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Veröffentlicht auf freiburg-postkolonial.de am 30.05.2011

 

 

 

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Rezension von:

Wolfgang Struck:

Die Eroberung der Phantasie.

Kolonialismus, Literatur und Film zwischen deutschem Kaiserreich und Weimarer Republik

 

„Die Eroberung der Phantasie“ nennt Wolfgang Struck seine literatur- und filmwissenschaftliche Studie. Hervorgegangen aus seiner im Jahr 2001 an der Universität Kiel eingereichten Habilitationsschrift befasst sich der Germanist darin schwerpunktmäßig mit der deutschsprachigen Kolonialliteratur im Untersuchungszeitraum von 1880 bis 1930. Zu den narrativen Genres, die ihn interessieren, gehören der koloniale Reisebericht und der Kolonialroman, beides außerordentlich erfolgreiche Spielarten nicht nur wilhelminischer Unterhaltungsliteratur.

In seinem einleitenden Kapitel wendet sich Struck zunächst Carl Peters zu, dem „Eroberer von Deutsch-Ostafrika“. In diesem „Herrenmenschen“ sieht er eine prototypische Leitfigur des deutschen Kolonialismus. Exemplarisch für seine Arbeit fragt Struck danach, was mit der Geschichte eines Carl Peters passiert, „wenn sie aus der Realität des kolonialen Afrika verpflanzt wird in den Raum der deutschen (Populär-)Kultur.“ (S. 18) In diesem Sinne das Verhältnis von kolonialer Eroberung in Übersee und der Eroberung der Phantasie hierzulande auslotend, geht es um eine der klassischen Fragestellungen der postcolonial studies, nämlich welche Spuren der Kolonialismus auf der mental map bei den Kolonisierenden, mithin nicht bei den Kolonisierten, hinterließ. Der „Gefahr einer wiederholenden Marginalisierung des ‚Anderen’“ (S. 32), welche aus einer so angelegten Kulturgeschichte des Kolonialismus resultiert, ist sich der Autor durchaus bewusst. Wie schon vergleichbare Studien zuvor, kommt Struck zu dem Ergebnis, dass „deutsches Wesen“, d.h. weiße Identität auch in Abgrenzung von dem „Anderen“ nachhaltig geprägt wurde. Dieses Andere ist der koloniale Raum der Kolonien und seiner Menschen, die zu „primitiven Eingeborenen“ zugerichtet, als Gegenbild für das superiore Selbstbild der Weißen fungierten.

Der Korpus des von Struck analysierten Textmaterials aus der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg stammt von AutorInnen mit und ohne eigene Erfahrung in den Kolonien. Dazu gehören die kanonischen Werke etwa von Frida von Bülow (der “Begründerin des deutschen Kolonialromans”), Ada Cramer, Magdalene von Prince, Gustav Frenssen, Wilhelm Jensen, Arthur Heye, Jürgen Jürgensen bis hin zu Hans Grimm. Hervorzuheben ist, dass auch einschlägige Texte der Avantgarde im deutschsprachigen Raum miteinbezogen wurden; sonst kaum beachtete Texte von Carl Einstein, Carl Sternheim, Gottfried Benn und Claire Goll haben auf diese Weise Eingang in die Arbeit gefunden. Methodisch sich auf die Klassiker postkolonialer Theoriebildung stützend, vor allem Edward Said und Homi Bhabha, knüpft Struck an die wissenschaftlichen Grundlagenwerke zur deutschsprachigen Kolonialliteratur an, u.a. von Susanne Zantop, John Noyes und Russel A. Berman.

Struck sieht in den literarischen Repräsentationen des Kolonialismus Dokumente einer radikalen Moderne- und Urbanitätskritik. In den Projektionen von „Wild-Afrika“ kommt ein kulturkritischer Impuls gegenüber der eigenen - westlichen - Kultur zum Ausdruck wie eskapistische Züge zutage treten. Leitmotivisch durchzogen wird die Kolonialliteratur von der Sehnsucht nach exotistischer Entgrenzung auf der einen und Ängste vor „Verkafferung“ (going native) auf der anderen Seite. In ihnen spiegelt sich nicht zuletzt die Suche nach einer anderen Identität des Weißen, die des Herren über die Fremde.

