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Fakten und Fragmente zur Freiburger Filmproduktionsgeschichte 1901-1918

von Wolfgang Dittrich (Originalbeitrag aus 1998, zuletzt aktualisiert 11.12.2013)

Eckhard Michels:

Geschichtspolitik im Fernsehen. Die WDR-Dokumentation Heia Safari″ von 1966/67 über Deutschlands Kolonialvergangenheit (VfZ, Nr. 3 / 2008) Mehr (pdf, extern)

Wolfgang Fuhrmann:

Der bewegte koloniale Blick - »Ansichten« über frühe deutsche Filme aus den Kolonien Mehr

Peter Bräunlein:

Ein weißer Mann in Afrika - Rassismus und Geschlechter-verhältnisse in Tarzanfilmen Mehr

Zur Kritik an der Sat1-Reality-Show "Wie die Wilden" (2006)

Marga Burkhardt:

Freiburger Kinolandschaft bis 1919 - Camera obscura und Kaiser-Panorama Mehr

Inhalt:

Zwischen 1906 und 1908 brach "der Kino" über Bürger und Bürgerinnen wohl herein wie Blitz und Donner. Zeitgleich gab es Gründungen von Kinos aller Größen und Ausstattungen in den meisten Städten des deutschen Reiches mit über zehn- oder zwanzigtausend Einwohnern. Die überall gleichermaßen Neugierigen sahen Bilder, die Ihnen bisher zumeist vorenthalten geblieben waren. Weit weg im doppelten Sinne: die fernen Länder und Kulturen wegen der großen räumlichen Entfernung, die reichen und erhabenen Fürsten und sonstigen Berühmtheiten wegen der gesellschaftlichen Distanz zwischen Untertanen und Herrschenden. Nun rückte alles sichtbar zusammen: auf der Leinwand und im Publikum.

Wie kamen solche fernen Bilder auf die Leinwand? Wie konnte die einmal geweckte Schaulust über Jahre hinweg befriedigt werden? Wer produzierte welche Sujets? Wer besuchte ferne Länder, hohe Häupter? Wer stellte Kameras in den Urwald, zwischen Schlachtlinien und an Hafenquais? Wer dachte sich Themen, Titel und Geschichten aus wie KINDERWAGEN-BLUMEN-CORSO (1910) oder FRAU HAUPTMANN UND DIE ORDONANZ (1906) produziert von Welt-Kinematograph bzw. Raleigh & Robert?

Von heute aus betrachtet möchte ich behaupten, es ging alles jedenfalls sehr schnell. Die Entwicklung eines völlig neuen Mediums - die Vorstufen außer acht gelassen - vollzog sich nicht etwa nur fließend, nein, eher reißend. Es entstand innerhalb kürzester Zeit ein Sog, der die meisten Länder der westlichen Hemisphäre - Rußland und Südamerika wegen der umfangreichen kulturellen Kontakte eingeschlossen - erfaßte. Produziert und gezeigt - gegen Geld - wurde von den immer irgendwo gleichermaßen heimischen wie reisenden Produzenten dem staunenden Publikum das fremde Andere, das Außergewöhnliche. Pariser Produzenten verkauften mit Erfolg nach Deutschland die Serie "Um die Welt im Automobil", wie etwa die Folge DIE ANKUNFT UND ABFAHRT IN NEUYORK (1908), 100 m, Produktion Raleigh & Robert. Freiburger Produzenten produzierten Bilder aus der Freiburger Umgebung und dem geographischen Umland - insbesondere der Schweiz und dem Elsaß - und verkauften sie mit Erfolg Kinobesitzern in Europa und dem Rest der Welt.

Raleigh & Robert (R. & R.)

Die international tätige Filmproduktionsfirma Raleigh & Robert (R. & R.) wurde 1901 in Paris gegründet. Neben eigenen Produktionen vertrieb sie als Repräsentant von The Continental Warwick Trading Co Ltd (CWT) bis 1911 überwiegend Reisebilder, Aktualitäten und sonstige belehrende Filme. Dramen und komische Szenen waren eher selten. Daß R. & R. zu den Freiburger Produktionsfirmen zu zählen ist, liegt an der engen personellen Verwobenheit einer ihrer Geschäftsführer mit dieser Stadt und Region.

Die Direktoren und Geschäftsführer von R. & R. waren der englische Kameramann Charles Raleigh und der deutsche Kaufmann Robert Schwobthaler. Raleigh hatte schon vor 1900 bei zahlreichen Reisen in alle Welt - vor allem in Afrika und Südamerika - vermutlich für CWT Reisebilder und Aktualitätenfilme gedreht. Sein Partner Schwobthaler war Branchenneuling, hieß mit vollem Namen Robert Isidor Schwobthaler (1876-1934) und war als Sohn katholischer Eltern in Endingen am Kaiserstuhl geboren. Nach einer kaufmännischen Lehre in Freiburg hatte es ihn schon in jungen Jahren ins Ausland gezogen: mit siebzehn zwei Jahre nach London als Speditionskaufmann, 1895-1897 zwei Jahre als Weinhandelskaufmann nach Sizilien, Florenz und Bruchsal/Baden. 1898 kam er nach Paris, um dort als Vertreter eines Stahlunternehmens zu arbeiten. Just im Januar 1898 hatte dort gerade Zola sein Pamphlet "J'accuse" veröffentlicht und auf diese Weise die Dreyfus-Affäre auf ihren Höhepunkt gebracht: der durch das Pamphlet wieder aufgenommene Prozeß um den der Spionage verdächtigten jüdischen Offizier elsässischer Herkunft mit deutsch klingendem Namen beherrschte die Tagespresse und die öffentliche Meinung. Antisemitische Ressentiments fürchtend, verbarg Robert Isidor Schwobthaler alles Jüdische und Fremdländische in seinem Namen und ließ sich von seinen Mitarbeitern und Geschäftspartnern einfach M.(Monsieur) Robert nennen.

Robert I. Schwobthaler wird in seiner Heimat nachgesagt, schon im Jahr 1898 oder 1901 eines der ersten Kinos in Paris eröffnet zu haben. Diese Annahme scheint zumindest für ein ortsfestes Kino als ausgeschlossen. 1902 gab es in Paris davon gerade fünf, das legendäre Kino des Cinématographe Lumière im Salon Indien des Grand Café hatte gerade 1901 mangels Nachfrage seine Pforten geschlossen. Die Zahl der Neugründungen dieser ersten Jahre des 20. Jahrhunderts blieb bis 1907 recht überschaubar. Ein Schwobthaler oder Robert taucht erst 1910, als es bereits 95 Kinos in Paris gab - zusammen mit seinem Partner Raleigh - als Kinobetreiber auf.

R. & R. hatten bis dahin zwischen den großen Filmproduktionsgesellschaften dieser Zeit des frühen Kinos - Cinematograph Lumière, Pathé Frères, Gaumont, Edison und American Mutoscope and Biograph Company, kurz American Biograph genannt - als kleinere Firma sich durchaus mit ihren speziellen Spartenprogrammen auf dem französischen und britischen Markt halten können. Produziert und vertrieben wurden Reisbilder, Ansichten und Aktualitäten, Dramen nur ganz selten. Neben anderen kleineren Gesellschaften - wie Lux, Itala Film, Théophile Pathé oder Vitagraph - waren sie dabei sicherlich auf vielfältige Kontakte und Geschäftsverbindungen zu anderen und auch größeren Produktionsgesellschaften angewiesen. Ein Firmenfoto von 1906 zeigt neben den beiden Direktoren eine zwölfköpfige Belegschaft. Es ist aber anzunehmen, daß nicht sämtliche Filme der Firma R. & R. aus eigener Produktion stammten. So wirbt die Firma 1905 in Frankreich mit "garantiert authentischen" Filmen vom russisch-japanischen Krieg 1904/05, aufgenommen von "speziellen Operateuren". Eine eigene Berichterstattung wäre sicherlich stärker herausgestellt worden. Belegt ist dagegen eine Afrikaexpediton - vermutlich 1906 - die von Charles Raleigh organisiert und geleitet worden ist. Sie erbrachte umfangreiches Bildmaterial, daß in den Folgejahren unter dem Serientitel "Quer durch Afrika" (franz.: "Du Cap au Caire) auf den internationalen Markt (nachweislich in Frankreich, Deutschland und Belgien) gebracht wurde.

