logo

Rezensionen auf freiburg-postkolonial.de

Logo2

Personen Lokalpresse

Siehe auch zum Thema:

Dreesbach, Anne: Gezähmte Wilde. Die Zurschaustellung "exotischer" Menschen in Deutschland 1870-1940 (2005) Mehr

Engombe, Lucia: Kind Nr. 95. Meine deutsch-afrikanische Odyssee (2004). Zum Text

Lewerenz, Susann: Die Deutsche Afrika-Schau (1935-1940). Rassismus, Kolonialrevisionismus und postkoloniale Auseinandersetzungen im nationalsozialistischen Deutschland (2006) Zum Text

Afrika in Europa. Neue Publikationen zur Geschichte der afrikanischen Diaspora

cover Bruce Als Anfang März 1919 J. C. Nayo Bruce irgendwo im Kaukasus für immer die Augen schloss, ging für den gebürtigen Togolesen eine mehr als zwanzig Jahre dauernde Reise zu Ende. Durch mehr als ein Dutzend europäischer Länder hatte ihn seine Tournee geführt. Sein Geschäft war die Völkerschau, jene damals weit verbreitete Präsentation „exotischer“ Menschen. Auf Kolonialausstellungen, in Panoptiken, Theatern und Freiluftarenen, auf Jahrmärkten, im Zirkus oder gar in Zoologischen Gärten hatte er sich selbst und andere Afrikaner dem weißen Publikum zur Schau gestellt. Auf der „1. Deutschen Kolonialausstellung“, die im Jahr 1896 in Berlin-Treptow stattfand, war sein erster Auftritt über die Bühne gegangen. Dort wurden unter anderem „Eingeborene“ aus den deutschen Überseegebieten als lebende Anschauungsobjekte gezeigt, um für die Kolonien zu werben. Kurze Zeit später war J. C. Nayo Bruce mit seiner eigenen Togo-Truppe in Deutschland, aber auch in der Schweiz, Österreich, Frankreich oder Italien unterwegs.
Er löste sich von dem zweiten Teilhaber des Unternehmens, einem Deutschen, und führte das Showgewerbe nunmehr als Impresario in eigner Regie weiter. Auf den Reisen brachten seine vier Ehefrauen dreizehn Kinder zur Welt. Diejenigen, die nicht bei der Truppe blieben, wuchsen in Deutschland und Russland teils bei Pflegeeltern oder in christlichen Heimen auf. Ihnen sollte eine „europäische Erziehung“ zuteil werden. Die Schweizer Historikerin Rea Brändle erzählt in ihrem Buch die wahrlich abenteuerliche Lebensgeschichte des J. C. Nayo Bruce, seiner Kinder und Kindeskinder. Dazu gehören auch Berichte von den Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierungen, die die Familienmitglieder immer wieder erdulden mussten, bis hin zu den staatlichen Repressionen während der Jahre der NS-Herrschaft. Brändles Werk dürfte eine der spannendsten Veröffentlichungen sein, die gegenwärtig auf dem Buchmarkt zu dieser Thematik zu finden sind.

cover Liebesglück

Eine andere kosmopolitische Familie aus Afrika waren die Sabac el Cher’s. Gorch Pieken und Cornelia Kruse zeichnen in ihrem Buch „Preußisches Liebesglück“ die ungewöhnliche Migrationsgeschichte dieser deutschen Offiziers- und Musikerfamilie mit afrikanischen Wurzeln nach. Der in Nubien gebürtige Stammvater der Familie, August Albrecht Sabac el Cher (um 1836-1885), wurde 1843 als Kind dem preußischen Prinzen Albrecht vom ägyptischen Vizekönig Mehmed Ali zum „Geschenk“ gemacht. Fortan arbeitete er als dessen Leibdiener, später in Berlin als dessen Silberverwalter. Sein Sohn Gustav, den er mit der Berlinerin Anna Maria Jung gezeugt hatte, wurde Kapellmeister beim preußischen Militär. Als Offizier mit deutscher Staatsbürgerschaft war Gustav Sabac el Cher (1868-1934) geradezu ein Star im Deutschen Reich. Die Presse berichtete wiederholt über seine ungewöhnliche Karriere. Im Jahr 1901 heiratete er die Lehrertochter Gertrud Perling. Das Ehepaar hatte zwei Söhne, Herbert und Horst, die ebenfalls Musiker wurden. Deren Nachkommen leben heute in Deutschland. In welchem Maße die überaus gelungene Integration der Familie Sabac el Cher mit einer Überanpassung an die deutsche Gesellschaft einherging, ist eine der Fragen, die bei der Lektüre offen bleiben.

cover Barnes

Ein weiteres, gerade erschienenes Werk richtet den Blick nach Russland und widmet sich dem bewegten Leben des Abraham Petrowitsch Gannibal (um 1696 - 1781). Nach eigener Aussage ein abessinischer Prinz, wurde Gannibal als Sklave nach Istanbul verschleppt, von dort an den Hof des Zaren Peter I. nach Moskau geschickt. Der Zar, von der außerordentlichen Begabung des Afrikaners beeindruckt, adoptierte seinen Pagen Gannibal und betraute ihn später mit militärischen und diplomatischen Missionen, was ihm Macht, Ansehen und Reichtum einbrachte. Voltaire zählte zu Gannibals Freunden, der ihn den „dunklen Stern der russischen Aufklärung“ nannte. Sein Urenkel Alexander Puschkin wurde einer der größten Dichter Russlands. Der Journalist Hugh Barnes beschreibt in seiner Biographie „Der Mohr des Zaren“ Gannibals märchenhaft anmutende Lebensgeschichte.
Alle drei Bücher, die ohne eine theoretische Kontextualisierung auskommen, sind auf vorbildliche Weise recherchiert und basieren auf einer Vielzahl von bisher unbekannten Archivquellen. Die Bände enthalten beeindruckende, zum Teil noch nie veröffentlichte Bilddokumente. In einer verständlichen Sprache geschrieben, richten sie sich keineswegs nur an ein akademisches Fachpublikum. Diese Spurensuche nach der afrikanischen Diaspora in Europa verdient eine große Leserschaft.

Joachim Zeller, 07.02.2008

  • Rea Brändle: Nayo Bruce. Geschichte einer afrikanischen Familie in Europa, Chronos, Zürich 2007, ISBN 978-3-0340-0868-6.
  • Gorch Pieken / Cornelia Kruse: Preußisches Liebesglück. Eine deutsche Familie aus Afrika, Propyläen, Berlin 2007, ISBN 978-3-549-07337-7.
  • Hugh Barnes: Der Mohr des Zaren. Eine Spurensuche, Knaus, München 2007, ISBN 978-3-8135-0206-0.

Zum Seitenanfang | weitere Rezensionen auf freiburg-postkolonial Weiter