So wie die Kolonialliteratur nach dem Ende des deutschen Kolonialreiches infolge der Niederlage im Ersten Weltkrieg keineswegs vom Buchmarkt verschwand, so war es vor allem auch der exotische Film, der sich zu einer der erfolgreichsten Genres populärkultureller Phantasieproduktionen nach 1919 entwickelte. Gleich zu Beginn der Weimarer Republik sorgte der achtteilige Monumentalfilm „Die Herrin der Welt“ (1919/20) von Regisseur Joe May für Aufsehen. Mit großem Presserummel wurden die Dreharbeiten zu dem auf verschiedenen Kontinenten spielenden Abenteuerfilm verfolgt, als handele es sich um „die kinematografische Rache an Versailles“ (Tobias Nagl). Der Kolonialrevisionismus bediente sich gerne des Mediums des Films. Zu den einschlägigen Produktionen zählen in späteren Jahren „Der Reiter von Deutsch-Ostafrika“ (1934) oder der antibritische NS-Propagandafilm „Karl Peters“ (1940). Allerdings konnte Struck die unlängst erschienene wichtige Studie von Tobias Nagl (Die unheimliche Maschine. Rasse und Repräsentation im Weimarer Kino, 2009) nicht mehr einarbeiten. Die lange Zeit zwischen Fertigstellung der Habilitationsschrift und ihrer Veröffentlichung hätte im Übrigen den Autor dazu veranlassen müssen, noch sorgfältiger notwendige Aktualisierungen in seinem Buch vorzunehmen. Jedenfalls referiert Struck nicht, um ein Beispiel zu nennen, den Forschungsstand zum Kolonialkrieg in Deutsch-Südwestafrika von 1904-1908, wenn er auf Brigitte Lau und ihre gegen den Völkermord-Befund gerichteten Thesen verweist (S. 112).

In seinem - Epilog überschriebenen - letzten Abschnitt unternimmt Struck einen Blick in die Gegenwart und befasst sich mit dem Afrika-Bild heutiger deutscher Kino- und Fernsehproduktionen. Er resümiert eine Kluft zwischen postkolonialer Kritik und populärer Unterhaltungskultur. Nicht zu unrecht haben Kritiker Filme wie „Die Wüstenrose“ (1999), „Afrika - wohin mein Herz mich trägt“ (2006) oder „Afrika, mon amour“ (2007) als das bezeichnet, was sie sind, kruder Afrika-Kitsch. Fragwürdig sind aber nicht nur die Spielfilme, sondern auch die mittlerweile beträchtliche Anzahl kolonialhistorischer Dokumentationen. Sie bleiben meist einer eurozentrischen Sichtweise verhaftet. Ebenso ist der Umgang mit dem dort verwendeten historischen Film- und Fotomaterial höchst problematisch. Allzu selten ist die Regie darum bemüht, dem Zuschauer das Phänomen des „Kolonialismus der Bilder“ bewusst zu machen. Die Folge ist die Reproduzierung der darin eingeschriebenen Stereotype, der „koloniale Blick“ bleibt ungebrochen.

Der Band von Struck bietet brillante Werkanalysen, doch hätte sich der Leser etwas mehr Benutzerfreundlichkeit gewünscht. Das Inhaltsverzeichnis gibt mitunter wenig Auskunft über die in den einzelnen Kapiteln abgehandelten Themenbereiche, zumal auch das Register sehr lückenhaft ausgefallen ist. Dort fehlen unter anderem die Namen von den im Buch auftauchenden James Cook und Georg Forster (S. 36), Maximilian Harden (S. 108) und Martin Dibobe (S. 219 ff.). Zudem hätte man sich - wie dies bei den Kolonialfilmen geschehen ist - eine von der Sekundärliteratur getrennte Liste der Kolonialliteratur gewünscht. Nichtsdestotrotz wird jeder, der zukünftig zur exotistischen und kolonialen Literatur und Film arbeitet, dieses Werk zu Rate ziehen.

Joachim Zeller

Wolfgang Struck: Die Eroberung der Phantasie. Kolonialismus, Literatur und Film zwischen deutschem Kaiserreich und Weimarer Republik, V&R unipress, Göttingen 2010, 345 S., ISBN: 978-3-89971-769-3.

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Siehe auch zum Thema:

  • die Rubrik Film
  • Bräunlein, Peter: Ein weißer Mann in Afrika - Rassismus und Geschlechterverhältnisse in Tarzanfilmen (2004) Zum Text
  • Fuhrmann, Wolfgang: Der bewegte koloniale Blick - »Ansichten« über frühe deutsche Filme aus den Kolonien (2004) Zum Text
  • Loimeier, Manfred: Literatur: »Selten eine gute Figur« - Belletristische Literatur über die Deutschen und ihren Kolonialismus in Afrika Zum Text
  • Hamann, Christof (Hg.): Afrika - Kultur und Gewalt. Hintergründe und Aktualität des Kolonialkriegs in Deutsch-Südwestafrika. Seine Rezeption in Literatur, Wissenschaft und Populärkultur 1904-2004 (2005) Zur Rezension