diaspora in Deutschland anregt. Waren es bis zum Zweiten Weltkrieg überwiegend Menschen aus den deutschen Kolonien, die nach Berlin kamen, stammten jene nach 1945 nach Berlin kommenden People of Colour auch aus den übrigen afrikanischen Ländern, den Vereinigten Staaten, der Karibik und Brasilien.

Der längste und zugleich problematischste Artikel des Sammelbandes beschäftigt sich mit der Geschichte mosambikanischer VertragsarbeiterInnen in der DDR. Ulrich an der Heyden widerspricht dabei einer in der Literatur verbreiteten Darstellung der Situation dieser Gruppe. Teilweise werde in der Literatur von regelrechter „Zwangsarbeit“ gesprochen, soziale Kontakte zwischen den VertragsarbeiterInnen und weißen DDR-BürgerInnen habe es demnach aufgrund der auf räumliche Trennung ausgerichteten Unterbringung und einer „verordneten Ausgrenzung“ (142) kaum gegeben. Die MosambikanerInnen seien Opfer eines in der DDR weit verbreiteten und tief verankerten Rassismus und diskriminierender Maßnahmen seitens der Verwaltungen gewesen. Demgegenüber betont van der Heyden die ambivalenten Erfahrungen vieler Betroffener, von denen manche entgegen der These von der weitgehenden Isolation von den Deutschen freundschaftliche Beziehungen zu weißen ArbeitskollegInnen oder Nachbarn unterhielten. Die laut van der Heyden überwiegend positiven Erfahrungen vieler VertragsarbeiterInnen in der DDR kontrastieren in der Erinnerung der Betroffenen mit den Ereignissen nach der „Wende“. Van der Heyden stellt daher die sicherlich auf einigen Widerspruch stoßende These auf, dass es in der DDR – anders als im westdeutschen Staat – keinen „durchgängig existierenden latenten Rassismus“ gegeben habe (S. 136f.). Gewaltsame Übergriffe ließen sich in größerer Zahl erst kurz vor dem Ende der DDR feststellen und waren die Grundlage für die 1990 einsetzenden Pogrome in ostdeutschen Städten.

Heydens Darstellung der weitgehenden Gleichbehandlung von DDR-BürgerInnen und VertragsarbeiterInnen erscheint freilich zu positiv. Nur beiläufig erwähnt der Autor selbst beispielsweise, dass weibliche Vertragsarbeiterinnen aus Afrika im Falle einer Schwangerschaft ausgewiesen oder gar zur Abtreibung genötigt wurden (S. 141). Selbst wenn diese Regelung – wie der Autor leider ohne Beleg behauptet – gegen Ende der DDR nicht mehr konsequent durchgesetzt wurde, erscheint sie nichtsdestotrotz als deutlicher Beleg für eine relativ prekäre Situation der nach Ostdeutschland angeworbenen ArbeiterInnen, denen auch bei dauerhafter Nichterfüllung der Arbeitsnormen, Verstößen gegen die „sozialistische Arbeitsdisziplin“ oder Gesetzesverstößen die Abschiebung drohte (siehe zur Mischung aus solidarischer DDR-Hilfe, aber auch Funktionalisierung, Absonderung und Rassismus im Falle namibischer Kinder: Lucia Engombe, Kind Nr. 95. Meine deutsch-afrikanische Odyssee (2004). Zur Rezension). Van der Heydens Ansicht über den vermeintlich nicht vorhandenen Rassismus in der DDR erscheint angesichts dessen als fragwürdig.

