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Veröffentlicht auf freiburg-postkolonial.de am 12.11.2010, ergänzt 15.05.2011

 

 

 

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Rezension von:

Dierk Schmidt

The Division of the Earth. Tableaux on the Legal Synopses of the Berlin Africa Conference

 

Kunstprojekt zur Berliner Afrika-Konferenz 1884/85

Ende Februar 1885 ging nach monatelangen Verhandlungen in Berlin die Westafrika- oder Kongo-Konferenz zu Ende, an der die Vertreter von zwölf europäischen Staaten sowie des Osmanischen Reiches und der USA teilnahmen. In dem Abschlussdokument, der Generalakte, wurde ein Regelwerk festgelegt, das die - damals bereits im vollen Gang befindliche - Aufteilung des Riesenkontinents wesentlich beschleunigen sollte. Die Konferenz wird bis heute als Symbol für die koloniale Fremdherrschaft Afrikas betrachtet, obgleich die Aufteilung Afrikas unter den Kolonialmächten sich keineswegs allein auf die Kongo-Konferenz zurückführen lässt.

Bemerkenswerter Weise ist der Konferenz in der historischen Forschung bisher vergleichsweise wenig Beachtung geschenkt worden. Dafür haben sich in letzter Zeit Künstler und Aktivisten zivilgesellschaftlicher Gruppen ihrer angenommen. Sehr bekannt ist die Installation „The Scramble for Africa“ des afrobritischen Künstlers Yinka Shonibare MBE. Auf subversive Weise hat die Westafrika-Konferenz und ihre Folgen auch der aus dem Senegal stammende Künstler Mansour Ciss mit seinem postkolonialen Projekt „Deberlinisation“ aufs Korn genommen. Der Afrodeutsche und Grünen-Politiker Victor Dzidzonou stiftete eine Gedenkstele in der Berliner Wilhelmstraße, wo einst die Konferenz von Reichskanzler Bismarck eröffnet wurde. 2004, zum 120. Jahrestag, fand in Berlin die „Anticolonial Africa Conference“ statt; die Teilnehmer forderten eine Entschuldigung für die Kolonialverbrechen und Reparationen für die Opfer imperialer Fremdherrschaft. Und 2009 war es die bundesweite Gedenkkampagne „125 Jahre Berliner Afrika-Konferenz - erinnern.aufarbeiten.wiedergutmachen“, welche auf die hierzulande weitgehend verdrängte Kolonialgeschichte aufmerksam gemacht hat. Zu erwähnen wären hier auch noch aktuelle Projekte, so das von 20 afrikanischen MusikerInnen initiierte Musik-CD-Projekt “ 1884 - Music-History-Project” (2011, künstlerische Gesamtleitung: Philippa Ebéné) und die Doku-Fiktion „1885: Der Sturm auf Afrika - Ein Kontinent wird geteilt“ ( Joël Calmettes, französische Version: «  Berlin 1885, la ruée sur l'Afrique », 2010).

Nunmehr liegt mit dem voluminösen Katalogbuch „The Division of the Earth. Tableaux on the Legal Synopses of the Berlin Africa Conference“ das Ergebnis eines weiteren Kunstprojektes vor. Initiiert wurde es von dem Berliner Künstler Dierk Schmidt. Der Sammelband dokumentiert in großformatigen Farbfotografien die Bilderserien, die zuvor in verschiedenen Ausstellungen zu sehen waren, so auf der documenta XII in Kassel, im Kunstraum Lüneburg und im Kunstverein Salzburg. Der Bilderzyklus gliedert sich inhaltlich in zwei Teile. Zum einen umkreist er die „Berliner Afrika-Konferenz“, von den Autoren so bezeichnet, da letztlich der ganze Kontinent Gegenstand der Verhandlungen war und nicht nur Westafrika; zum anderen Namibia bzw. die (wiederholt abgewiesene) Entschädigungsklage der „Herero People’s Reparation Corporation“, mit der Reparationen für den deutschen Völkermord an den Herero in den Jahren 1904 bis 1908 durchgesetzt werden sollten.

Bilder: aus dem Band

In seinem Tableaux - wie Schmidt seine Malerei nennt - bedient er sich einer minimalistisch-grafischen Bildsprache, die an Kartografien und Netz- oder Tanzdiagramme erinnert. Der Künstler verweigert sich damit den visuellen Konventionen traditioneller Historienmalerei. Er geht neue Wege, um eine zeitgemäße Übersetzung der komplexen Prozesse der (Kolonial-)Geschichte ins Bildhafte umzusetzen. Die normative Abstraktion im (westlich dominierten) Völkerrecht, die Abstraktheit statistischer Daten und struktureller Gewalt soll mit der malerischen Abstraktion enggeführt werden, wie es im Vorwort heißt.