Ab 1906 wirbt R. & R. - ohne eine offizielle Repräsentanz in Deutschland anzugeben - in deutschen Branchenblättern. Zum Beispiel 1907 für zwei neue Bilder der genannten Expedition: VOM KAP DER GUTEN HOFFNUNG NACH TRANSVAAL und DIE WILDEN BEIM EISENBAHNFAHREN (beide von 150 m Länge). Mehrere Filme mit Ansichten aus dem nahen Osten, Ägypten, Konstantionopel etc. folgten.

Gleichzeitig im Angebot für das Deutsche Reich: DER UNTERGANG DES SCHIFFES "BERLIN" und, als (Kassen-)Schlager, BETTELBUB'S BELOHNUNG. Zwischen 1906 und 1913 produzierten R. & R. oder vertrieben unter ihrem Namen in Deutschland ca. 450 Filme zwischen 31 und 600 Metern. Dazu gehörten auch Filme aus italienischer Produktion, die sie selbst nicht erstellt hatten; z.B. von Luigi Maggi GLI ULTIMI GIORNI DI POMPEI (1908).

Als Telegrammadresse zur Filmbestellung geben die Annoncen in Kinofachzeitschriften Biograph-Paris an. War die Firma neben der CWT auch mit American Biograph in Verbindung - oder wollten R. & R. mit dieser Namensgebung eine solche suggerieren? - Bislang kann ich nur Letzteres vermuten. Raleigh und Robert nannten ihr eigenes Pariser Kino 1910 American Biograph, allerdings spielten sie dort nicht die Standardprogramme von American Biograph wie sonst in Filialen dieser Kette üblich, sondern eher aus ihrem eigenen Themen-/Produktionsspektrum. Wie eng dabei R. & R. mit den anderen Freiburger Produktionsfirmen und den dortigen Kinos zwischen 1906 und 1913 zusammengearbeitet haben, ist ebenfalls noch weiter zu erforschen. Vielfältige Kontakte hat es sicherlich gegeben. Bernhard Gotthart, ein enger Geschäftspartner von M. Robert, hat 1921 allgemein beschrieben, daß Schwobthaler und er regelmäßig einige "...Jahre vor dem Kriege [1914-1918] Filme hergestellt, getauscht und gegenseitig in alle Welt vertrieben haben." Von dieser Zusammenarbeit zeugen viele Spuren. So ist z.B. bei der Premierenveranstaltung des ersten Freiburger Kinos, des Welt-Kinematographen, im Dezember 1906 die R. & R. - Produktion DIE ZERSTÖRUNG VON VALPARAISO die einzige "authentische" Aufnahme des Abends und der einzige Film im Programm, der nicht von Pathé Frères, Paris, stammt. Auch als das längere Zeit größte Kino der Stadt, der Zentral-Kinematograph, 1908 in Freiburg eröffnet wird, lief die erfolgreiche und später einige Nachahmer findende Raleigh & Robert-Produktion SCHWEFEL-INDUSTRIE IN SIZILIEN (1908) an dritter Stelle im Eröffnungsprogramm.

Darüber hinaus waren Charles Raleigh und sein Kompagnon bei der Aufnahme vieler Sujets - sofern diese nicht außerhalb Europas angesiedelt sind - im sogenannten Dreiländereck tätig: in der Schweiz, wo sie EIDGENÖSSISCHES SCHWING- UND ALPLERFEST IN NEUCHATEL aufnehmen, im Elsaß, um SEINE MAJESTÄT DER DEUTSCHE KAISER IN ELSASS-LOTHRINGEN zu porträtieren und im Breisgau, für den Dokumentarfilm SONNENBAEDER IN FREIBURG, BREISGAU (alle 1908).

Die Aktivitäten von R. & R. in Deutschland umfassen 1907 auch Dreharbeiten im Bereich inszenierte Dokumentation: In Baden-Baden nahmen sie Szenen auf, die die dortigen Passanten in Verwirrung stürzten: Szenen und Gestalten aus dem allgemein wohlbekannten Gerichtsprozeß um den Mörder Hau, werden so nachgestellt, daß Stunden später die Zeugen der Dreharbeiten glauben, Hau "wirklich" gesehen zu haben. Bei den späteren Vorführungen des Zweiteilers DAS DRAMA H. IN BADEN-BADEN (je 138 m) mit den Szenen "Durch Intrige ins Gefängnis", "Mord an Schwiegermutter" und "Verurteilung" in den deutschen Kinos mag der sonst dokumentarische Charakter der R. & R.-Filme wohl dazu beigetragen haben, daß auch viele Zuschauer des Dramas geglaubt haben, Hau "wirklich" gesehen zu haben. Die Sparte Gerichtsreportage scheint erfolgreich zu vermarkten gewesen zu sein, denn R. & R. produzieren ein Jahr später ein weiteres Doku-Drama nach einem anderen zeitgenössischen Prozeß: DIE AFFÄRE STEINHEIL - mit dem Inhalt "Frau Steinheil beschuldigt Falsche; Reporter klärt auf".

1908 befindet sich die Film- und Kinobranche zumindest in Europa in ihrer ersten Rezession: der Sinn, der Zweck und vor allem die Moral der Filme wird hauptsächlich vom Bürgertum hinterfragt, die Zensurdebatte entbrennt zum ersten Mal recht heftig. Schmutz und Schund sind an den Pranger gestellt. R. & R. bleiben wegen ihrer dokumentarisch ausgerichteten Produktpalette davon kaum berührt. Im Gegenteil: 1909 gelang es ihnen, ihre Sparten für Deutschland um den "Kunstfilm" zu erweitern: DIE BÜRGSCHAFT, das berühmte Gedicht Friedrich Schillers, wurde anläßlich seines 150. Geburtstages auf 261 m Länge illustriert und - zumindest in Bielefeld - durch vorgetragene Rezitationen live vertont. Es muß ein erhebender Abend gewesen sein. - Daß sie zu anderen Zeiten auch anders können, zeigten R. & R. drei Jahre später. WENN BERTRAM SCHILLER DEKLAMIERT (1911) ist eine Parodie auf "Das Lied von der Glocke", das die bekanntesten Zitate als Lustspiel gestaltet.

Auch anderen Produktionen bleibt das Prädikat "Kunstfilm" verwehrt: der Film DAMENSPORT aus dem gleichen Jahr, der als Sujet Boxkämpfe zwischen Frauen enthält, wird von der deutschen Zensur als für „vor Kindern verboten“ eingestuft. Weltläufigkeit findet sich dagegen wieder im gleichen Jahr in den Aktualitäten-Filmen GRUSINISCHE GASTFREUNDSCHAFT und seiner Fortsetzung, KAUKASISCHES REITERFEST, beide gedreht anläßlich der Kaukasus-Fahrt des Prinzen von Oldenburg, 1911.

In den Jahren 1912 und 1913 produzierten R. & R. wesentlich weniger Filme als zuvor. Hauptstandbein der Firma blieb zwar die Produktion, aber neben dem internationalen Vertrieb und Verleih, vor allem für Frankreich und Deutschland, kam eine weitere, erfolgreiche Sparte des Filmwesens hinzu: das Abspiel. Im April 1910 eröffneten R. & R. im neunten Pariser Arrondissement das Kino American Biograph (sic!), Rue Taibout 7. In diesem kleineren Kino waren eben die Filme im Programm, für die auch der Name der Produzenten im Filmgeschäft steht: Dokumentarfilme, Aktualitäten, die Berichte aus den europäischen Fürstenhäusern, Naturaufnahmen und nur in geringem Anteil am Gesamtprogramm auch komische Szenen. Ein echtes Spiegelbild ihrer Aktivitäten.

