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Der evangelische Paulussaal als öffentlicher kolonialistischer Veranstaltungsort in Freiburg (ca.1.000 Plätze)

letzte Aktualisierung:

27.04.2009

Gouverneur Schnee Kolonialwerbeveranstaltung 1935 (s.u., Bild vergrößern)

Veranstaltungsübersicht (wird nach Stand der Recherche erweitert)

  • 06.03.1912, Oberleutnant Paul Graetz: "Im Motorboot quer durch Afrika - Vortrag mit farbigen Lichtbildern u. kinematographischen Vorführungen", Paulussaal, siehe Freiburger Zeitung vom 28.02.1912 und 07.03.1912
  • 27.09.1914, "Vaterländische Versammlung" zu kriegspropagandistischen Zwecken im voll besetzten Saal. Caritas-Gründer Lorenz Werthmann erklärte als Kriegsziel die Vergrößerung des deutschen Kolonialbesitzes. Stadtpfarrer Hugo Schwarz formulierte die Hoffnung, dass "dieser größte Kampf der Weltgeschichte (...) ein Frühlingssturm sei, ein Läuterungsfeuer, ein Stahlbad. (...) Wir hoffen, daß der Geist wieder allgemeiner werde, wie er so wortkarg, so vielsagend aus jenem denkwürdigen Telegramm des Gouverneurs von Tsingtao spricht: 'Einstehe für Pflichterfüllung bis zum Äußersten'." (Quelle: Stadtarchiv Freiburg, Dwe 3310b)
  • 13.02.1919, Große Kolonialkundgebung aller Freiburger Parteien und der Deutschen Kolonialgesellschaft, siehe Berichte zur "Protestversammlung gegen den Raub unserer Kolonien", in der Freiburger Zeitung, 13. + 14.02.1919. Artikel
  • 17.03.1919, Veranstaltung des Vereins für das Deutschtum im Ausland: "Die Zukunft des Deutschtums in der Welt", siehe Freiburger Zeitung, 18.03.1919. Artikel
  • 24.10.1927, General Paul von Lettow-Vorbeck: "Ostafrikanische Kriegserlebnisse", Veranstalterin: Koloniale Arbeitsgemeinschaft Freiburg, Ort: Paulussaal
  • 21.11.1928, Dr. Wilhelm Filchner: "Einzig öffentlicher Vortrag mit Lichtbildern", "Meine Tibetexpedition 1925-28", Veranstalter: Oberbadische Abteilung der Kolonialgesellschaft Freiburg i.Br., Deutsche Akademie (Oberbadischer Freundeskreis), Geographische Gesellschaft und Naturforschende Gesellschaft zu Freiburg i. Br., "Für unsere Mitglieder können wir für diesen Vortrag leider keine Ermäßigung gewähren, da der Reinertrag der Filchner'schen Vorträge zu einer neuen Tibet-Expedition 1929 verwendet werden soll." Siehe Bericht: "Meine Tibet-Expedition 1925-28. Vortrag von Dr. Wilhelm Filchner", Freiburger Zeitung, 22.11.1928. Artikel
  • 21.11.1929, "Deutschlands überseeische Zukunft", Kolonialkundgebung mit Gouverneur a.D. Dr. Schnee und Maximilian Knecht, Veranstalter: Oberbadische Abteilung der Kolonialgesellschaft Freiburg i.Br., ca. 300 ZuhörerInnen, siehe Veranstaltungsbericht in der Freiburger Zeitung, 22.11.1929 Artikel, Werbeanzeige der DVP, Freiburger Zeitung, 20.11.1929. Artikel
  • 25.11.1932, "Große Kolonialkundgebung", Redner: Pater Sonnenschein (früher in Deutsch-Ostafrika), Gouverneur a.D. Dr. Seitz (früher in Kamerun und Süd-Westafrika). Unter Mitwirkung des Männer-Gesangvereins 'Concordia'. Veranstalter: Deutsche Kolonialgesellschaft, Abt. Oberbaden.
    • Ehrenkarte des Oberbürgermeisters Karl Bender Ehrenkarte
    • Siehe Presseberichte:
      • „50 Jahre Deutsche Kolonialgesellschaft." Breisgauer Zeitung, 24.11.1932. Artikel
      • "Kolonial-Kundgebung in Freiburg", Der Alemanne vom 27.11.1932, Artikel
      • "Kolonialkundgebung", Freiburger Zeitung, 27.11.1932, Artikel,
      • „Eine eindrucksvolle Kolonialkundgebung", Freiburger Tagespost, 28.11.1932. Artikel
      • Bericht des Vereins ehem. Kolonialkrieger und Kolonialdeutscher, Freiburg. i. Br.: Kolonialkundgebungen der DKG im kath. Vereinshaus und im Paulussaal, Kolonial-Post, 23.12.1932. Artikel
  • 04.06.1934, Kolonialkundgebung zum Gedenken an die Gründung des deutschen Kolonialreiches vor 50 Jahren; Veranstalterin: Reichskolonialbund Freiburg, Ort: Paulussaal, siehe Freiburger Zeitung, 04.06.1934 Artikel
  • 12.05.1935, Missionsinspektor Dr. Rosenkranz (Heidelberg): "Das Christentum im Kampf der Rassen. Mit Lichtbildern aus Japan. Missions-Teeabend der Ostasienmission", Ort: Paulussaal.
  • 13.06.1935, General Paul von Lettow-Vorbeck: Die wirtschaftliche Bedeutung unserer ehemaligen Kolonien“, veranstaltet von der Deutschen Arbeitsfront/Kreisverwaltung Freiburg, siehe Bericht in "Der Alemanne", 14.06.1935, Artikel
  • 15.06.1935 (10 Uhr), Gemeinsame öffentliche Sitzung der beiden kolonialen Frauenverbände "Frauenverein vom Roten Kreuz für Deutsche über See" und "Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft" mit den Reichsvorsitzenden Elisabeth Herzogin Adolf Friedrich zu Mecklenburg und Agnes von Boemcken sowie einem Vortrag eines Herrn Rothaupt (Wien) und einer Ansprache der Reichsfrauenführerin Gertrud Scholz-Klink. Siehe Berichte in der Freiburger Zeitung, 16.06.1935, Artikel und Freiburger Zeitung, 17.06.1935, Artikel
  • 15.06.1935 (19.30 Unr), Mitgliederversammlung des Reichskolonialbundes
  • 15.06.1935 (20.15 Uhr), Kolonialwerbeveranstaltung des Reichskolonialbundes, auf der u.a. der NS-Reichsstatthalter und Vorsitzende des Deutschen Kolonialkriegerbundes Ritter von Epp spricht. Es kommt zu Problemen, weil der Raum nicht für die Massen von BesucherInnen reicht. Weitere Redner: Gouverneur i.R. Dr. Schnee, Herzog Adolf Friedrich zu Mecklenburg, Farmer Helmut von Wernsdorff thumb (Bild vergrößern)
  • 19.02.1937 (20.00 Uhr), Vortrag von Prof. Dr. Eugen Fischer (Direktor des Kaiser-Wilhelms-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin): "Ursachen und Vorgang der Rassenbildung in der Menschheit", Veranstalter: Kaiser-Wilhelmsgesellschaft zur Förderung der Wissenschaften und der Oberbürgermeister der Stadt Freiburg