Begleitet wurde die Kunstraumaktion von einem jahrelangen Rechercheprojekt. In Zusammenarbeit mit Studentengruppen und Experten wurden interdisziplinäre Seminare, Workshops und Symposien an der Leuphana Universität Lüneburg durchgeführt. Das Buch versammelt die aus diesem Arbeitsprozess hervorgegangenen geschichtswissenschaftlichen, rechts- und kunsthistorischen Aufsätze in englischer und deutscher Sprache. Auch zeitgenössische Bild- und Textquellen sind abgedruckt. Die LeserInnen erhalten Einblick in aktuelle Forschungsdebatten. Dazu gehört die Frage, inwieweit die Afrikaner überhaupt Kenntnis von den für sie so verheerenden Beschlüssen der Berliner Konferenz hatten. Nur in Einzelfällen – etwa der Nama-Chief Hendrik Witbooi im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika – lässt sich bisher ein entsprechender Informationsfluss nachweisen. Anregend sind die Thesen des Historikers Elikia M’Bokolo, der die Aufteilung des afrikanischen Kontinents in den Jahren vor und nach 1900 gänzlich losgelöst von der Berliner Afrika-Konferenz sieht. Ob man einer solchen Entkoppelung der Ereignisse nun zustimmt oder nicht oder ob nicht die Konferenz eine „wichtige Etappe bei der Konsolidierung des Kolonialismus in Afrika“ (Helmut Bley) darstellt, sei dahingestellt. Mit dem Historiker Jörg Fisch diskutiert Dierk Schmidt in einem Interview die Frage, ob die Berliner Afrika-Konferenz eher ein wirtschaftliches oder rechtliches Instrument der Kolonialmächte gewesen sei. Bezüglich der Folgen, so Fisch, waren die Handelsfragen wichtiger, jedoch kam der Konferenz primär eine staats- und völkerrechtliche Aufgabe zu.

„The Division of the Earth” ist ein wegweisendes Projekt, das die Grenzen zwischen bildender Kunst und Wissenschaft aufgehoben und hinter sich gelassen hat. Wie zu hören ist, plant der Regisseur Volker Schlöndorff einen Film über die „Kongo-Konferenz“. Nicht nur ihm, sondern auch einer über die Fachkreise hinausgehenden breiten Leserschaft ist dieses Buch zur Lektüre zu empfehlen.

Joachim Zeller

Dierk Schmidt: The Division of the Earth. Tableaux on the Legal Synopses of the Berlin Africa Conference, Edited by Lotte Arndt / Clemens Krümmel / Dierk Schmidt / Hemma Schmutz / Diethelm Stoller / Ulf Wuggenig, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2010.


Siehe auch:

  • Helmut Bley: Künstliche Grenze, natürliches Afrika? Um die Berliner Kongokonferenz von 1884-1885 ranken sich allerhand Mythen (2007) Mehr
  • Kößler, Reinhart: Genocide, Apology and Reparation –the linkage between images of the past in Namibia and Germany (2007; pdf, 27 Seiten) Zum Text
  • Kößler, Reinhart: Dringender Klärungsbedarf - Das Gedenkjahr 2004 zeigt die Verwerfungen der post-kolonialen Gesellschaft in Namibia (2005) Zum Text
  • Namibia-Themenschwerpunkt in iz3w Nr. 300: Altlasten - Namibias langer Weg in die Unabhängigkeit (2007) Mehr
  • Melber, Henning: In the shadow of genocide. German-Namibian reconciliation a century later (2006) Zum Text
  • Müller, Tobias: Die Politik der nationalen Versöhnung in Namibia - Den Spagat überzogen? Magisterarbeit aus dem Jahr 2002. (80 Seiten, pdf, 815 KB) Zum Text
  • Hillebrecht, Werner: Denkmalgeschichte - Göttinger Kolonialadler fliegt nach Namibia (1999). Zum Text
  • Wegmann, Heiko: Freiburg und der Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika Theodor Leutwein (2006) Zum Text
  • Engombe, Lucia: Kind Nr. 95. Meine deutsch-afrikanische Odyssee (2004). Zur Rezension

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