Ab Juli 1911 setzten R. & R. ganz auf die Vermarktung einer wesentlichen Neuerung im Film- und Kinobereich, die alle Branchenriesen mit mehr als nur Argwohn betrachteten: den Farbfilm. Vermutlich durch ihre Bekanntschaft mit dem Ex-CWT-Direktor Charles Urban wurden sie Hauptrepräsentant für die Filme seiner neugegründeten Natural Color Kinématograph Company Limited. Das völlig neue Farbverfahren, erfunden vom Briten Albert Smith und 1908 in Paris von ihm zum ersten Mal einem Fachpublikum vorgestellt, arbeitete mit Farbfiltern und einer für damalige Verhältnisse doppelten Geschwindigkeit: 32 Bildern pro Sekunde. Es wird als Urban-Smith-Verfahren bezeichnet, da Urban nach seinem Weggang von CWT die Exklusivlizenz Smith 1908 abkaufte. Da das Kinémacolor genannte Verfahren den anderen ersten Versuchen, authentische Farbe ins Kino zu bringen, mindestens ebenbürtig war, kommt es vor allem in der führenden Kinonation Frankreich zu einem Dauerstreit mit dem Branchenriesen Pathé um Patent-, Lizenz- und vor allem Namensrechte. Vielleicht deshalb findet die "Welt-Neuheit" zuerst Zugang zu mehreren exklusiven Sondervorstellungen im Freiburger Prachtbau "Colosseum", in dem - vermutlich durch Schwobthaler als Geschäftsmann mit konstanten Beziehungen nach Freiburg, vielleicht aber auch durch R. & R. als Lizenznehmer für Deutschland - DIE WELT IN DEN FARBEN DER NATUR bereits im September 1910 präsentiert wird. Die erste öffentliche Pariser Premiere findet dagegen erst im Juli 1911 statt. Das Verfahren wird dort vom Publikum begeistert angenommen und bringt R. & R. beachtlichen kommerziellen Erfolg. Eigens für die neuen Farbfilme eröffneten sie im Dezember 1911 ein weiteres Kino im 9. Bezirk und nannten es American Biograph-Kinémacolor (19, Rue Le Peletier). Die dort von ihnen gezeigten Farbfilme hinterließen beim Publikum nachhaltige Eindrücke. Insbesondere die Ansichten des prachtvoll angelegten Delhi Durbar von 1911 - L'APOTHÉOSE DE L'EMPIRE DES INDES - hatten derartigen Erfolg, daß die Bilder von der prächtigen Parade indischer und britischer Herrscher und ihrer Hofstaaten über vierzehn Monate im R. & R.-Kino zu sehen blieben. R. & R. hatten nun auch Geld genug, beachtliche Aufwendungen für - natürlich farbige - Programmhefte zu machen und Sandwich-Männer als "laufende" Werbetafeln zu beschäftigen. Dabei gab es Grenzen polizeilicher Art: ein als "Schotte" verkleideter Werbeträger wird von den französischen Polizeibehörden beanstandet, da das Tragen von fremden Kostümen und Verkleidungen in Paris verboten war.

Da der Saal des American-Biograph in der Rue Taitbout zu klein geworden war, gaben sie dieses Kino Juli 1911 auf und mieteten speziell für die Kinémacolor-Vorführungen das 500 Plätze-Kino Salle Berlioz in der Rue de Clichy. Die Auswertung der Filme boomt, nicht nur in Paris, sondern auch in der französischen Provinz. Das Ende des prosperierenden Unternehmens kommt jäh: Ein von R. & R. gegen Pathé und andere Firmen angestrengter Rechtsstreit, der Schadensersatz einbringen und die Exklusivität des Urban-Smith-Verfahrens als das Farbverfahren schlechthin sichern sollte, wendet sich gegen die Betreiber. Da Pathécolor und Cinémacolor des Pariser Filmunternehmers Gabriel Kaiser bereits auch und mit ähnlichen Markennamen auf dem Markt waren, werden R. & R. ihrerseits zu solch hohem Schadensersatz verurteilt, daß die Firma mit Gerichtsbeschluß vom 20. Januar 1913 von heute auf morgen in die Liquidation geht. R. & R. verschwinden mit einem Schlag gänzlich aus der Riege französischer Produzenten, die Kinos wechseln die Besitzer und die Programme; die Vermarktung des Kinémacolor-Verfahrens fällt an Charles Urban zurück, der nun selbst die Filme in dem von ihm gemieteten, sehr luxuriösen Pariser Théatre Edouard VII vermarktet.

Der Ruin von R. & R. wirkte sich auch auf die Verbindung der beiden Geschäftspartner aus: Von Charles Raleigh verliert sich - nach dem jetzigen Stand - jede Spur. M. Robert erhält einen Ruf, genauer gesagt ein Telegramm aus Griechenland, das ihn für längere Zeit in ein neues Projekt einbindet, das der wohl größte eigenständige Erfolg des Endingers werden sollte: Auf Einladung der griechischen Regierung erhielt der als offizielles Mitglied des königlichen Hofstaats Konstantin I. nun zum Robert Schwobthaler wieder Umbenannte den Auftrag, einen Film über die Kriegshandlungen im sogenannten zweiten Balkankrieg zu drehen. Die Dreharbeiten zum im französischsprachigen Raum unter dem Verleihtitel SOUS LA MITRAILLE im deutschsprachigen unter MIT DER KAMERA IN DER SCHLACHTFRONT (beide 1913) bekannt gewordenen Kriegsdokuments von ca.1000 m Länge erfolgten unter erschwerten Bedingungen, da Schwobthaler tatsächlich mit der kämpfenden Truppe reiste und drehte. Zwar nicht in vorderster Front, aber in der Etappe und den Frontverschiebungen zu Pferd oder zu Fuß täglich folgend, waren er bzw. sein Team immerhin in realer Reichweite feindlicher Geschütze. Mit ihm im Team ein Kameramann der Freiburger Firma Expreßfilms, der junge Kirchzartener Operateur Albert Herr.

Robert Schwobthalers Erlebnisse wurden in einer ausführlichen Artikelserie unter dem Titel "Mit der Kino-Kamera in der Schlachtfront" im Fachblatt KINEMA veröffentlicht. Das eigentlich Besondere, die teilweise wirklich unter Gefahr und wahrhaftig gefilmten Erlebnisse werden dabei herausgestellt. Als Autor der Artikel wird Robert Schwobthaler genannt. "M. Robert" hat aufgehört zu existieren. Gleichwohl startete der Film in Frankreich und in Deutschland. In Paris am 30. Oktober 1913, nun vertrieben von dem Pariser Filmunternehmer Louis Aubert. Der Film war - auch wegen seiner auf hohem technischem Niveau stehenden Aufnahmen (es ist zu vermuten, dass bei den Aufnahmen ein neu entwickeltes Teleobjektiv mit langen Brennweiten verwandt wurde) - und wegen seines für die damalige Zeit außergewöhnlichen Realismus eine Sensation. Er bot zudem abendfüllende Länge und lief als Exklusivprogramm einen ganzen Monat im 350 Plätze-Boulevard-Kino Cinéma Palace im 10. Pariser Arrondissement.