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Aussenansicht - Der Paulussaal im Jahre 2007 (Foto: Heiko Wegmann)

Auch daran soll hier erinnert werden: Der Paulussal war in jenen Zeiten auch Austragungsort eines Kongresses ganz anderer Art, nämlich des 3. Internationalen demokratischen Friedenskongresses. Zu dessen Gedenken wurde Ende 2006 eine Tafel am Saal angebracht. Dies zeigt: Es ging auch anders.

Gedenktafel

Foto: Heiko Wegmann

Leserbrief an die Badische Zeitung

Aus Anlass der Anbringung dieser Tafel erschien in der Badischen Zeitung ein informativer Artikel mit dem Titel "Gegen Kriege und Völkerhass" (27.11.06, S. 22). Der folgende Leserbrief zu diesem Artikel befasst sich mit der dunklen Geschichte des Paulussaals, in der Krieg, Kolonialismus und Rassimus gepredigt wurden. Leider wurde er nicht abgedruckt.

Krieg und Frieden im Paulussaal

Der Artikel von Heinz Siebold über den Friedenskongress von 1923 im Paulussaal erzählte anschaulich ein Stück Freiburger Geschichte im Kontext der Situation nach dem Ersten Weltkrieg. Erwähnt wird, dass der damalige OB Karl Bender Grußworte sprach und sich die Mehrheit des Gemeinderats "hinter die Friedensfreunde stellte". An diesem Punkt entsteht ein leicht falscher Eindruck, denn die Verwaltung stand dem Kongress durchaus sehr gespalten gegenüber. Es dürfte auch eine Rolle gespielt haben, dass man gerne eine große Zahl zahlender KongressbesucherInnen in die Stadt holen wollte. Nichts desto trotz war das in dem Moment ein Fortschritt, bedenkt man, dass genau am selben Ort zahlreiche kriegstreiberische Veranstaltungen stattgefunden hatten und später noch stattfinden sollten.

Erwähnt sei hier etwa die 'Vaterländische Versammlung' vom 27.9.1914. Dort trat der der ehemalige OB Otto Winterer auf, der gerade für die BZ-Wahl als bedeutendster Freiburger vorgeschlagen wurde. Der überzeugte Monarchist trommelte in einer pathetischen Rede für den Krieg und konstatierte mit Stolz: "Geschlossen und entschlossen steht das ganze deutsche Volk da, unüberwindbar und geht es auch gegen eine ganze Welt!“ In der Rede eines weiteren überaus prominenten Freiburgers wurde als eines der Hauptkriegsziele die Vergrößerung des deutschen Kolonialreichs gefordert. Und Stadtpfarrer Hugo Schwarz formulierte die Hoffnung, dass "dieser größte Kampf der Weltgeschichte (...) ein Frühlingssturm sei, ein Läuterungsfeuer, ein Stahlbad. (...) Wir hoffen, daß der Geist wieder allgemeiner werde, wie er so wortkarg, so vielsagend aus jenem denkwürdigen Telegramm des Gouverneurs von Tsingtao spricht: 'Einstehe für Pflichterfüllung bis zum Äußersten'." Mit dem chinesischen Ort wären wir wieder beim scheinbar so friedliebenden OB Bender und einer heute weitgehend vergessenen Tradition des Paulussaals. Denn dieser war mit tatkräftiger Unterstützung Benders wie auch seines NS-Nachfolgers Kerber Austragungsort von diversen gut besuchten Kolonialkundgebungen und –tagungen. Unter Verachtung der Opfer des deutschen Kolonialismus und insbesondere der grausamen Kolonialkriege wurde die Rückgabe des ehemaligen Kolonialreiches an Deutschland gefordert und dem Schutztruppen-Militarismus gehuldigt. Auf www.freiburg-postkolonial.de sind einige dieser Veranstaltungen zwischen 1914 und 1937 dokumentiert.

Heiko Wegmann, Freiburg

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