Kampf um Anerkennung und Gleichberechtigung

Weitere Texte befassen sich mit der Geschichte afrodeutscher Initiativen, Vereine und Institutionen, einer Geschichte, die erst relativ spät, in den 1970ern, beginnt. Zu den wichtigsten Selbstorganisationen zählt die 1987 gegründete Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD-Bund), die Jeannine Kantara behandelt. Die Autorin beschreibt darin aus der Sicht einer Beteiligten die kaum zu überschätzende Bedeutung, die eine sich langsam entwickelnde schwarze Community für die Entstehung eines eigenen Selbstbewusstseins gehabt habe: Sie konstituierte sich gegenüber den Zuschreibungen der weißen Mehrheitsgesellschaft und stellte diskriminierenden Ausdrücken in der deutschen Sprache erstmals positive Selbstbeschreibungen entgegen. Wenngleich die weiteren Beiträge zu afrodeutschen Institutionen und Initiativen in Berlin nicht so ausführlich und differenziert ausfallen wie jener von Kantara, gewinnt man bei deren Lektüre dennoch einen Eindruck von der Präsenz und der Vielfalt afrodeutschen kulturellen und politischen Engagements in der Hauptstadt.

Wie schon in den historischen Biographien spiegeln auch die Texte in diesem Teil des Buches den Kampf um Anerkennung und Gleichberechtigung schwarzer Menschen in Deutschland seit den 1960er/70er Jahren wider. Eine wichtige Rolle spielen in jüngster Zeit die vergangenheitspolitischen Auseinandersetzungen um die gerade in Berlin zahlreich vorhandenen kolonial geprägten Straßennamen. An den Diskussionen auf diesem erinnerungspolitischen Feld sind auch einige der AutorInnen des Buches aktiv beteiligt. 2 Ein Beitrag zur Situation von schwarzen RentnerInnen und Pflegebedürftigen rückt die spezifischen Probleme älterer Menschen mit afrikanischem Background den Blick. Die prekäre Situation vieler junger Flüchtlinge und Afrodeutschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus sind hingegen kaum Thema. Auch im letzten Buchteil, der einige Interviews und Biographien heute in Berlin lebender Afrodeutscher enthält, fehlen solche Geschichten. Gleichwohl werden hier interessante Lebensgeschichten erzählt, die eng mit jüngeren Episoden der deutschen Geschichte verflochten sind, beispielsweise mit der politischen Unterstützung der DDR für antikoloniale und sozialistische Gruppen in Afrika und der erwähnten Anwerbung von v.a. Mosambikanischen VertragsarbeiterInnen durch den sozialistischen deutschen Staat.

Das Buch wartet mit ganz unterschiedlichen Texten auf, deren Qualität wie bei jedem Sammelband schwankt. Neben historischen Beiträgen in den Sektionen I bis III dominieren Biographien einzelner Personen. In den letzten beiden Abschnitten finden sich zudem Interviews und eine Filmanalyse sowie die kurzen Texte zu verschiedenen Vereinen und Initiativen. Gerade mit Blick auf die letzteren wird das Bemühen deutlich, die Vielfalt afrodeutscher Organisationen, die der großen Mehrheit der BerlinerInnen weitgehend unbekannt sein dürften, sichtbar zu machen.

Insgesamt gibt der empfehlenswerte Band einen guten Überblick über die Geschichte einer weitgehend vernachlässigten Minderheit in Berlin und einen Eindruck von der Vielfalt afrodeutschen Lebens in Deutschland. Er macht die Geschichte dieser heterogenen Minderheit als Teil der deutschen Gesellschaft und Geschichte sichtbar.

Korbinian Böck

Oumar Diallo / Joachim Zeller (Hg.): Black Berlin. Die deutsche Metropole und ihre afrikanische Diaspora in Geschichte und Gegenwart. Metropol Verlag, Berlin 2013. 280 Seiten, 22,- €.

  • FN1 Siehe u.a. Christine Alonzo / Peter Martin (Hg.): Zwischen Charleston und Stechschritt. Schwarze im Nationalsozialismus, 790 Seiten, Hamburg 2004; Ulrich van der Heyden (Hg.): Unbekannte Biographien. Afrikaner im deutschsprachigen Raum vom 18. JH bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, 288 Seiten, 2009. zurück
  • FN2 Zur Frage kolonialer Straßennamen siehe Berlin postkolonial und Alexander Honold: Afrika in Berlin – ein Stadtviertel als kolonialer Gedächtnisraum Mehr | zurück

 

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