Der Stellenwert dieses Films für die Filmgeschichte ist auch hinsichtlich seiner dokumentarischen Qualität, zumindest seines dokumentarischen Anspruchs wegen einzigartig. Als einer der ersten (Kriegs-)Filme sollte er etwas belegen, beweisen, nämlich die Greuel des Krieges, verursacht durch den Aggressor Bulgarien, der Griechenland und damit den Auftraggeber des Films, die griechische Regierung, in einen überaus grausamen und unnützen Krieg getrieben hat. Unvorstellbar in einem Jahrhundert der Zivilisation und des Fortschritts, mitten in Europa. - Wer waren die Verantwortlichen für dieses Grauen? Robert Schwobthaler und seinem Operateur Albert Herr scheint die Umsetzung dieser Aufgabenstellung gelungen. Wie kaum ein anderer Kriegsfilm dieser Zeit wurde er mit einem pazifistischen Impetus vermarktet. Der Film spielte nicht zuletzt wegen dieser Ausrichtung weltweit große Summen ein, die Spielorte und -wochen sind zahlreich und illuster.

Es ist noch nicht erforscht, ob Robert Isidor Schwobthaler durch diesen Film auch finanziell wieder auf die Füße gekommen ist. Sicherlich war für ihn dieser Film persönlich ein großer Erfolg, sowohl als "Regisseur" und Kameramann des Films und Organisatoren der Reise, aber auch als Manager zwischen der Regierung und dem Militär. SOUS LA MITRAILLE ist nach November 1913 die letzte Spur des M. Robert in Frankreich.

Welt-Kinematograph Freiburg GmbH

Freiburger Kinogeschichte und Freiburger Filmproduktionsgeschichte waren ab 1906 eng miteinander verwoben. Nicht nur wegen der bekannten Einheit von damaligem Aufnahme- und Abspielgerät. Auch wegen der Einheit des Interesses der Betreiber beider Branchen, fast hätte ich gesagt, dieser Branche: man wollte Geld verdienen. In Freiburg jedenfalls waren die ersten Betreiber von Kino- und Filmproduktionsbetrieben - wie heute meist auch noch - Geschäftsleute. Sie handelten vor ihrem Einstieg in die Filmbranche mit Wein, Stahl und Textilien. Mit dem Kino kam erhebliche Bewegung in die Branchen.

Am 13.02.1906 erfolgte im Freiburger Handelsregister die Eintragung des ersten Freiburger kinematographischen Betriebs überhaupt. Sein Name ist Programm: Kosmograph. Man muß sich das auf der Zunge zergehen lassen, einen Namen, dessen Dimension auch heute noch nicht annähernd ausgeschöpft wird. Aber die Vision, alles uns Greif- und Erfahrbare zeigen oder abbilden zu können, war wohl damals wie heute auch jenseits aller Übertreibungen sprachlicher Art schon vorhanden. Das Ziel des "Unternehmens ist, in Städten des In- und Auslandes kinematographische Institute in Verbindung mit Straßenreklamen zu gründen". Die Geschäftsführer von Kosmograph waren vier Freiburger Kaufleute: Bernhard Gotthart (1871 – 1950), Franz Julius Wenk (???? - 1915), Franz Steiger und Oskar Köhler. Über den weiteren Geschäftsverlauf der Firma ist nicht viel bekannt, es gab sie unter diesem Namen auch zu kurz dazu. Es muß wohl turbulent zugegangen sein, denn bereits gut einen Monat später scheidet Oskar Köhler aus der Geschäftsführung aus. Auch der Name wird geändert, der zweite Anlauf, ins Geschäft zu kommen, beginnt. Der neue Name klingt eine Nummer kleiner, zwar immer noch visionär, aber schon realistischer: Welt-Kinematograph. Am 30.01.1906 erfolgte die Umwandlung dieser GmbH mit Hauptniederlassung in Freiburg. Die drei "alten" Geschäftsführer bzw. Gesellschafter leiteten die Firma weiter.

Neben reisenden Instituten bauten die Freiburger Kaufleute rasch eine Kinokette mit der Markenbezeichnung Welt-Kinematograph auf. Obwohl das Konzept Kinokette für 1906 ziemlich einmalig gewesen sein dürfte, setzten die Kaufleute nach gut zwei Jahren auf eine Erweiterung ihrer Zielsetzung. Am 4./6. Februar 1908 wurde der Handelsregistereintrag für unseren Zusammenhang entscheidend ergänzt: "Der Zweck der Gesellschaft ist jetzt die Errichtung und der Betrieb von kinematographischen Instituten aller Art (reisenden und feststehenden) in Städten des In- und Auslandes, ferner auch der Betrieb von kinematographischer Straßenreklame, die Erweiterung des Geschäftskreises durch Fabrikation von Films, Transparentplatte und Apparaten für fixe und kinematographische Projektionen, ferner durch Handel mit den erwähnten Artikeln und Vertretung anderer Fabrikate." Die erste "echte" Freiburger Filmproduktion nimmt - vermutlich mit Unterstützung aus dem Ausland (M. Robert?!) ihre Arbeit auf. Im April sucht die Firma Welt-Kinematograph per Anzeige im Branchenfachblatt einen "Photographen". Da viele der Kameramänner des frühen Kinos von der Photographie her kamen, ist anzunehmen, daß die Firma expandiert und als Kameraleute Photographen anlernt.

Während Produzenten wie die französische Firma Pathé Frères und die nordamerikanische American Mutoscope and Biograph Co., die Marktführer in den späten Jahren des 19. und frühen Jahren des 20. Jahrhunderts, Sujets aller Sparten in die Kinos brachten, setzten die Kaufleute aus Freiburg bereits in den Gründungsjahren speziell auf die Produktion von solchen Filmen, die das einlösten, was der Fimenname versprach: Filme von Welt, aus der ganzen Welt, über die ganze Welt: eindrucksvolle Naturaufnahmen, danach die Welt, wie sie war, aktuell, interessant, eindrucksvolle Abbilder derselben. Sie befanden sich damit in guter Gesellschaft und am Puls der Zeit: "Ab 1907/08 zeichnet sich in der Tat ein auf der Basis des freien Wettbewerbs konsistent aufgebautes Repertoire ab. Die Firmen Pathé, Gaumont, Eclipse, Urban, Raleigh & Robert, Ambrosio und die Freiburger Welt-Kinematograph sind mit von der Partie bei diesem vornehmlich europäischen Phänomen einer bedeutenden und ausdauernden Produktion von 'non-fiction Filmen', deren Beständigkeit sich an der Zusammensetzung der Kinoprogramme bis zum Weltkrieg ablesen läßt. (Roland Cosandey, Bilderbogen einer Filmexpedition im Lande des Tourismus, Kintop 4, 1995)."

Zunächst nahmen die Operateure von Welt-Kinematograph regionale Bilder auf. So die FELSENKLETTEREI IM SCHWARZWALD (1908). Der Film wird im Freiburger "Stammhaus", dem Kino Weltkinematograph, gezeigt, aber sicherlich auch in ganz Deutschland vermarktet worden sein. Dann brachen die Produzenten in ihre weitere Umgebung auf: Die Schweiz, Frankreich und Italien, vereinzelt der Balkan bilden den Hinter-/Vordergrund für viele, jedenfalls über 280 Filme, allein zwischen 1908 und 1911. Besonderes Merkmal der Gesamtproduktion: nicht ein Drama, Lustspiel oder dergleichen befindet sich darunter.

Dazu kommen Aufnahmen, die eher lokal von Interesse gewesen sein dürften, wie etwa der Film, den einer der Kaufleute und Gesellschafter, Franz Julius Wenk, 1909 ermöglichte und der als typische Lokalaufnahme mit Auswertungsinteresse vor Ort bezeichnet werden kann: EINE BOOTSFAHRT AUF DER DREISAM VON FREIBURG BIS ZUM RHEIN (1909). Es ist anzunehmen, daß dieser Beitrag zur Freiburger Stadtgeschichte auch zur Imagepflege des Kinematographengewerbes beitragen sollte.

Gut ein Jahr nach der Gründung müssen sich wieder erhebliche Dissonanzen in der Geschäftsführung zugetragen haben. Als nächster Geschäftsführer schied mit Wirkung vom 29. März 1909 aus bisher ungeklärten Gründen Bernhard Gotthart aus. Ein Mann, der 1919 von sich behaupten wird: "In der Fabrikation, dem Verleih und Ankauf von Monopolfilmen sowie der Leitung von Lichtspieltheatern und Reisegeschäften habe ich wohl die längste praktische Erfahrung in Deutschland" (1919). Ein Jahr später gründete er in Freiburg die Expreß-Films Co.

Für den ausgeschiedenen Gotthart fand die Firma Welt-Kinematograph am 2.4.1909 als Nachfolger: Hermann Bösel, Kaufmann in Freiburg, stellvertretender Geschäftsführer; nach gut einer Woche ist er schon wieder aus dem Handelsregister gestrichen: ausgeschieden 10.4.09. Unruhige, schnelllebige Zeiten! Erst im Februar 1910 fand sich mit dem Freiburger Kaufmann Fritz Karcher ein Nachfolger ein, der bis zur Liquidation der Firma als Geschäftsführer tätig blieb.

Über die Auswirkungen des Ausstiegs Gottharts auf die Geschäftspolitik der Firma und die spätere Gründung des direkten Konkurrenten Express-Film direkt vor Ort ist bisher leider nichts bekannt. Es ist aber anzunehmen, daß die Geschäfte mit der Filmproduktion bei Welt-Kinematograph gut laufen, zumal das Konzept, sich zu spezialisieren, nach wie vor aufgeht und auch Referenzen vorzuweisen sind. Am 21. 9. 1910 warb die Firma Welt-Kinematograph Freiburg mit der "...exklusiven Drehgenehmigung des Großherzogs von Baden innerhalb seines Schloßplatzes ein genaues und übersichtliches Bild von den Festlichkeiten in seiner Residenz herzustellen". Am 1. Dezember 1910 fanden Freiburger Filme den Weg nach Südafrika. Mit dem Dampfer eingetroffen machen "...Films einer Freiburger Firma einen recht günstigen Eindruck...", so daß der Besuch als angenehme Abwechslung empfohlen wurde.

Ungefähr drei Jahre reichen die Räumlichkeiten der Abteilung für Fabrikation von Welt-Kinematograph im Hause des Kinos Welt-Kinematograph, Kaiserstr. 68, aus. Am 8.3.1911 verstärkt die Firma mit einem neuen, sehr deutsch wirkenden Signet (Ein Adler hält einen Ausschnitt aus dem Weltall zusammen, das Licht der Sonne auf die Erde wird gleichgesetzt mit dem Blick von WKF = Welt-Kinematograph Freiburg auf die Natur) ihren Anspruch, schöne und inhaltsreiche Naturbilder aus aller Welt für alle Welt präsentieren zu wollen. Die Firma produziert, verkauft und verleiht von nun an ihre Produkte unter der eingetragenen Schutzmarke "Welt-Film". Am April 1911 erscheinen in den Fachblättern Anzeigen, die darauf hinweisen, daß "...die gesamten Büros und Fabrikationsanlagen, um den gesteigerten Anforderungen in jeder Weise gerecht werden zu können, in die bedeutend erweiterten Räume nach Zähringerstr. No. 17 verlegt worden sind. Durch bedeutende Vergrößerung und Einrichtung mit den neusten Fabrikationsmaschinen ist die Gesellschaft in den Stand gesetzt, die Fertigstellung der aufgetragenen Arbeiten auf das Pünktlichste zu erledigen. Die sämtlichen Fabrikate werden in Zukunft unter der Marke "Welt-Film" auf dem Markte erscheinen."

Die Neuheiten von Welt-Film für das Kino, den ehemaligen Kinematographen, bleiben unverändert: Völkerstudien (UNTER DEN NOMADEN), Naturbilder (DIE JUNGFRAUBAHN), interessante Industriebilder (ELEKTROSEILBAHN ZUR SPEISUNG DER HOCHÖFEN) und Belehrendes und Interessantes (UNSERE BLAUEN JUNGENS BEIM DIENSTE AUF DEM LANDE).

Am 2. 8. 1911 bewirbt Welt-Kinematograph seine Neuheiten (HAMBURG, NOMADENVÖLKER und EIN SELTENER KÜNSTLER) und bietet gleichzeitig an, Lokal-Aufnahmen herstellen zu können: Es scheint, als ob die erste Schaulust, sich die Welt in allen Facetten anzuschauen, der Selbstzurschaustellung gewichen ist. Die Kaufleute reagieren auch mit Anzeigen, als sich filmverleihwirtschaftliche Veränderungen abzeichnen, so zur Monopolfrage am 2.9.11 in der L.(icht)B.(ild)B.(ühne): „Wir erklären hiermit, daß wir uns an dem geplanten oder noch später auftauchenden Monopolprojekten in keiner Weise beteiligen werden, sondern nach wie vor mit unseren Kunden direkt arbeiten.“ Welt-Kinematograph G.m.b.H. Freiburg i.B. Abteilung für Fabrikation.

Nach wie vor ist die Firma gut für Innovationen und bringt auch Sujets auf die Leinwand, die wenig publikumsträchtig, aber dafür selten sind. Der Film EIN SELTENER KÜNSTLER (1911) handelt von einem an Händen und Füßen behinderten Malkünstler, der es im Laufe der Jahre durch Geduld dazu gebracht hat, mit dem Munde seine Arbeit zu verrichten. "In unserem Film sehen wir, wie der Künstler sein Modell in einem gut gelungenen Bild festhält, ferner wie er ißt und trinkt und ganz besonders interessant ist sein Kartenspiel."

Am 25. 10. 1911 ist der Signet-Adler wieder aus den Anzeigen verschwunden, statt dessen erscheint die Schutzmarke Welt-Film, die das alte Buchstabensignet WKF umrahmt. Nur eine Geschmacksfrage? - 1912 verwendet Welt-Film nur bestes Kodak-Material. Die Firma Welt-Kinematograph unterhält jetzt auch in Berlin, Friedrichstr.10, dort wo alle großen Filmproduktionsgesellschaften ihren Sitz haben, eine Vertretung (H. Rosenblum). Von Freiburg aus bietet sie ein Jahr später landesweit als Dienstleistungen das Entwickeln von Negativen, die Herstellung von Positiv-Abzügen, Titel und Reklamefilms, das Viragieren in allen Farben, einfache und Doppelfärbung, den Service einer Perforier- und Kopier-Anstalt, die Herstellung von Lokalaufnahmen und den Film-Klebstoff „Marke Haltfest“ an. Als Beispiel einer Lokalaufnahme gilt die Zusammenarbeit mit dem Freiburger Stadttheater, dessen Regisseur Dr. Eckert für die Schattenspielaufnahme DER TOTENGRÄBER VOM FELDBERG (1913) Schattenspielfiguren aufstellt und bewegt. Kino und Theater scheinen sich in Freiburg arrangiert zu haben.

Der Beginn des 1. Weltkriegs bedeutet auch für die Produktion und den weiteren Geschäftsverlauf von Welt-Kinematograph Freiburg eine große Zäsur, obwohl ab 09.09.1914 mit der Produktion von Kriegsprogrammen, wie z.B. DEUTSCHE SOLDATEN IM FELDE begonnen wurde. Wobei allerdings bisher unklar ist, ob der Film selbst produziert oder nur „geliefert“ wurde. Die Produktionszahlen gingen - verglichen mit denen von 1908 -1911 - rapide in den Keller. 1912 bis 1919 wurden - nach Herbert Biretts unschätzbarem Verzeichnis - in dem doppelten Zeitraum einhundert Filme weniger gedreht. Vor allem 1917-1919 müssen die Produktionszahlen erschreckend niedrig gewesen sein. Zudem starb Ende des Jahres 1915 Mitbegründer und Teilhaber Franz Julius Wenk. Über den weiteren Verlauf der Firma ist bisher nur zu sagen, daß sie ihrer Ausrichtung treu blieb und weiterhin in den Kriegsjahren hauptsächlich Naturbilder, z.B. DURCHS HÖLLENTAL UND DER RAVENNASCHLUCHT NACH TITISEE (1916), Aktualitäten wie BEISETZUNGSFEIERLICHKEITEN SEINER EXCELLENZ GENERAL DER INFANTERIE GÄDE AM 19.6.1916 IN FREIBURG/BR. und Lehrfilme wie VORFÜHRUNG VON RASSEHUNDEN (1916) produzierte. Es ist aber davon auszugehen, daß die Konzentrationsbewegungen innerhalb der Filmwirtschaft während des 1. Weltkrieges nicht spurlos an der Firma vorbeigegangen sind. Außerdem erschwerte die kriegsnahe Lage die Produktion. Die spezielle Ausrichtung auf lediglich lehrreiche Themen, die während des Krieges und sicherlich auch einige Zeit danach nur noch wenig Interesse fanden, tat sicher ihr Übriges. Am 23.2.23 ließen sich die langjährigen Geschäftsführer Steiger und Karcher als Liquidatoren eintragen. Am 10.3.1924 war die speziellste und umfangreichste Freiburger Produktionsgesellschaft erloschen.

Express-Film GmbH, Freiburg i. Brsg.

Eine ganz andere Dynamik vermittelt die Firmengeschichte der zeitgleich mit der Welt-Kinematograph GmbH in Freiburg ansässigen Expreß-Films GmbH. Am 12. April 1910 hatte Bernhard Gotthart - ein knappes Jahr nach seinem Ausscheiden bei Welt-Kinematograph - als alleinigen Zweck von Expreß Films Co. "...die Fabrikation, Verkauf und Verleihen von Films, Apparaten, Platten, Photos etc. für fixe und kinematographische Projektion" ins Handelsregister eintragen lassen. Das Stammkapital der neuen Firma betrug 20.000 Mark, Gotthart war alleiniger Geschäftsführer mit neuen Ideen, die er und seine Mitarbeiter ziemlich schnell und geschäftstüchtig umsetzten. Es entstanden Novitäten wie z.B. Rätselfilme, deren primäres Ziel, neben dem Spaß am Rätseln, es war, das Publikum so oft wie möglich ins Kino zu locken, um die Rätsel daselbst zu lösen: WILHELM TELL (1910), WER BIN ICH (1911) und DER NIBELUNGENRING (1912) stehen für eine neue Kategorie von Kinounterhaltung.

Am 2. November 1911 schlug Expreß Films Freiburg ein neues und nachhaltiges Kapitel in der deutschen Kinematographie auf. Durch Beschluß der Gesellschafter - mehrerer? - wurde der Name der Firma programmatisch richtungsweisend geändert: Expreß Films Co. GmbH (Redaktion und Verlag "Der Tag im Film". Erste deutsche tägliche kinematographische Berichterstattung) Freiburg i. Br.

Am 30.11.1911 warb Express-Films mit dem Motto „Hissen Sie die deutsche Flagge in Ihrem deutschen Theater“ für die erste deutsche tägliche kinematographische Berichterstattung und unterhielt für den Vertrieb dieser Tagesschau Agenturen in Berlin, Wien, Budapest, Paris, London, Amsterdam, Stockholm, Kopenhagen, Kristiania, Moskau, Rostow a.D., Helsingfors und Sofia.

In der Produktion waren zahlreiche Operateure beschäftigt. Der Bruder seiner Frau Margarete, Sepp Allgeier, der vom Zeichnen und Malen zur Photographie und von dort zum Film kam, wurde 1911, gerade 16jährig, auf dem Dach der neuen Firma in der Freiburger Schusterstraße 5, bei Probeaufnahmen von einem Erdbeben überrascht. Er vergaß vor Aufregung, das Erdbeben zu filmen. Aber Allgeier gehörte trotzdem bald zum festen Team der Express-Operateure und blieb trotz oder gerade wegen dieses Schlüsselerlebnisses bei einem Beruf, der - auch angesichts der Ziele Gottharts - hohe Flexibilität und Reiselust verlangte. Ausgebildet wurde er vom Express-Mitarbeiter, Kamerabauer und Kameramann Post, der für Gotthart und die Express-Film auch die Gebrüder Franz und Othmar Osterm(a)eyer - die später durch ihre Ganghofer-Filme bekannt wurden - ausgebildet hat.

Der Freiburger Versuch täglicher Berichterstattung wurde allenthalben mit Erstaunen aufgenommen und alsbald Gegenstand ernster Diskussionen in der Fachpresse. Dabei werden die Aktualitätenbilder als "Zeitungskino" rezipiert. Inhaltlich eben als tägliche Nachricht und so schnell und aktuell wie eine Zeitung. Die Presse wittert Konkurrenz. Bereits am 27.12.11 fragt ein A.J. Storfer im Kinematograph: "Wird die kinematographische Zeitung die Zeitungspresse ernsthaft schädigen?" Seine Konklusion ist - für die Presse - beruhigend: "Im Gegenteil: Das Lesen wird in erhöhtem Maße zum Schauen, das Schauen zum Lesen anregen. die Annahme, die optisch-bewegliche Zeitung und die gedruckte, sprachliche Zeitung könnten sich gegenseitig Konkurrenz machen, wäre so unhaltbar, wie etwa zu glauben, die Zunahme der Reisewerke bedinge ein Abflauen der Reiselust oder der Verkauf von Textbüchern vermindere die Zahl der Theaterbesucher." Skepsis dagegen herrscht bei der Einsatzmöglichkeit täglicher Berichterstattung in Kinos, die überwiegend Wochenprogramme vorführten. Der Freiburger Versuch wird als wirklich ernstzunehmendes Angebot jeden Tag neue Berichterstattung anzubieten eingeschätzt, verbunden mit der Frage nach dem Nutzen bezüglich der Kinobesucher, die dann ja auch täglich ins Kino gehen müßten, um die Aktualität erfahren zu können. Die Freiburger Idee wird aber grundsätzlich als von großer kulturpolitischer Tragweite betrachtet und die rühmenswerte Kühnheit der Freiburger Firma gelobt. Darüber hinaus müßte es "... Wunder nehmen, wenn dem deutschen Kapital die Lösung dieses par excellence organisatorischen Problems nicht gelingen würde."

Zunächst reichte das Kapital von Gotthart, um Das Tag im Film-Konzept aufgehen zu lassen. Seine Firma bestand 1911 aus 12 Personen, darunter seine Ehefrau, die ihn vertrat, wenn Gotthart auf Reisen war. Die Kameraleute der Firma, allen voran der junge Allgeier, drehen überall dort, wo große Publikumswirksamkeit garantiert ist. Allgeier filmte dabei die Welt (von) oben; so 1911 den Aufstieg des Luftschiffs "Schütte-Lanz" in Berlin; daneben entstanden auch Aufnahmen aus dem Luftschiff mit Blick auf die große Kaiserparade auf dem Tempelhofer Feld. Am 1. Januar 1912 entstand ein weiteres Bild von "Oben": Allgeier erregte als Operateur beim Aufnehmen des Kaiser und seiner sechs Söhne die Heiterkeit der Hohenzollern, da er zu Frack und Zylinder - wegen einschneidender Konfektionsprobleme - im Gegensatz zu den anderen bei Hof zugelassenen Fotografen kurze Hosen trug. Die lachenden Hohenzollern - Allgeier ließ nun die Kamera laufen und schuf damit eine sensationelle Aufnahme Gefühle zeigender Herrscher.

Neben der täglichen Berichterstattung ging Express auch weiter andere, neue Wege der Dokumentar- und Naturaufnahmen. Im Winter 1912/13 brachte Gotthart seine Mitarbeiter - wieder ist Allgeier der Kameramann - dazu, die hunderte Kilo schwere Ausrüstung ins Hochgebirge zu schleppen. Am Ende der abenteuerlichen und extremen Dreharbeiten war der erste deutsche, vermutlich auch international erste Hochgebirgsfilm entstanden: 4628 METER HOCH AUF SKIERN. BESTEIGUNG DES MONTE ROSA (1913). Wesentlichen Anteil an dem Gelingen des Films hatten die Aktiven des Akademischen Ski-Clubs Freiburg, die als Akteure - von Darstellern kann noch nicht gesprochen werden - exzellenten Skisport demonstrierten: Der Ethnologe Odo Deodatus Tauern, Dr. Hans Rohde und der Geologe Arnold Fanck. Tauern und Fanck wurden die Dreharbeiten ebenfalls zum Schlüsselerlebnis. Anfang 1920 gründeten sie, vom Film und von den Bergen gleichermaßen begeistert, zusammen mit Bernhard Villinger und Rolf Bauer die Freiburger "Berg- und Sportfilm Gesellschaft". Fanck wurde mit dieser Gesellschaft in den zwanziger Jahren zum Regiefachmann eines Genres, das Millionen in die Kinos gezogen hat. Aber das ist eine Geschichte für den zweiten Teil.

Zunächst rüstete die Express-Film weitere Expeditionen aus, um europäische und auch außereuropäische Begebenheiten in die Kinos zu bringen. Die Ziele der oft akademischen Freiburger Projektleiter und Operateure waren neben dem Himalaja das Amazonasgebiet, Rußland und die Molukken. Mit der internationalen Berichterstattung erweiterte sich auch die Verleih-/Vertiebsstrategie. Im Juli 1913 ändert sich ein weiteres Mal der Name der Expreß Film Co. Er wird bezüglich Der Tag im Film genauestens spezifiziert: Erste und älteste internationale tägliche kinematographische Berichterstattung. Der Zusatz Freiburg i. Br. entfällt, das Unternehmen wird auch vom Namen her international. Von nun an erschien die erste deutsche Tagesschau nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern mit französischen und englischen Zwischentiteln international im Abonnement vertrieben unter den Titeln „Express-Journal“ (franz.) und „The Day in the Film“ (engl.).

"Der Tag im Film" blieb in diesen Jahren Thema in den Branchenblättern. 1913 erschien ein Artikel "Kinematograph und Zeitgeschichte", der sich speziell der kinematographischen Berichterstattung über Tagesereignisse aus der Sicht eines Vertreters der Anti-Schund-Film-Liga, Albrecht Hellwig, widmet. Der Autor outet sich dem Kino und der täglichen Berichterstattung gegenüber insgesamt eher ablehnend und nimmt die "früheren dithyrambischen Lobpreisungen" auf's Korn. Gleichzeitig gibt er sich aber pragmatisch duldend, da er insbesondere der nationalen Berichterstattung kulturfördernden Einfluß beimißt. Sportberichterstattung - z.B. das Wettspiel um die deutsche Fußballmeisterschaft in München - ist ihm dabei eher ein Greuel. Dabei entwickelt er fast beiläufig, und es bleibt unklar ob ironisierend oder hellsichtig, die Zukunft der täglichen kinematographischen Berichterstattung, das Fernsehen: "Wessen Phantasie noch kühnere Bahnen (als den Ersatz der Zeitung durch das Kino, Anm., d. Verf.) einzuschlagen vermag, wird es vielleicht sogar für möglich halten, daß über kurz oder lang jeder, der es sich leisten kann, in seinem Hauskino abends die neuesten Ereignisse aus Nah und Fern sich vorführen läßt, vielleicht sogar, ohne, daß in seiner Wohnung ein kinematographischer Vorführapparat sich befindet. Wer will derartiges als unmöglich zu verwirklichende phantastische Träume bezeichnen, wenn man an die Fernübertragung von Bildern, an die drahtlose Telegraphie und an die drahtlosen Telephone denkt..." (1913!)

Außerhalb dieser Vision spricht sich Hellwig vor allem für die Förderung des nationalen Gefühls und die Stärkung der deutschen Reputation im Ausland durch die tägliche, aktuelle Berichterstattung durch "Der Tag im Film" aus, wobei es ihm dabei nicht darauf ankommt, ob die Sinnbilder deutscher Stärke und deutschen Selbstbewußtseins aus deutscher Produktion stammen. Hauptsache, sie sind wesentlicher Bestandteil der Kinovorführung und nicht der Schundfilm! Ganz wesentlich für die Einordnung des Stellenwerts von "Der Tag im Film" in diesem Zusammenhang ist die Bemerkung desselben Autors, daß die Produktion der deutschen Berichterstattung über deutsche Sujets dazubeigetragen hat, die Marktführer der internationalen Berichterstattung - die französischen Firmen Pathé-Journal, Gaumont-Woche und Éclair-Revue - dazu zu bringen, der Konkurrenz durch die stärkere Aufnahme deutscher Sujets in ihre internationalen Programme zu begegnen.

Ihre selbst auferlegte Verpflichtung, aktuell berichtzuerstatten, wird aus den Anzeigen in den Branchenblättern deutlich, die Bestattungsbilder vor der Beerdigung bewerben: Der 60 Meter Film DIE BEISETZUNG SR. KGL. HOHEIT PRINZREGENT LUITPOLD VON BAYERN IN MÜNCHEN kann per Telegrammwort "Beisetzung" geordert werden. Lieferbar ist der Film bereits am Tag nach der Beisetzung! Ähnlich aktuell ist der 60 m Film CÖLNER FASCHINGS-ZUG AM ROSENMONTAG 1913, dessen Auslieferung für den Karnevalsdienstag angekündigt wird. Anläßlich dieses Karnevals warb die Firma in ganz Deutschland für die Aufnahme von Faschingszügen durch Express-Films. Zum Umfang der Filmfabrik gehörten nun dezidiert die Herstellung von Lokalaufnahmen, Reklamefilms, das Kopieren von Negativen, das Entwickeln von Negativen und Positiven, das Perforieren, die Chemische Virage, Titelanfertigungen, Färbung und Doppelfärbung, das Perforieren von Positiv- und Negativ-Material in „erstklassiger Ausführung“.

Am 24.12.1913 wurde der Film MIT DER KAMERA IM EWIGEN EIS über die Hilfsexpedition Lerner nach Spitzbergen zur Auffindung der verunglückten Schröder-Stranz-Expedition mit der Möglichkeit des Monopol-Abschlusses nur über Express-Films Co. angeboten. Kameramann bei dieser erneut sehr aufwendigen Produktion war wieder Sepp Allgeier, der monatelang und unter Lebensgefahr im Nordmeer als Teilnehmer einer Hilfsexpediton zubrachte. Mit dabei drei Kilometer Rohfilm. 935 m davon wurden einer der Verkaufsschlager der Firma.

Es ist von den Anzeigen von 1913 her zu vermuten, daß die tägliche internationale Berichterstattung zurückgefahren wurde. Gegen Ende des Jahres bestand das Agenturennetz nur noch aus den Agenturen in Berlin und Wien. Es ist zu vermuten, daß die Express-Film bzw. Bernhard Gotthart und Robert Schwobthaler erkannt hatten, daß die genannten Bergfilme und Kriegsberichterstattungen mit abendfüllender Länge bessere Rendite einbrachten.

Die größten Einspielergebnisse bzw. der größte Verkaufsschlager der Firma blieb nämlich der bereits oben beschriebene Frontbericht MIT DER KAMERA IN DER SCHLACHTFRONT, der nicht nur verkauft, sondern auch verliehen wurde. Der Film „... feiert Triumphe bei Hoch und Nieder“. Für das Jahr 1914 vermeldete Express-Films weltweit ausverkaufte Vorstellungen : Im Frühjahr 1914 in den USA, Ägypten, Ungarn und Griechenland. Teilweise hob die Werbung nur auf den pazifistischen Charakter des Films ab, der die Greuel eines modernen Krieges realistisch und ergreifend darstelle. In einer Branchenblattanzeige hieß es am 26.11.1913 sogar: "Millionen von Menschen werden ausrufen: Nieder mit den Waffen, wenn sie unseren Monopol-Film gesehen haben!"

Der 1. Weltkrieg brachte für die deutsche Kinematographie, auch und insbesondere für die Freiburger Produzenten einschneidende Veränderungen. Deutschland kämpfte gegen Frankreich, auf dem Schlachtfeld und im Kino. Einerseits mit Waffen, andererseits mit Filmen, die die nationale Gesinnung stärken sollten, mit patriotischer und den Kampfeswillen betonender Kriegsberichterstattung und gegen Filme, die dem entgegen standen, französische Produktionen zu allererst. Die deutsche Film- und Kinowirtschaft wurde von dem weltweit führenden Filmland Frankreich - aus dem von 1895 bis 1911 siebenundvierzig Prozent aller in Deutschland aufgeführten Filme stammten, mit einem Schlag abgeschnitten. Nach zwei eher zögerlichen Jahren - die Propagandawirkung der Kinematographie mußte erst Einzug in die Köpfe der hohen Militärs und Regierenden Einzug halten - kam es zu erheblichen Bemühungen von Politik, Generalität und Filmwirtschaft, das Kino und den Film in die Kriegsstrategie einzubeziehen. Die Organisation der Filmwirtschaft wurde zur Chefsache erklärt, die Vorbereitungen für die spätere UFA mit preußischer Gründlichkeit von Politik und Generalität getroffen und die Branche ermuntert, sich zu nationalem Interesse dienenden Zusammenschlüssen einzufinden. Für kleinere, zudem badische Unternehmen war als Firma kaum noch Handlungsspielraum, Schwobthaler und Gotthart waren nun auf sich gestellt.

Robert Schwobthaler verhalfen seine Referenzen hinsichtlich MIT DER KAMERA IN DER SCHLACHTFRONT zu einer sofortigen Beschäftigung in der Reichswehr. Am 30. Oktober 1914 vermeldet in Freiburg eine Zeitungsnotiz, daß er "seit einigen Wochen mit seinem Kinofotographen der Kronprinzen-Armee, dem Generalkommando des fünften Armeekorps zugeteilt.." vor Verdun ist. Als "Soldat für Filmaufnahmen" drehte er bzw. ließt drehen: Aufnahmen von Armeeabteilungen, Aufnahmen vor Verdun und aus Rußland sowie sensationelle Aufnahmen aus dem Flugzeug. Schwobthaler schien dabei weniger als Express-Repräsentant oder Kameramann tätig gewesen zu sein, in seinem Nachruf wird seine Funktion als zugeteilt zur "Inspektion des Lichtbildwesens" beschrieben. Ein Kaufmann in beratender Funktion in Sachen Kino für Generäle!? - Es scheint so gewesen zu sein. Auch Gotthart war - während "seine" Kameraleute an und hinter der Front drehen, vor allem wegen seiner Branchenkenntnisse als Kaufmann und Organisator gefragt. Im Jahr 1917 beauftragte ihn die Reichswehr, im Bereich des 14. Generalkommandos "Vaterländische Lichtspiele" einzurichten. Er bereiste mit zwei mobilen Einheiten mit eigener Technik bis Kriegsende ca. 130 Spielstellen, wobei die Kriegsberichterstattung Hauptthema der Vorführungen war. Die eigentlich produktiven Aktivitäten der Firma kamen dabei fast ganz zum Erliegen. Express-Films produziert unter eigenem Namen zwischen 1914 und 1918 lediglich drei Filme über Kriegshandlungen. Der 1.875 Meter lange Film über Kampfhandlungen in Rußland, DIE DURCHBRUCHSSCHLACHT IN GALIZIEN (1916), wurde dabei in Anlehnung an den erfolgreichen Balkankriegsfilm als Teil der Serie "Mit der Kino-Kamera im Weltkrieg" vermarktet.

1915 löste Robert Schwobthaler den Geschäftsführer Gotthart ab. Es ist anzunehmen, daß diese Übernahme in gegenseitigem Einvernehmen geschah. Beide blieben auch noch in den zwanziger Jahren geschäftlich eng verbunden, produzierten beispielsweise ihren ersten gemeinsamen Spielfilm, den Passions-Film DER GALILÄER (1921). Während des Krieges ist jedoch folgende Aufgabenteilung anzunehmen: die Kameramänner von Express-Film arbeiteten an der Front, Schwobthaler organisierte ihren Einsatz und beriet die Militärführung bei kinematographischen Projekten. Gotthart leitete bis 1915 die kaufmännischen Geschicke und kümmerte sich zunächst noch um den Vertrieb der Express-Filme. Weitere Recherchen zu den Aktivitäten der Firmen Welt-Kinematograph und Express-Film von 1914-1918 werden sicherlich näheren Aufschluß darüber geben können, welche Rolle und welchen Anteil die Freiburger Filmkaufleute z.B. an der Entstehung der BUFA und der UFA hatten. Bekannt ist bisher lediglich, daß ein größerer Bestand an Reisebildern wie EIN TRACHTENFEST IM SCHWARZWALD (1911) der aufgelösten Firma R. & R. - vermutlich durch Schwobthalers Initiative - in den Bestand des Bild- und Filmamtes (Bufa) übernommen wurde.

Dort sollen auch die meisten Express-Filme 1918 eingelagert und verbrannt sein. Die ehemaligen Räumlichkeiten der Freiburger Filmfabrik und zusammen damit auch der private Bestand Gottharts an Express-Filmen wurden beim Bombenangriff auf Freiburg 1944 zerstört bzw. vernichtet. Durch die jüngsten Forschungen zum frühen Kino sind viele Filmtitel und Produktionsangaben wieder aufgetaucht. Durch intensive Recherche gelingt es auch immer wieder, Filmkopien oder Fragmente aufzuspüren, die durch glückliche Umstände erhalten geblieben sind (so z.B. die Sammlung des Abbé Joye, Basel, jetzt BFI/NFTVA) oder der Restaurierung dringend bedürfen (so z.B. FREIBURG DIE PERLE DES SÜDLICHEN SCHWARZWALDES von 1919).

Von allen Filmen Freiburger Produktionsgesellschaften, R. & R. immer eingeschlossen, sind bisher ca. 80 Titel aufgespürt worden, die materiell wirklich noch vorhanden sind. Der Zustand der Kopien ist teilweise erschreckend, bei vielen Umkopierungsarbeiten wurde das Farbmaterial lediglich als Schwarz/Weiß-Kopie gesichert. Es scheint notwendig, weiter zu forschen, auch für die Jahre 1906 -1918, um auch die Situation der noch vorhandenen Filme zu verbessern, sie möglichst umfassend zu archivieren und benutzbar zu halten. Aber auch die Geschichte nach 1919 birgt sicherlich noch die eine oder andere film- und stadthistorische Besonderheit, die es zu entdecken gilt.

Literatur:

  • Birett, Herbert: Das Filmangebot in Deutschland 1895 - 1911, München 1991.
  • Cosandey, Roland: Bilderbogen einer Filmexpedition im Lande des Tourismus, Kintop 4, Basel 1995
  • Fleer, Cornelia: Vom Kaiser-Panorama zum Heimatfilm, Marburg 1996.
  • Hosemann, Klaus W. : Seinerzeit bahnbrechend - heute vergessen, in: Freiburger Almanach 1991, S. 109-116.
  • Meusy, Jean-Jacques: Paris-Palaces ou le temps des cinémas (1894 -1918), Paris 1995.
  • Müller, Corinna: Frühe deutsche Kinematographie, Stuttgart, Weimar 1994.

Dieser Beitrag wurde in anderer Form zuerst anlässlich des freiburger filmforums (fifo) 1998 veröffentlicht.

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